Die Berliner/Wiener Band Gewalt im Interview
"In Krisen zeigen Menschen ihr wahres Gesicht"
Gewalt ist ein Wut-Wave-Trio aus Berlin und Wien, das gerade ordentlich für Wirbel sorgt. Weil die Band um Helen Henfling, Jasmin Rilke und Patrick Wagner gerade ihr neues Album "Doppeldenk" fertig hat, habe ich sie schön spontan zum Interview eingeladen, um mir mal ein paar Fragen beantworten zu lassen, die mir schon länger auf den Nägeln brannten.
**Anne:** Hi! Wow, danke, dass Ihr Euch so spontan die Zeit nehmt! Wie geht es Euch? Wie läuft es mit "Doppeldenk"? Die Platte kommt ziemlich gut an, oder?
Patrick: Uns geht es – ich drücke es vorsichtig aus – etwas instabil. Viel Arbeit, wenig Geld, Sinnfragen, künstlerische Fragen, Zukunftsängste und Zukunftshoffnung geben sich die Klinke in die Hand. Glaubt man seiner Bubble, kommt das Album sehr gut an. Natürlich wird man auch missverstanden oder sehr oberflächlich beurteilt. Was die wenigsten sehen ist, dass man eine sehr gute Zeit mit Gewalt Musik verbringen kann. Nur weil Text und Musik einer gewissen Ernsthaftigkeit unterliegen, heißt das nicht, dass wir Babys zum Frühstück essen.
Anne: Seid Ihr zufrieden mit Eurem Werk?
"Wir sind sehr zufrieden mit 'Doppeldenk'"
Gewalt – "Doppeldenk"
Patrick: Um ehrlich zu sein – sehr. Das merken wir daran, dass wir gerade die Songs für die Tour proben, es macht wirklich Spaß, das Zeug zu spielen. Oder wenn "Schwarz Schwarz" oder "Sonnensturm" (viel zu selten) im Radio laufen, denken wir: "Wow, das ist echt stark – besser und interessanter als der Rest." Aber das ist wohl derzeit auch nicht sonderlich schwer.
Anne: Eure Tour ist ja schon losgegangen. Für welche Locations kann man noch Tickets bekommen?
Patrick: Es gibt noch überall Tickets – für die Shows im Rough Trade Store in Berlin, sowie für die beiden Filmevents auf dem Transit Festival und bei den Hofer Filmtagen, sollte man sich beeilen. Eng mit Tickets wird es auch schon in Köln, Wien und Berlin. Da ist es sinnvoll, zügig zuzuschlagen, wenn einen das Gewalt Spektakel interessiert.
Anne: Was hat Euch zu "Doppeldenk" inspiriert?
Patrick: Es ist immer die Wirklichkeit, die wir in unserer Kunst verhandeln. Wir zerren sie ans Licht, verarbeiten sie poetisch und musikalisch und spucken sie in Grooves, Wellen und Sprache wieder aus. Dabei entwickelt sich so eine Art Hyperrealität – die dann eben unter anderem mit Orwells Dystopie "1984" kommuniziert oder an Pollesch, Schlingensief oder Pop Art andockt.
Anne: Wolltet Ihr schon immer Wut Wave machen?
"Genres spielen für uns keine Rolle"
Gewalt – "Schwarz Schwarz"
Patrick: Wir haben uns noch nie über Genres oder dergleichen Gedanken gemacht. Unser Stil (den Namen Wut Wave hat uns treffender Weise eine findige Journalist*In gegeben) rührt eher aus Unfällen – aus einem Sich-Wohin-Wähnen, es nicht wirklich können, die Idee leidenschaftlich verfolgen. Plötzlich ist es Gewalt.
Anne: Wut ist ein wichtiges Gefühl, das wir (besonders Frauen) viel zu oft unterdrücken. Ist Euer gemeinsames Musikmachen ein Ventil, ihr Luft zu machen?
Helen: Ja, das stimmt. Wir geben unser Bestmöglich, um die Wut zu spüren und spürbar zu machen.
Anne: Wie kam es zu Eurem Bandnamen?
Helen: Wir wollten etwas durch und durch Entschlossenes entwickeln. Es ist schwierig, als "Gewalt" Mittelmaß darzubieten. Und ja, das Wort knallt. Der Name hat aber auch durchaus seine Nachteile. Es fällt Leuten, die die Musik nicht kennen oder kaum kennen, schwer, sich darunter etwas Schönes, Tanzbares, Trauriges, Zerbrechliches vorzustellen. Für uns stehen diese Attribute an gleicher Stelle, wie etwa Aggression, Dunkelheit oder das Spektakel. Oft geht das unter, wenn man von Gewalt spricht.
Anne: Ihr seid etwas komplett Eigenes. Es ist lustig zu lesen, wie die verschiedenen Outlets versuchen, Euch einen Stempel aufzudrücken und es einfach niemandem gelingen will. Was inspiriert Euch zu Eurem einzigartigen Sound? Welche Einflüsse würdet Ihr besonders hervorheben?
