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    Mike Vennart im Interview

    "Forgiveness & The Grain" könnte die emotionalste Platte sein, die ich je gemacht habe"

    Interview von Anne
    26.01.2024 — Lesezeit: 6 min
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    Mike Vennart im Interview
    Bild/Picture: © Mike Vennart

    "Mike Vennart Interview" - ja, ihr habt richtig gelesen! Ich habe heute etwas wirklich Tolles für Euch: Das musikalische Mastermind Mike Vennart (Vennart, Oceansize, Biffy Clyro) hat sich Zeit für ein Interview genommen. Ich habe ihm Fragen über sein neues, am 2. Februar erscheinendes Album "Forgiveness & The Grain" gestellt. Außerdem haben wir uns über die Tatsache unterhalten, dass die Welt im Moment immer grausamer zu werden scheint – und darüber, wie man sich selbst motiviert, wenn man in einen kreativen Prozess startet. Ich wünsche Euch viel Freude beim Lesen!

    Anne: Mike! Gleich zuallererst: Danke, dass Du mir die Möglichkeit gibst, Dich zu interviewen! Für mich als großen Fan von Vennart, Oceansize, Biffy Clyro, Empire State Bastard, and British Theatre bedeutet mir das unendlich viel und es ist eine große Ehre für mich, Dich als Gast begrüßen zu dürfen! Wie geht es Dir heute? Du freust Dich sicher auf die Veröffentlichung Deines neuen Soloalbums "Forgiveness & The Grain", oder?

    Mike: Hi Anne. Mir geht es gut. Ich freue mich wirklich darauf, diese Platte zu veröffentlichen. Das brodelt schon so lange vor sich hin!

    Anne: Worum geht es auf "Forgiveness & The Grain"? Was ist das zentrale Thema?

    "Die Welt scheint immer grausamer zu werden"

    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart
    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart

    Mike: Nun, Vergebung ist nicht etwas, das man sich einfach so leisten kann. Erlösung ist heutzutage in der Geschichte von niemandem wirklich üblich. Die Welt scheint einfach immer grausamer zu werden. Immer nachtragender. Die Bereitschaft zu zerstören wächst. Diese Platte bettelt förmlich um Demut – gegen den Strom zu schwimmen.

    Anne: Welchen Song auf der Platte magst Du besonders gerne und warum?

    Mike: Ich glaube "The Japanese No". Es ist eine Art Flehen um Aufmerksamkeit, um Zuneigung. Aber ich verstehe, dass die Sehnsucht, die ich fühle, Teil dieser Liebe ist – wie eine Ratte, die eine Käsespur verfolgt.

    Es ist der psychedelischste Song des Albums, weil er üppig und verwirbelt ist, aber er ist auch ziemlich ruppig.

    Anne: Ich habe gelesen, dass Du Dir treu geblieben bist und "Forgiveness & The Grain" wieder ohne externe PR, Management, Producing, Plattenlabel und all diese Dinge gemacht hast. Ich kann mir vorstellen, dass das eine ziemliche Herausforderung bedeutet und mich beeindruckt es sehr, wie perfekt alles wird und wie großartig Deine Platten bei dieser Arbeitsweise werden. Du kannst Deiner Kreativität freien Lauf lassen. Es gibt sicher einige Hürden auf dem Weg zum fertigen Album, aber ich glaube auch viele Vorteile. Als Künstler, der beide Welten kennt: Was spricht für Dich am meisten dafür, allein zu arbeiten – ohne das komplette Besteck?

    "Den Song 'R U The Future??' Habe ich geschrieben, als ich die Oldham Street in Manchester entlanggelaufen bin"

    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart
    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennartt

    Mike: Es ist um ehrlich zu sein ganz einfach. Eine Platte allein zu veröffentlichen bedeutet für mich, dass ich das Geld mache – das ganze Geld. Ich kann also für meine steigende Miete aufkommen. Als ich Platten auf Label veröffentlicht habe – auch auf Major Labels – habe ich keinen verdammten Penny verdient.

    Anne: Wann hast Du angefangen, das Album zu machen und wann warst Du fertig?

