We Lost The Sea 2025: "Wir erzählen die Geschichte unserer Zeit"
Interview mit Mark Owen übers Touren, Festivals und die Entstehung von "A Single Flower"

Es ist schon eine kleine Weile her, seit ich mich zuletzt mit Mark Owen von We Lost The Seas unterhalten und ihm meine Fragen für unser Interview zu "A Single Flower" geschickt habe. Da die Zeit bekanntlich wie im Flug vergeht, hat er seitdem etliche Festivals besucht (auch mein geliebtes ArcTanGent, das ich dieses Jahr leider nicht besuchen konnte), ist um die Welt getourt und hat zahlreiche Konzerte mit We Lost The Sea gespielt. All diese unvergesslichen Erlebnisse haben unser Gespräch noch tiefer und inspirierender gemacht. Heute teile ich es stolz mit Euch. Viel Spaß beim Lesen, hört We Lost The Sea und geht zu den Konzerten!
Anne: Hallo Mark! Es ist schön, mit Dir zu sprechen! Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Mir ist gerade aufgefallen, dass unser letztes Interview schon vier Jahre her ist! Wie geht es Dir? Was hat sich seit unserem letzten Gespräch verändert?
Mark: Hallo Anne! Es ist schön, wieder Dein Gast zu sein! Es ist schon eine Weile her. Ich habe nachgeschaut und unser letztes Interview war am 8. Januar 2021! Die Welt befand sich im Chaos und unter Lockdown und niemand wusste so recht, wie es nach der Pandemie weitergehen würde. Als nach und nach alles wieder öffnete, hoffte ich, dass die gemeinsame Erfahrung während Corona uns alle einander näherbringen würde. Und ich glaube, eine Zeit lang war es genau so. Jetzt fühlt es sich aber leider so an, als wäre die Welt gespaltener denn je! Abgesehen davon, dass die Menschheit einen Völkermord größtenteils ignoriert und sich daran mitschuldig macht und die rechten Faschisten ihr hässliches Haupt erheben, geht es mir gut. Ich bin gerade von unserer ersten US-Tour und dem Post.Festival zurückgekommen, das großartig war, und nächste Woche um diese Zeit bin ich für zwei Shows auf dem ArcTanGent in Großbritannien! Darauf freuen wir uns alle schon sehr!
*Ich habe so lange dafür gebraucht, dieses Interview zu beantworten, dass ich inzwischen schon von ArcTanGent zurück bin. Ich kann ohne Zweifel sagen, dass es eine der besten Live-Erfahrungen war, die ich bis jetzt erleben durfte. Was für ein Festival!
Anne: Gratulation zu Eurem neuen Album, "A Single Flower". Es ist grandios! Was hat Euch beim Schreiben dieser Songs am meisten inspiriert? Dieses Zitat aus Eurer Pressemitteilung hat mich sehr neugierig gemacht: "To rise was the only rebellion left" ("Aufzustehen war die einzige Rebellion, die noch übrig blieb").
"Alle Songs auf 'A Single Flower' enthalten Zitate von Autor*innen und Künstler*innen
Mark: Danke Dir! Das war ein kleines Zitat, das ich geschrieben habe, während ich mein Bestes getan habe, um meinen inneren Cormac McCarthy zu channeln. Wie ich das getan habe? Es war ein Versuch, das Konzept der Platte auf kreative Art zusammenzufassen, ohne es den Hörer*innen sofort offenkundig zu verraten. Ich denke, die initiale Inspiration waren einfach wir selbst als Kollektiv bei dem Versuch, den Druck des Schreibens loszulassen und einfach zu versuchen, einem Hype gerecht zu werden und einfach aufrichtig zu schreiben. Ehrlich zu sein und die Musik unsere Geschichte erzählen zu lassen. Ein Bild davon zu zeichnen, wie wir uns alle gefühlt haben und fühlen.
Anne: Der Titel "A Single Flower" fühlt sich zugleich zart und trotzig an. Möchtest Du mir mehr über die Geschichte dahinter verraten?
