grabyourface "Sadgirl Mixtape"
Intensiver, schmerzhaft schöner Dreampop

Falls es je ein Album gab, das einen dazu bringen könnte, an einem regnerischen Nachmittag auf der Rückbank eines Taxis in seinen mit Kaffee gefüllten Pappbecher zu weinen, dann ist es "Sadgirl Mixtape" von der französischen Künstlerin grabyourface. Das 56-minütige Full-Length-Album ist ein immersiver Abstieg in Herzschmerz, Verzweiflung und gelegentliche Momente kathartischer Befreiung. Oder, wie es in der Pressemitteilung heißt: "the album of a lifetime… Music to cry to in your car at night, while driving to nowhere under the streetlights' alternating beams". Und glaubt mir, diese Platte erfüllt dieses Versprechen auf jeder Ebene.
Schon mit dem Opener "Everything Remains The Same" legt grabyourface den Ton mit existenzieller Melancholie und stiller Wut fest. Die ersten Songzeilen
"The sun rises all the same My window becomes the frame I wake up like nothing's changed Like all my life has been staged."

wirken fast harmlos, vermitteln jedoch ein Gefühl des Aufwachens in einem bereits erschöpften Leben. Der Refrain trifft dann umso härter:
"Everything remains the same down on the earth while life is going down in flames for you and I"
Man spürt die Asche einer brennenden Welt durch die Lautsprecher kriechen.
Danach taucht "The Black Of My Hoodie" noch tiefer in Trauer und Abwesenheit ab. Das Album beugt sich fast über die Schulter des Hörers und flüstert all die Dinge, die man niemandem sagen kann. Die Eröffnungszeilen
"I dyed my hair Painted my nails You're still not there Your presence fades"
unterstreichen den intimen, tagebuchartigen Charakter von grabyourfaces Texten. Bittere Realitätsmomente wie
"Every day it's gonna be hard And you're not gonna be there And I'll be cold on the station platform waving at no one cause everyone's gone"
machen die Kälte förmlich spürbar.
Mit "Bubbles Of Me" schlägt das Album einen etwas experimentelleren Ton an. Der Track ist so unheimlich wie intim, mit Zeilen wie
"Bubbles of me playing with the flame, taking all your life apart Bubbles of me convincing myself that I haven't lost my mind"
Es ist ein chaotisches, zugleich verführerisches Aufreißen von Selbst und Begierde – eine fast gotische, traumartige Elektronik-Stimmung, die den rohen Emo-Kern der vorherigen Tracks ausbalanciert.
Grabyourface spart nicht an Verletzlichkeit. "My Last Act Of Love" konfrontiert den Zusammenbruch einer Beziehung mit schmerzhafter Ehrlichkeit:
"Memories in black and white play out in my head If you wanna hold my hand, you're gonna drown too And my heart, once alive, has woke up dead As my last act of love, let me save you"
Die Wiederholung dieser Zeilen hypnotisiert förmlich und spiegelt gleichzeitig die obsessive Natur von Herzschmerz wider.
"I Dream Of A Future Without You" und "Tear Myself Away" folgen als schonungslose Bekenntnisse zu Trauma und Selbstbefreiung. "I Dream Of A Future Without You" teilt eine eindringliche Bitte:
"Just give me my freedom Just let me go Allow me to exist again",
während "Tear Myself Away" sich zur Mantra-artigen Selbstermächtigung entwickelt:
"I don't wanna live in your shadow anymore Don't wanna be sick when I see your name Wanna tear myself away from you"
Man wird regelrecht durch das emotionale Labyrinth des Künstlers gezogen.
"Feeling Morbid" mischt morbid-humorvolle Bits mit düsterer Intensität:
"Feeling morbid Feeling dead Feeling morbid, feeling dead, that's what you did to me Feeling morbid Feeling dead Feeling morbid, feeling dead, yeah, that's your legacy"
Anschließend folgt "All I Have Is Love, All I Do Is Destroy", ein sechsminütiger Trip durch Selbstzerstörung und Sehnsucht:
"I've done it again I broke it again I loved to intensely, and I destroyed it Again"
Liebe und Zusammenbruch verschmelzen hier auf beklemmende Weise. Und Album bleibt dramatisch und hypnotisch. "You Will Never Be Happy" erzählt von einem schwarzen Loch im All der Verzweiflung:

"Every second gasping for air Melancholy biggest enemy Once a hope today just regrets"
"Rain On The Car Roof" beschreibt die Isolation unserer urbanisierten Welt wie kaum ein anderer Track:
"It's 2 AM And I'm out of bed Out of my mind And I wish I was dead The city cries The tears that I can't cry Every street pouring out The truth I can't make out"
Den Abschluss bildet eine Coverversion von Christophes "Je Lui Dirai Les Mots Bleus". Sie rundet die Geschichte, das Album erzählt mit sanfter Romantik, Nostalgie und einem Hauch Verspieltheit ab:
Finally, the bonus track "Je Lui Dirai Les Mots Bleus", a cover of Christophe's classic, is a tender reprieve. Sung in French, it softens the edges of the album with romance and nostalgia:
"Je lui dirai les mots bleus Les mots qu'on dit avec les yeux
Nach sieben von rohen Emotionen gepräten Stücken wirkt der Song fast wie ein befreiendes Ausatmen.
Musikalisch verbindet grapyourface mit "Sadgirl Mixtape" Sad Electronica mit Dreampop. Das Album lebt von seinen dichten Synthesizer-Teppichen, Lo-Fi-Texturen und gelegentlich eingetreuten Verzerrungen. Wer genau hinhört, kann Einflüsse von Linkin Park, Lana Del Rey und Lil Peep spüren. Doch die Platte besitzt ihre ganz eigene Erzählweise, Dynamik und Sensitivität. grabyourface produzierte dafür nahezu alles selbst. Ben Concrete und Matt Fanale unterstützen die Produktion lediglich punktuell.
Nach dem Hören ist man auf äußerst angenehme Weise erschöpft und fühlt sich irgendwie verstanden und getröstet. "Sadgirl Mixtape" ist ganz sicher kein einfaches Album, aber eines, das jeder hören sollte, der jemals die Wirrungen von Freundschaften, Liebe, Verlust und existenzieller Verzweiflung gespürt hat. Wie grabyourface selbst formuliert:
"'Sadgirl Mixtape' is a carefully crafted collection of sad songs that I made during the past 7 years… The soundtrack that I needed in some of the darkest moments of my life, that I give to you now so you won't be missing it next time YOU need it."
Kurz gesagt: Wenn ihr melancholische Hymnen, hypnotische Elektronik und Texte, die bis ins Mark gehen, liebt, werdet ihr "Sadgirl Mixtape" vergöttern. "Sadgirl Mixtape" ist ein Album, das ihr erleben werdet – auf intensive und schmerzhaft schöne Weise.