    Mike: Ich weiß es offen gestanden gar nicht genau. Ich mache irgendwie die ganze Zeit irgendwas. Eines der Stücke habe ich geschrieben, als ich die Oldham Street in Manchester entlanglaufen bin – Es ist der Song "R U The Future??".

    Es war schwer, loszulegen, denn ich war sehr stolz auf "In The Dead, Dead Wood". Ich dachte, dass ich es nicht übertreffen könnte und möglicherweise niemand ein zehntes Album von mir möchte. Ich meine, wer braucht das schon? Aber es ist mein Job, Sachen zu machen, und das ziehe ich heutzutage den Live-Auftritten vor.

    Anne: Wenn es um das Schreiben von Songs geht, was würdest Du sagen, ist Deine wichtigste Quelle der Motivation? Was versetzt Dich in einen Flow?

    "Inspiration muss Dich beschäftigen"

    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart
    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennartt

    Mike: Es kann alles sein, aber es hat eine Weile gedauert, bis ich gelernt habe, tatsächlich anzufangen. Inspiration muss einen beschäftigen. Ich habe herumgesessen und den ganzen Tag Dope geraucht und darauf gewartet, dass mich die Inspiration voll erwischt. Das ist nicht wirklich passiert. Ich habe also angefangen zu improvisieren, mal die Gitarre eingestöpselt oder einen Synth, ein paar Pedale und einfach ein bisschen Zeug gefunden.

    Anne: Wie viel Einfluss von Empire State Bastard steckt im neuen Vennart Material?

    Mike: Eigentlich nicht so viel. ESB hat bestimmte Parameter, die sich nicht wirklich übersetzen lassen. "Seventy Six" hat einen Hauch von diesem Drone-Sludge-Vibe, aber mein eigenes Material tendiert mehr zum Emotionalen und das hier könnte die emotionalste Platte sein, die ich jemals gemacht habe.

    Anne: Wie würdest Du die Unterschiede beschreiben zwischen der Arbeit an Deinen Solo-Projekten und mit Oceansize in der Vergangenheit oder mit Biffy Clyro?

    Mike: Nun, Oceansize war ein Kampf auf Leben und Tod bei jeder einzelnen Entscheidung, die getroffen werden musste. Die Musik ist so verdammt gut, weil wir uns über jedes einzelne Detail den Kopf zerbrochen haben. Es war nicht einfach, aber ich denke, die Arbeit hat Bestand. Nichts ist vergleichbar mit Biffy, denn sie schreiben die Melodien, und ich überlege nur, wie ich mich einfügen kann, ohne zu sehr abzulenken. Um etwas, das bereits großartig ist, noch etwas zu vergrößern.

    Anne: Wie bereits erwähnt, bist Du an vielen Projekten beteiligt – die meisten davon hast Du selbst ins Leben gerufen. Du kümmerst Dich außerdem auch um den Großteil des Managements, der Produktion, der PR und so weiter. Woher nimmst Du die Zeit für all diese harte Arbeit? Möchtest Du mir Dein Geheimnis verraten?

    "Jess kümmert sich um die Artworks und den Shop"

    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart
    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart

    Mike: Das ist im Grunde gar nicht so viel. Es ist eine Menge Arbeit und meine Partnerin Jess ist da viel sachlicher unterwegs als ich – und zudem unglaublich künstlerisch. Jess kümmert sich um all die Artworks, den Shop und den Rest. Das hilft mir ganz enorm, weil ich nicht wirklich gut darin bin, Sachen zu lesen oder im Internet zu arbeiten.

    Anne: Wenn ich mich richtig informiert habe, hast Du die Songs für "Backseat Hards" geschrieben, als Du mit Biffy Clyro auf Tour warst. Das muss sehr inspirierend gewesen sein. Die Platte basiert auf Feldaufnahmen und Deiner Stimme zusammen mit Deiner Fender Acoustasonic – ein kompletter Kontrast zu "Forgiveness & The Grain". Ich mag das sehr! Hat "Forgiveness & The Grain" eine ähnliche Geschichte?

