Elevator Bath Gründer Colin Andrew Sheffield

"Es gibt viele vegane Musiker*innen da draußen!"

Anne

Interview von Anne
02.07.2025 — Lesezeit: 8 min

🇬🇧 Read English Version

Elevator Bath Gründer Colin Andrew Sheffield
Bild/Picture: © Colin Andrew Sheffield

Elevator Bath Gründer Colin Andrew Sheffield hat sich mit mir zu einem Interview getroffen. Der Label-Inhaber und Soundkünstler ist seit über 20 Jahren Veganer. Wir hatten uns also eine ganze Menge zu erzählen. Natürlich haben wir uns auch über sein neues Album "Serenade" (ET 11. Juli 2025), seine Art, Musik zu machen und seinen Aktivismus unterhalten. Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen!

Anne: Hi Colin! Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst. Ich freue mich, Dich kennenzulernen. Wie geht es Dir heute?

Colin: Vielen Dank, Anne!  Ich freue mich auch auf unser Gespräch.

Anne: Du bist seit 1998 mit Deinem Label Elevator Bath aktiv. Das ist schon eine ganze Weile. Was hat sich seit der Anfangszeit verändert? Wünschst Du sie Dir manchmal zurück? Oder bist Du froh, dass sie der Vergangenheit angehören?

"Es ist erstaunlich, wie sich alles verändert hat"

Colin Andrew Sheffield – "Serenade"Colin Andrew Sheffield – "Serenade"

Colin: Es ist schon erstaunlich, wie viel sich seit damals verändert hat. In den 1990er-Jahren haben die Leute Musik noch in Geschäften oder über Versandkataloge (telefonisch oder per Post) gekauft, so wie sie es jahrzehntelang gewohnt waren. Mit dem Internet und später den Smartphones änderte sich alles grundlegend und es ging im Eiltempo weiter mit der Veränderung. Ich vermisse die alten Zeiten in mancher Hinsicht tatsächlich. Andererseits ist es heute viel einfacher, Musik zu finden, sie zu machen und zu verbreiten sowie physische Produkte herzustellen. Ich muss schon sagen, dass das ein echter Gewinn ist. Es ist heute vielleicht schwieriger, sich abzuheben und sich einen Namen zu machen. Vielleicht ist das aber auch besser so.

Anne: Du planst im Juli ein neues Album zu veröffentlichen. Glückwunsch dazu. Es ist wirklich großartig geworden! Was hat Dich zu "Serenade" inspiriert? Du hast es als eine Sammlung geplünderter Atmosphären beschrieben und offen gestanden, hat mich genau das dazu gebracht, mich in diese Songs zu vertiefen. Für mich ist das die perfekte Kombination und das beschreibt am treffendsten, was ich an Musik am meisten liebe.

Colin: Danke! Die Inspiration für dieses Album kam von meiner Idee, mit Samples zu arbeiten, die klassische Hip-Hop-Produzent*innen verwendet hätten, aber mit ganz anderen Ergebnissen. Ich habe Funk, Soul, Jazz und verschiedene Platten aus meiner Sammlung verwendet. Es war vor allem ein Experiment für mich selbst. Ich habe schon immer versucht, atmosphärische Musik zu machen und diese speziellen Sounds dafür zu nutzen, war eine reizvolle Herausforderung.

Anne: Wie viele Menschen haben an "Serenade" mitgearbeitet?

Colin: Ich denke, das hängt davon ab, wie man solche Dinge bewertet. Jede ästhetische Entscheidung wurde allein von mir getroffen. Ich habe alles zu Hause aufgenommen und den Schnitt und das Mischen selbst übernommen. An einigen anderen Aspekten waren allerdings viele Leute beteiligt: Zum Beispiel am Mastering des fertigen Audios (danke an Stephan Mathieu und Andreas Lubich), an den Fotos für das Cover (danke an Adam Pacione) und an allgemeinen Ratschlägen während des Aufnahmeprozesses (danke an mehrere Freunde und Familienmitglieder).

Anne: Die zwölf Stücke auf "Serenade" sind Audio-Collagen Deiner stilistischen und technischen Entwicklung der letzten 25 Jahre. Wie war es, Deine Diskografie in allen Schritten und Phasen Deiner Kreativität zu durchstöbern? Ich kann mir vorstellen, dass das ziemlich intensiv war.

"'Serenade' ist eher ein Höhepunkt als eine Zusammenstellung"

Colin Andrew SheffieldColin Andrew Sheffield

Colin: Ich denke, dieses Album ist eher ein Höhepunkt als eine Zusammenstellung, falls das irgendwie Sinn ergibt. Insofern ist die Verschmelzung der verschiedenen Stile und Ansätze fast unbewusst passiert.