Mark: Es ist ganz ohne Absicht ziemlich komplex geworden. Einfach so. Wir waren auf der Suche nach Stoff, über den wir schreiben konnten. Nach Narrativen. Wir haben Geschichten über Verlust geschrieben, eine Geschichte über den Klimawandel und über die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Sohn. Wir wussten nicht so recht, wie wir eine Geschichte erzählen sollten, die es den Hörenden ermöglichen würde, selbst eine Geschichte zu schreiben und gleichzeitig unsere eigene zu erzählen. Und da sind wir dann gelandet. Alle Stücke enthalten Zitate von Künstler*innen und Autor*innen. Jedes dieser Zitate bezieht sich auf das Gesamtkonzept des Liedes und sogar auf die spezielle Blumenauswahl. Jede Blume hat eine Beschreibung auf dem Blumenbild. Man muss also fast das Puzzle zusammensetzen, um das Gesamtbild dessen zu verstehen, was wir sagen. Aber abgesehen von diesem ganzen verwirrenden Wortwirrwarr ist es im Grunde introspektiv. Es stellt uns die Frage, warum wir jeden Tag aufstehen. Albert Camus sagte mal, die einzige wirkliche philosophische Frage sei: "Soll ich mich umbringen?" Und ich denke, wir stellen uns diese Frage. Was bringt uns dazu, morgens aufzustehen? Ist es ein Akt des Trotzes, sich dem Tag einfach zu stellen? Welche Momente absoluten Herzschmerzes werden wir für einen Moment der Schönheit ertragen? A Single Flower (eine einzelne Blume), wenn Du so willst.
Anne: Seit der Veröffentlichung von "Triumph & Disaster" sind sechs Jahre vergangen. War die Pause beabsichtigt oder würdest Du sagen, dass das Leben einfach dazwischengekommen ist? Hat sich Eure kreative Chemie seit dem letzten Album verändert?
Mark: Wir waren viel auf Tour und in unseren Privatleben hat sich vieles verändert. Da wir alle Familien und Vollzeitjobs haben, hat einfach alles etwas länger gedauert. Es ist schwierig, viel Zeit zusammen in einem Raum zu verbringen, wenn Du so viel anderes Zeug um die Ohren hast. Außerdem ist unser ehemaliger Drummer ans andere Ende des Landes gezogen. Das bedeutet bei uns hier immerhin einen sechsstündigen Flug. Für uns wurde es dadurch also auf jeden Fall komplizierter. Ich vermute, der zweite Grund ist, dass wir so lange, phasenreiche Songs schreiben und das braucht einfach seine Zeit. Es dauert eine Weile, wenn man ein 27-minütiges Stück ein paar Mal hintereinander spielen möchte.
Wenn man also mittendrinsteckt und etwas nicht stimmt und man innehalten muss, um darüber zu reden, es zu beheben und es dann erneut zu spielen, vergeht die Zeit sehr schnell. Wir haben eine Weile pausiert, als wir einen neuen Schlagzeuger gesucht haben und Leute zum Vorspielen eingeladen haben und das alles. Obwohl wir schon 2019 oder 2020 mit dem Schreiben begonnen haben, entstand der Großteil des Albums 2024, nachdem unser neuer Schlagzeuger Alasdair zur Band gestoßen ist. Ich denke, was das Schreiben angeht, sind wir so gut aufgestellt wie nie zuvor. Ich glaube, als Einheit war die Band so gut wie nie zuvor, hat sich so gut gefühlt und verstanden. Alasdair hat jede Menge Energie und gute Stimmung mitgebracht, und das hat mich angesteckt. Das Schreiben war für mich plötzlich nicht mehr diese manchmal feindselige, stressige Erfahrung. Stattdessen wurde es zu einem wirklich erfüllenden Teil des Prozesses. Es fühlt sich weniger getrennt, sondern offener und ehrlicher an und wir konnten wirklich lernen, besser zu kommunizieren. Ich denke, dieser Zusammenhalt und diese Ehrlichkeit waren eine echte Offenbarung für uns. Ha! Man sollte meinen, dass wir nach rund 19 Jahren in diesem Bereich besser darin wären, aber wir lernen ständig dazu, versuchen, uns zu verbessern und bessere Musiker und Songwriter zu werden. Ich weiß, dass alle Bands das sagen, aber ich glaube wirklich, dass das neue Album das beste Musikstück ist, das wir je produziert haben, und ich bin wirklich stolz darauf.