Patrick: Danke für die Wahrnehmung. Wir fassen das als Kompliment auf. Grundsätzlich rührt der Sound von einem gesunden Dilettantismus, gepaart mit dem Mut, alles ausprobieren zu können, was uns in den Sinn kommt. Wir interessieren uns sehr für Körperlichkeit, Wucht. Die kann man bei Techno ebenso finden wie bei Einstürzenden Neubauten oder DAF.
Minimalismus ist wohl auch wichtig – Sleaford Mods. Es braucht nicht viel, um etwas in Dir selbst zum Schwingen zu bringen. Während wir die Stücke geschrieben haben zu "Doppeldenk", sind wirklich seltsame Bandnamen gefallen, die man nicht unbedingt mit Gewalt in Verbindung bringen würde. Prince, Sheila E., Peter Licht, John Maus, Suicide, Timbalöand, Daft Punk, Kraftwerk. All diese fantastischen Künstler*innen stecken jetzt tief verborgen in Gewalt. Manchmal sind es auch nur Ideen. Andy Warhol hatte eine Anzeige zum ersten Konzert von The Velvet Underground im Village Voice geschaltet. Sie lautete: "We come to make you dance, and to blow your mind". Wir denken, es gibt kaum etwas, was besser zu uns passen sollte als genau das. Zumindest wünschen wir uns das. Jetzt hat ein britischer Journalist zu uns geschrieben "Out of Chaos – Revolution". Wir lieben es.
Anne: Seit Eurer Gründung 2016 ist weltweit einiges passiert. Wir sprechen heute von multiplen Krisen. Wie hat sich das auf Gewalt ausgewirkt?
"In unserer Kunst geht es um die Wirklichkeit"
Gewalt – Tourdaten
Patrick: In vielerlei Hinsicht. Während Krisen zeigen Menschen ihr wahres Gesicht. Alles verdichtet sich und platzt heraus wie aus einer eitrigen Wunde. Genau das ist der Stoff, aus dem Gewalt Songs sind. Das Tempo der vermeintlichen Veränderung scheint immer rasanter zu werden. Viele Menschen fühlen sich gehetzt und verloren. Generationsübergreifend ist eine große Leere entstanden in einem digitalen Vakuum. Auch darüber kann man nachdenken und Musik machen. Dann gibt es natürlich das Paradoxon, dass viele Menschen sich derzeit ausschließlich mit leicht zugänglichen Angeboten wie Insta & TikTok, seichter Musik, Netflix und anderem Bullshit betäuben wollen, um dieser Leere zu entfliehen. Gewalt persönlich ist da wohl kaum eine Ausnahme. Die Bereitschaft, sich ohne Animationsprogramm in einen lauten Groove mit verdichteter Aussage zu stellen, ist derzeit recht niedrig ausgeprägt. Viele wollen sich möglichst kostengünstig berieseln lassen und nicht behelligt werden mit Kunst, Literatur, Emotion und intensiver Musik. Hinzu kommt, dass wir gerade die letzten Züge eines maroden Systems erleben. Ein Großteil der Leute hat Angst davor oder ist schon pleite.
Anne: Warum muss man in Berlin immer so lange anstehen?
Patrick: Too much Too Many People. Algorithmus – pusht alle an die gleiche Stelle. Da steht man dann.
Anne: Wollt Ihr mir was über die Unterschiede der Berliner und der Wiener Musikszene erzählen?
Patrick: Gerne. Auch, wenn das alles nicht mehr brandheiß ist gerade – aus dem Wiener Sumpf sind wundervolle Popblüten gediehen, Wanda, Bilderbuch, Voodoo Jürgen, der Nino, Fuzzmann – alle hängen zusammen und teilweise auch zusammen ab. Wien ist sehr klein. Jeder kennt jede. Viele Lästereien, Intrigen, Lügen, Hypes, Gemauschel. All das gehört zur Musik. Es gibt eine engere Verzahnung zur Hochkultur. Das Schauspielhaus, das Volkstheater, die Literatur – alles verzahnt sich, alle saufen miteinander und bumsen sich gegenseitig. In Berlin wurstelt jeder so vor sich hin. Es gibt tausend kleine Zellen, jede für sich, meist erfolglos und ungesehen. Klar, Clubkultur – aber da kennen wir uns zu wenig aus. Wir hängen gerade einigermaßen gut mit den Leuten von Plattenbau ab. Die sind großartig. Hope ist außergewöhnlich. In der neuen Zukunft finden teilweise gute Shows statt. Was beide Städte verbindet, ist eine tief verbundene Hingabe zum Kokain.
Anne: Wenn Ihr etwas auf der Welt verändern könntet. Was wäre es und warum?
"Nationalstaatlichkeit sollte man aufheben"
Patrick: Keine*r denkt, in irgendeiner Art und Weise besser zu sein ist als irgendjemand anderes. Die Aufhebung jedweder Art von Nationalstaatlichkeit wäre erstrebenswert. Dann könnten auch nicht 18-Jährige für irgendeine bescheuerte Fahne auf Schlachtfelder geschickt werden.
Anne: Was habt Ihr heute noch vor?
Helen: Ich schreibe Förderanträge. Später gehen wir mit Freund*innen essen.
Anne: Vielen Dank, dass Ihr meine Fragen beantwortet habt! Es war mir eine Freude, Euch kennenzulernen!
Gewalt: Danke für die Fragen!