Anne: Deine Musik lebt von ihren Loops, Texturen und Schichten. Ist das Leben auch so?

Colin: Vielleicht! Ich habe nie über diesen Zusammenhang nachgedacht, aber vielleicht bist Du da auf der richtigen Spur.

Anne: Vor über 20 Jahren hast Du Dich entschieden, vegan zu leben. Bei mir ist es jetzt 12 Jahre her und ich erinnere mich an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen. Kannst Du das nachvollziehen?

Colin: Ja, das kann ich. Aber ich muss gestehen, dass ich mich nicht mehr genau an das Datum erinnere! Meine Frau und ich wurden gemeinsam vegan, und zwar um ihren Geburtstag herum, vor etwas mehr als 21 Jahren. Daher betrachten wir diesen Tag heute als unser "veganes Jubiläum".

Anne: Das ist eine schöne Idee. Du bist aus Austin, Texas. Wie würdest Du die Vegan-/Tierrechts- und Musikszene in Deiner Stadt beschreiben?

Colin: Die vegane Szene hier ist im Allgemeinen recht gut. Aber wie in vielen (wenn nicht allen) Städten gibt es auch hier Schwankungen. Vor etwa einem Jahrzehnt war die Szene hier noch im Aufschwung und hatte sich noch nicht so weit entwickelt. Irgendwann wurde Austin zu einem absoluten Highlight, mit unzähligen komplett veganen Geschäften, die über die ganze Stadt verteilt waren. Es war wirklich wunderbar. Das hielt bis zum COVID-19-Lockdown an. Leider haben einige Restaurants diese Zeit nicht überlebt. Die vegane Szene hat sich seitdem teilweise erholt, aber nicht auf dem Niveau vor COVID. Und leider gehe ich davon aus, dass diese Zeiten für immer vorbei sind.

Austin ist für seine Musikszene bekannt und obwohl ich den Ruf der Stadt für übertrieben halte, gibt es tatsächlich eine Reihe von Veranstaltungsorten und -reihen für experimentelle, improvisierte oder anderweitig kreative Musik. Wir haben hier also großes Glück. Wer hier auftreten möchte, findet hier sehr leicht Möglichkeiten. Es gibt hier auch mehrere hochwertige Plattenläden. Ich finde, es ist immer noch eine gute Musikstadt.

Anne: Was Du über die vegane Szene gesagt hast, erinnert mich tatsächlich an Hamburg. Wie spannend, dass es da diese Parallelen gibt. Aber wahrscheinlich hast Du recht und es ging den meisten Städten so.

Gibt es in Austin einen veganen Laden, den Du den Sounds Vegan Leser*innen gerne empfehlen möchtest?

Colin: Absolut. Ich könnte einige aufzählen, aber ich beschränke mich auf zwei. Li'l Nonna's Pizza ist eine außergewöhnlich tolle, vollständig vegane Pizzeria, in der alles frisch zubereitet und wirklich lecker ist! Mein zweiter Lieblingsort ist Nissi VegMex, ein komplett veganes, mexikanisches Restaurant, das die unglaublichsten Tacos und Flautas serviert, die ich in meinem Leben gegessen habe!

Anne: Das klingt wunderbar. Ich habe Lust, das irgendwann alles mal zu probieren!

Wie hat Dein Engagement für den Veganismus Deine Herangehensweise an das Musikmachen beeinflusst?

"Das nächste Album basiert auf Aufnahmen, die Andrew in einem Tierheim von geretteten Hühnern gemacht hat"

Colin Andrew SheffieldColin Andrew Sheffield

Colin: Ich neige dazu, meine Interessen in manchen Punkten zu trennen. So hat meine Soloarbeit im Allgemeinen wenig direkten Bezug zu Veganismus oder Tierrechten (obwohl ich bei meinen letzten Solo-Auftritten ein von mir zusammengestelltes Hintergrundvideo mit Aufnahmen verschiedener sogenannter "Nutztiere" in ihrem natürlichen Lebensraum gezeigt habe, um ihre Schönheit hervorzuheben). Mit meinem Freund (auch Veganer) Andrew Anderson habe ich aber zum Beispiel ein Projekt, in dem wir uns viel deutlicher auf Tiere konzentrieren. Unsere erste Veröffentlichung basiert vollständig auf Tiergeräuschen (wiederum speziell auf sogenannte "Nutztiere") oder war von ihnen inspiriert. Und unser kommendes Album ist nach dem gleichen Prinzip entstanden. Tatsächlich basiert diese neue Platte, die später in diesem Jahr oder möglicherweise Anfang 2026 erscheinen wird, auf Aufnahmen, die Andrew von geretteten Hühnern in einem Tierheim gemacht hat. Das Cover stammt ebenfalls von der bedeutenden veganen Noise-Artistin Masami Akita (alias Merzbow).