Anne: Eure Alben leben schon immer von Euren klaren Konzepten und ausgefeilten Spannungsbögen. Ihr seid wahre Meister darin, wenn es darum geht, Geschichten zu erzählen, ohne dass dafür irgendwelche Worte nötig wären. Möchtest Du mir etwas über Deine ganz persönliche Geschichte hinter dem Album verraten, oder ist es Dir lieber, wenn die Hörer*innen ihre eigenen Erzählungen kreieren, während sie in Eure Musik vertieft sind?
Mark: Dieses Album ist auf den ersten Blick fast absichtlich zweideutig. Es ist keine Platte, die man auf den ersten Blick verstehen kann. Wir wollten nicht so schwarz-weiß sein und wollten vermeiden, im Grunde ein großes Diagramm zu zeichnen, eine Tabelle und eine PowerPoint-Präsentation zu erstellen, die dem Hörer vorgibt, was er denken soll. Wir wollten etwas in den Hörenden hervorrufen. Natürlich hatten wir etwas zu sagen, aber wir wollten die Leute dazu anregen, es zu verstehen, anstatt sie mit einem harten Schlag hineinzuwerfen, falls das für Dich Sinn ergibt. Für mich persönlich ist das Album das Persönlichste, was ich je geschrieben habe. Es ist fast eine Klage. Für mich fühlt es sich sehr kathartisch an. Es drückt viel Wut, Frustration und Traurigkeit aus, die ich über die Welt um mich herum und über die Welt in mir empfinde. Es ist ein gemaltes Bild meines innersten Wesens, meiner persönlichen Überzeugungen. Es ist ein tiefes, ermüdendes Seufzen über die Dinge, die um mich herum geschehen, und es ist ein Album, das von meiner Hoffnung erzählt, dass wir als Menschheit besser werden können, und von der Frustration, dass wir es nicht sind.
Anne: Der Track "Everything Here Is Black and Blinding" hat mich tief beeindruckt. Schon der Name ist krass und der Song selbst ist extrem mystisch, tiefgründig und wirkt insgesamt sehr nachdenklich. Ich liebe die Percussion am Anfang und das unterschwellige Gefühl von Spannung und Weite. Und dann setzt der "ravige" Part ein und steigert die Spannung noch. Gespickt mit harmonischen Gitarrenelementen. Nicht zu vergessen das ausklingende Klavier am Ende! Was hat Dich bei diesem Song inspiriert? Verrätst Du mir das?
Mark: Das Stück hat definitiv Matt Harvey angeführt, der die Gitarre spielt und all unsere Kunst gestaltet. Es ist sein Protestsong. Frida Kahlo und ihre Lebensweise haben ihn dazu inspiriert. Ihre Kunst ist wunderschön und trägt oft auch ein Statement gegen Faschismus und ihre Regierung in sich. Im Wesentlichen geht es darum, dass Kunst eine Form des Protests ist, und dieses Lied ist dieser Protest.
Anne: "Bloom (Murmurations at First Light)" klingt dagegen fast ein wenig hoffnungsvoll. War das beabsichtigt oder interpretiere ich da zu viel hinein?
Mark: Nein, das ist zu 100 Prozent korrekt. Das ist unser "A Single Flower"-Moment. Der Lichtstrahl, der die Wolken durchbricht. Wir wollten nicht, dass das ganze Album komplett düster ist. Wir sind wütende, melancholische Männer, die im Grunde ihres Herzens Hoffnung haben wollen. Wir lieben die Schönheit in den Dingen, in den Menschen, in der Welt, und mit diesem Song versuchen wir, dieses Gefühl auszudrücken. Ich denke, es ist unser Versuch, die Musik und unsere Fähigkeit, kreativ zu sein und uns auf so schöne Weise auszudrücken, zu ehren.