    Mike: Na ja, die "Backseat Hards" Geschichte war nur eine spontane, improvisierte Ideensammlung aus dem Tourbus. Die Tournee geriet aufgrund unterschiedlich schwerer Erkrankungen einige Male ins Stocken, und da es unsere erste Tournee seit der Pandemie war, war sie mit gemischten Gefühlen behaftet. Diese EP habe ich auf einem ausgedehnten Trip durch Mittelamerika gemacht, mit meiner Elektro-Akustik Fender, ein paar seltsame Pedalen und meinem iPhone. Die Feldaufnahmen habe ich in Roadside Motels, Backstage und in meiner Koje gemacht. "Forgiveness & The Grain" sind hingegen echte Songs mit Melodien und Worten.

    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart
    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart

    Anne: Die Umstände haben sich verändert und sind gerade in den vergangenen Jahren immer schlimmer geworden. Angefangen mit dem Krieg überall auf der Welt, den Menschen, die jeden Tag im Mittelmeer ertrinken und der Nazi-Krankheit, über die in Deutschland wieder wuchert, bis zum Brexit und an den traurigen Geschichten, die ihn umgeben in Großbritannien. Wie gehst Du mit diesem ganzen Mist um?

    Mike: Ich komme im Moment zugegebenermaßen nicht besonders gut damit klar, um ehrlich zu sein. Meine Begegnung mit der rechtsextremen Galionsfigur ist wieder aufgewacht, und ich durchlebe den Horror, überall im Internet belästigt zu werden, noch einmal. Diese verdammten kleinen Schweinehunde. Sie bewerfen mich den ganzen Tag mit ihrer Scheiße, jeden Tag. Leider ist es sinnlos, Schweine mit Scheiße zu bewerfen, weil Schweine das mögen.

    Anne: Es tut mir unendlich leid, dass Du mit dieser ganzen Scheiße kämpfen musst. Aber Du hast recht, sie verdienen es nicht, dass wir uns scheiße fühlen, weil sie sich so scheiße verhalten.

    Ich denke, all die Themen, die ich gerade angesprochen habe, sind Gründe, laut zu werden und niemals damit aufzuhören, politisch zu sein oder zumindest antifaschistisch. Ich sehe auf Deinen Social-Media-Profilen auch immer eine Menge antifaschistischen und anti-Bullshit Content, also dachte ich, ich frage Dich das mal. Ich hoffe, das ist OK. Warum glaubst Du, gibt es so viele Menschen, denen alles egal zu sein scheint, die sich darum scheren, ob Menschen, Tiere (oder die Erde selbst!) überleben und niemals ihre Meinung sagen?

    Mike: Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage, Anne. Warum sind so viele Leute so schrecklich unmenschlich? Warum sind sie so verzweifelt, dass sie nichts als grenzenlose Abscheulichkeit ausstrahlen? Wie sind wir so weit gekommen?

    Anne: Wenn Du etwas auf der Welt verändern könntest. Was wäre es und warum?

    Mike: Die Liste ist einfach zu lang, aber ich würde auf jeden Fall die konservative Partei und Rupert Murdoch zerstören. Sie sind der Krebs der modernen Gesellschaften, die Welt wäre ohne ihren Unfug ganz sicher ein besserer Ort.

    "Ich arbeite an einer Solo-Show"

    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart
    Mike Vennart. Bild/Picture: © Mike Vennart

    Anne: "Forgiveness & The Grain" erscheint am 2. Februar. Wow, die Zeit rennt! Ich freue mich wirklich sehr darauf. Die vorab veröffentlichte Single "Fractal" ist sehr vielversprechend. Sehr aussagekräftig und politisch. Wie sehen Deine Pläne für danach aus? Ich würde Dich wirklich gerne bald wieder live sehen und ich wette, es geht sehr vielen Menschen genauso! Werden wir Dich hier auf dem Kontinent bald wieder spielen hören?

    Mike: Ich weiß es nicht. Ich versuche gerade eine Solo-Show zu erarbeiten, bei der ich mit ein paar lauten Amps, Pedalen und Loopers auftreten kann – einfach ein bisschen allein Krach machen.

    Anne: Nochmal: Vielen vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast! Es war mir eine Freude, mich mit Dir zu unterhalten! Ich wünsche Dir alles Gute für Deine Pläne und das Album!

    Mike: Danke Dir, Anne!

    Vennart – "Fractal"

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