Anne: Eure Musik war schon immer von einem emotionalen Aufbau geprägt, aber dieses Album wirkt für mich insgesamt noch spannender? Es klingt fast wie ein Thriller, und ich kann es kaum erwarten, es live zu hören. Hat es sich ganz von allein so entwickelt oder war das von Euch so beabsichtigt?
Mark: Mit einem Album nach "Departure Songs" im Gepäck fühlten wir uns tatsächlich etwas entspannter. "Triumph & Disaster" war für uns musikalisch und klanglich eine bewusste Abkehr von "Departure Songs". Wir wollten nicht versuchen, es noch einmal zu schreiben. Es fiel mir tatsächlich sehr schwer, für T&D zu schreiben, und Matt Harvey hat dabei die Führung übernommen. Es fühlte sich für mich nicht wie ein natürlicher, organischer Prozess an, und die Riffs entsprachen nicht dem, was normalerweise aus mir herauskommt. Mit dem neuen Album hatte ich das Gefühl, dass ich mich wirklich gehen lassen und schreiben konnte, was mir natürlich vorkommt. Ich fühlte keine Last der Erwartung, und wie ich bereits in diesem Interview sagte, kam einfach zum Ausdruck, wie ich/wir uns fühlen/fühlten. Ich schätze, wenn es spannender ist, liegt das daran, dass wir in einem – in Ermangelung eines besseren Begriffs – sehr spannenden Moment der Geschichte schreiben, oder? Es scheint, als wäre diese Platte unsere beste Vermutung, dass die Dinge nicht besser werden, auch wenn wir uns das gewünscht hätten, und vielleicht spiegelt der Ton das wider. Ich muss sagen, das sind wahrscheinlich meine Lieblingssongs, die ich live spiele. Sie fühlen sich monströs an, sie fühlen sich groß und aufregend an, und ich habe das Gefühl, wenn jemand es wirklich „verstehen“ will, dann wird es hoffentlich passieren, dass er sie live sieht.
Anne: Als wir uns zum letzten Mal unterhalten haben, hast Du mir erzählt, dass "Triumph & Disaster" für Dich Deine Art war, mit der kollektiven Angst unserer Zeit umzugehen. Würdest Du sagen, dass "A Single Flower" aus einer ähnlichen Richtung kommt, oder geht es dieses Mal etwas introspektiver zu?
Mark: Es ist beides. Wir sind Produkte der Welt, in der wir leben. Wir schreiben, was wir wissen, was wir sehen und was wir fühlen. Und wenn man all unsere Hoffnungen und Träume, all unsere Ängste und Sorgen gemeinsam in einen großen Topf wirft und mit einem großen Musikstab umrührt, entsteht das neue Album.
Anne: Du hast mal gesagt, dass es auf "Departure Songs" um Heldentum und Verlust geht. Welche Themen pulsieren im Herzen von "A Single Flower"? Hat der aktuelle Zustand der Welt mit all seinen Spannungen, seinem Hass und dem Aufstieg destruktiver, despotischer Kräfte seinen Weg in den emotionalen Kern von "A Single Flower" gefunden? Es fühlt sich wirklich so an, als würde das Album diese Dunkelheit auf ruhige, kraftvolle Weise bekämpfen.
Mark: Ich denke, ohne noch einmal auf das bereits Gesagte einzugehen, lautet die kurze Antwort ja. Daher rühren wahrscheinlich ein Großteil unserer Traurigkeit und Wut. Es kommt mir vor wie die verlöschende Glut eines Feuers, und wir versuchen, es wieder zum Lodern zu bringen. Was dieses Feuer repräsentiert, ist für jedes Mitglied etwas anderes, aber ich denke, die Botschaft ist dieselbe: dass wir als Gesellschaft es besser machen können. Ich denke, Musik ist das perfekte Beispiel für die Fähigkeit der Menschheit, Schönheit zu schaffen und nicht nur zu zerstören. Sie ist auch ein ganz bewusstes Eingeständnis, dass die Welt tatenlos zusieht, wie ein Völkermord in Echtzeit geschieht. Wir streamen buchstäblich live die Vernichtung eines Volkes. Scheiß auf jede*n, der*die mitschuldig ist oder unentschlossen ist. Es gibt keinen Zaun.
Anne: Wenn Du auf "Departure Songs", "Triumph & Disaster" und jetzt auch auf "A Single Flower" zurückblickst: Hast Du das Gefühl, dass Ihr Euch als Geschichtenerzähler verändert habt? Oder ist es die Welt, die Euch umgibt, die heute anders ist und Ihr habt einfach darauf reagiert?
"Ich schreibe einfach so, wie ich mich fühle"
Mark: Geschichten zu erzählen ist nach wie vor der Kern dessen, was wir tun. Dieses Mal ist es jedoch das erste Mal, dass wir sie erzählen, ohne dass wir das Ende bereits kennen. Wir erzählen die Geschichte des Jetzt – unserer Zeit. Ich denke, dass dafür eine andere Herangehensweise nötig ist. Sie lässt sie Dich automatisch anders erzählen. Wenn wir schon wissen, dass der Prinz und die Prinzessin am Ende zusammenkommen werden, können wir die Geschichte einfach erzählen. Wenn wir uns aber nicht sicher sind, ob die Prinzessin an einer Krankheit sterben wird, die wieder zurückgekommen ist, weil irgendein Holzkopf krank ins Büro gegangen ist und leider Impfgegner ist, erzählen wir sie anders. Falls das Sinn ergibt.
Anne: "Bloom (Murmurations at First Light)" vermittelt dieses Hin und Her zwischen Zerstörung und Schönheit. Seid Ihr heimliche Optimisten, die sich in der Dunkelheit verstecken?
Mark: Ich glaube, das trifft es ziemlich genau. Graham Greene sagt tatsächlich, dass Zerstörung eine Form der Schöpfung ist, ha! Ich erinnere mich an ein Gespräch im Studio mit unserem Bassisten Kieran, eines Abends nach vielen, vielen Gläsern Wein. Er hat mir erzählt, dass es für ihn im Schreibprozess einen Punkt gab, an dem er das Album zu düster und zu deprimierend fand und froh war, dass es jetzt auch Momente der Schönheit und des Optimismus enthält. Ich habe zu ihm gesagt: "Ich schreibe einfach, wie ich mich fühle: Ich bin traurig, ich bin wütend, ich habe keine Hoffnung". Seine Antwort war: "Ich will nicht mehr traurig sein." Also ja, ich glaube, das stimmt. Ich denke, als kreativer Mensch möchte man Dinge tun, die Sinn ergeben und Geschichten erzählen, die anderen Mut machen. Selbst wenn man die schrecklichen, hasserfüllten und traurigen Dinge hervorhebt, spricht man immer noch in einem negativen Licht darüber. Und ich glaube, manchmal ist Hoffnung alles, was uns bleibt.
Anne: Ihr wart zwischen Euren Alben immer viel auf Tour. Würdest Du sagen, dass diese Live-Auftritte Euren Umgang mit dem Schreiben beeinflusst haben?
Mark: Früher sind wir mit der Absicht ans Schreiben herangegangen, alles, was wir geschrieben haben, zu sechst live spielen zu können. Ich denke auch, dass wir das immer noch können. Aber anstatt uns in eine Schublade zu stecken und zu sagen: "Wir haben noch keine Sub-Drops oder Rave-Drums, also können wir das nicht machen", haben wir einfach geschrieben und wussten, dass wir es später herausfinden würden. Wir wollten uns keine Grenzen setzen und haben den Prozess einfach laufen lassen. Ich denke, die vielen Live-Auftritte, die Gigs in größeren Hallen mit größeren Soundsystemen, haben es uns ermöglicht, herauszufinden, was sich bei Live-Auftritten besser umsetzt. Wir konnten, ohne es vorher hören zu müssen, erkennen, was live wirklich gut funktionieren würde und was im Raum vielleicht nicht ganz richtig klang. Dabei muss man bedenken, dass wir einen Raum mit Teppich an den Wänden zum Komponieren nutzen, in dem es keine Mikrofone gibt. Da kann es sehr schwierig sein, alle Nuancen zu hören. Nachdem wir die Songs geschrieben hatten, haben wir viel Zeit in einem Aufnahmestudio mit den Demos verbracht, gingen sie dann sehr sorgfältig durch und versuchten, sie möglichst selbstlos zu bearbeiten, wobei das "Gute" an den Songs für uns dabei immer im Vordergrund stand.
Anne: In unserem letzten Gespräch hast Du erwähnt, wie wichtig für Euch der visuelle Aspekt eines Albums ist. Vor allem wie "Triumph & Disaster" rein durch die Musik und die Bilder eine Geschichte erzählt. War das dieses Mal wieder so?
Mark: Wir könnten und sollten vermutlich auch mal ein komplettes Interview über diesen Prozess machen. Matt, der sich um alle Visuals kümmert, und ich haben nicht damit angefangen, bevor das Album komplett fertig war. Matt muss seinen Musikhut absetzen, bevor er sich in diese Art der Kunst vertiefen kann. Nach vielen, vielen E-Mails, Gesprächen und Nachrichten-Threads sind wir also tief in das Konzept eingetaucht und haben uns angeschaut, wie es sich entwickelt und wie das Artwork aussehen könnte. Matt macht wirklich einen großartigen Job und ich denke, dass das einer der Kernteile unseres kreativen Outputs ist. Diese beiden Welten funktionieren für uns synonym. Ja, sie können auch getrennt voneinander existieren, aber ich glaube, durch ihre Qualität sind sie dafür bestimmt, als ein zusammenhängendes Stück Kunst präsentiert zu werden. Das Album ist nicht nur die Musik. Es ist die Kunst, das Konzept, die Worte, das Layout. Hoffentlich nehmen sich die Leute die Zeit, es als ein Stück Kunst zu betrachten. Nicht nur als eine Sammlung von Songs, sondern als ein großes Paket.
Anne: Ich habe festgestellt, dass sich das Post-Music-Genre in der letzten Zeit ziemlich stark verändert. Wie geht Ihr damit um? Wie denkt Ihr darüber? Wie fühlt es sich für Euch an, sich im Zentrum von etwas aufzuhalten, das sich so schnell weiterentwickelt?
"Der Begriff 'Post-Rock' fühlt sich veraltet an"
Mark: Ich werde versuchen, mich kurz zu halten, haha. Ich denke, dass "Post-Rock" als Begriff veraltet ist. Ich denke, dass er seine Sinnhaftigkeit verloren hat, den aktuellen Status dessen zu beschreiben, was er beschreibt. Ich komme nicht damit klar, wie Bands wie Pray For Sound oder Hubris in dieselbe Kategorie gequetscht werden wie Glacier, Bruit oder Coastlands. Es scheint so, als hätte man eine große, langweilige Decke über sie alle geworfen, und ich denke, das stellt das Licht dieser großartigen Bands unter den Scheffel. Was ich sagen möchte und was ich immer laut und klar sagen werde, ist, dass das Beste am Post-Rock die Post-Rock-Community ist. Die Fans und ihr Sinn fürs Zusammensein. Eine Gruppe von Menschen, die sich von der Musik bewegen lassen, die offen und ehrlich genug sind, sich von einem Song davontragen zu lassen. Und die Post-Rock-Community ist so eine liebevolle, inklusive Gemeinschaft. Da ist so viel Liebe, so viel Hoffnung, so viel Lust, zusammenzustehen. Also, wo auch immer wir in dieser Sache stehen, wenn wir vorn stehen, wo wir, denke ich, keine Grenzen übertreten. Ich wäre viel lieber als eine Band bekannt, die bereit ist, für Akzeptanz, Liebe und Mitgefühl einzustehen.
Bei uns gibt es keinen Platz für Hass und Intoleranz"
Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, für das, was sie sind, ist für mich zumindest eine Einschränkung: Wir werden Intoleranz und Hass nicht akzeptieren. Dafür gibt es nirgendwo Platz, und ich werde das auch in der Post-Rock-Szene nicht akzeptieren. Und wenn We Lost The Sea ein Punkt im Meer der Post-Rock-Bands sein kann, dann lieber ein Punkt der Liebe als ein bahnbrechender. Falls das Sinn ergibt.
Anne: Ihr tourt dieses Jahr mit Hubris durch die USA und spielt in der UK auf dem ArcTanGent (Mann, ich hatte mir so gewünscht, dass Ihr dort auftreten würdet, und jetzt kann ich ausgerechnet dieses Jahr nicht dabei sein). Worauf freust Du Dich am meisten? Irgendwelche Städte, die Du vermisst hast?
Mark: Noch mal Entschuldigung dafür, dass ich so lange gebraucht habe, dass jetzt beide Touren durch sind, haha. Die USA waren der Hammer, das Post.Festival fühlte sich wie ein zweites Zuhause an. Genauso wie das Dunk und das ArcTanGent lebensbejahend waren. Was für ein wunderbares, integratives Festival.
Anne: Wenn Du nicht gerade auf Tour oder im Studio bist. Gibt es einen Ort, an dem Du besonders gut Energie tanken kannst?
"Wir wollen Filmmusik machen!"
Mark: Ich habe nicht viel Zeit zum Auftanken. Aber ich lese VIELE Bücher und versuche, mich zu Hause so oft wie möglich in der Musik zu verlieren. Ich habe auch einen Hund namens Mikey, der oft gestreichelt und gekuschelt wird, was ihm manchmal sehr missfällt.
Anne: Wenn Ihr auf die gelungene Tour und die Veröffentlichung von "A Single Flower" zurückblickt. Was steht als Nächstes für We Lost The Sea an? Gibt es Träume und Projekte in Deinem Notizbuch oder Richtungen, die Du gerne so bald wie möglich erkunden möchtest?
Mark: Wir haben viele coole Sachen in Arbeit. Es hört nie auf. Nächsten Monat geht es nach China, danach auf Australien-Tour. Nächstes Jahr sind wir wieder in Großbritannien und der EU und vielleicht auch wieder in China. Wir haben ein oder zwei wirklich besondere Shows geplant. Und natürlich wollen wir immer mehr Musik schreiben. Wenn jemand auf der Suche nach Musik für einen Film ist, melde Dich! Das ist zu 100 Prozent unser Ziel!
Anne: Wenn Du diesen Moment einfrieren könntest. Diese Stelle, an der Ihr Euch befindet, mit der großartigen Platte, die Ihr dieses Jahr veröffentlicht habt, und der laufenden Tour. An welchen Teil aus dieser Momentaufnahme Eurer Bandgeschichte würdest Du Dich später am liebsten zurückerinnern?
Mark: Für mich ist es das Wissen, dass das Besondere im Kern dieser Band, das, was sie antreibt, das, was mich nicht aufhören lässt, das mich nie abschalten lässt, immer noch da ist und heller brennt als je zuvor.
Anne: Und zum Schluss: Was inspiriert Dich im Moment am meisten? Musik, Kunst, nächtliche Döner, Sonnenschein, Fußball?
Mark: Mich inspirieren die Schönheit, Bücher, Kunst, Musik und die Möglichkeiten, die diese Dinge mit sich bringen. Und die Kraft, uns zu verändern, die von ihnen ausgeht.
Anne: Was für ein wunderbarer Schlusssatz. Vielen lieben Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, Mark! Es ist mir jedes Mal eine Freude, mich mit Dir zu unterhalten. Ich wünsche Dir und der Band alles Gute für Eure Pläne! Bis ganz bald!
Mark: Danke für Deine durchdachten Fragen und Deine Geduld, während Du auf meine Antworten gewartet hast. Ich denke, Deine Plattform ist sehr wichtig. Sie fühlt sich sehr offen und ehrlich an und erlaubt es den Künstler*innen in ihren Interviews ganz sie selbst zu sein.
Anne: Danke für Deine Worte. Es freut mich sehr, dass Du das so siehst!
Fotos in diesem Interview: Eine Sammlung aus Bildern der beiden Sets von We Lost The Sea beim Post.Festival 2025. Die Bilder stammen sowohl vom Set von Tag 1, das Departure Songs in voller Länge enthielt, als auch vom Headliner-Set von Tag 3, das die Hifi Annex-Bühne abschloss. 24. + 26. Juli 2025 HI_FI Indy & CSBINDER