Anne: Hast Du auch Elevator Bath schon als Plattform dafür genutzt, Dich für Tierrechte und den Veganismus einzusetzen? Möchtest Du ein Beispiel nennen?

Colin: Ja. Das beste Beispiel dafür war mein Foodtrailer "Pulse Vegan", den ich von 2014 bis 2015 in Austin betrieben habe. Ich habe einen Trailer gekauft und dann eine Kickstarter-Kampagne gemacht, um Geld für die Ausstattung, den Anstrich und alles andere zu sammeln. Unterstützer*innen, die einen bestimmten Betrag bei der Kickstarter-Kampagne eingezahlt haben, haben eine limitierte 7-Zoll-Sonderedition von Elevator Bath geschenkt bekommen. Diese Platte hieß "Pulse Vegan" und enthielt zwei eigens für dieses Projekt komponierte Tracks des bereits erwähnten Merzbow. Dieses Projekt hat viel Aufmerksamkeit (Pitchfork veröffentlichte sogar eine kleine Story darüber) erhalten und die Kickstarter-Kampagne war ein voller Erfolg. Der Trailer hielt aus verschiedenen Gründen nicht lange, aber ich bin trotzdem stolz auf die Leistung.

Anne: Darauf darfst Du auf jeden Fall stolz sein! Das klingt so spannend. Ich finde es faszinierend, wie viel Du in Deiner Karriere schon ausprobiert hast. Das ist wirklich kreativ.

Experimentelle Musik regt die Hörer*innen immer wieder zum Umdenken an. Glaubst Du, dass Musik ein Instrument für sozialen Wandel sein kann, insbesondere in Bezug auf den Veganismus und die Tierrechte?

Colin: Ja, das tue ich. Es kann zwar schwierig sein, konkrete Ideen mit abstrakter, instrumentaler Musik zum Ausdruck zu bringen. Allerdings ist auch alles, was wir unternehmen können, um Menschen zum Nachdenken über verschiedene Perspektiven anzuregen, hilfreich.

Anne: Du hast vor Kurzem an einer Compilation zum Thema Tierrechte mitgewirkt. Möchtest Du mir mehr über dieses Projekt erzählen und welche Bedeutung es für Dich hat? Persönlich und künstlerisch?

Colin: Meine Freundin Sukitoa o Namau hat das Projekt (FleshTV1) angestoßen. Sie hat eine ganz besondere Compilation und ein dazugehöriges Buch zusammengestellt. Das Gesamtpaket ist wunderschön geworden. Es ist eine wirklich beeindruckende Besetzung von Sound-Künstler*innen, die alle auch zum Buch beigetragen haben. Ich habe zum Beispiel einen Essay darüber geschrieben, wie und warum ich vegan wurde. Der Solo-Track, den ich für die Compilation komponiert habe, ist, wenn auch etwas indirekt, von Delfinen inspiriert. Mehrere meiner Freunde und Kollegen waren an diesem Projekt beteiligt, daher freut es mich besonders, Teil davon zu sein.

Anne: Ich möchte gerne eine Frage, die mir eine Freundin vor einigen Tagen gestellt hat, an Dich weitergeben, da ich sie ziemlich gut finde: Beeinflusst Deine vegane Lebensweise Deine Kaufentscheidungen für Dinge wie Schallplatten und Ähnliches? Beeinflusst sie auch Deine Entscheidungen bei der physischen Musikproduktion, wie Vinyl, Verpackung oder Merchandise?

Colin: Sicher. Die Auswahl an solchen Produkten ist zwar etwas eingeschränkt, glücklicherweise enthalten sie jedoch meist keine tierischen Bestandteile. Darum konzentriere ich mich vor allem auf andere Aspekte, wie darauf, keine Produkte in Ländern herstellen zu lassen, in denen es in der Vergangenheit zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Ich trage zum Beispiel immer T-Shirts, die in den USA und vorzugsweise in gewerkschaftlich organisierten Betrieben hergestellt wurden. Trotzdem halte ich die Umweltverschmutzung bei all diesen Produktionen für ein großes Problem. Ich versuche zum Beispiel immer, Verpackungsmaterialien weiterzuverwenden und Müll möglichst zu vermeiden. Aber es ist schwierig. Jedes neue physische Produkt herzustellen oder zu kaufen, ist von Natur aus problematisch.

Anne: Gibt es vegane oder tierrechtsorientierte Künstler*innen, die Dich auf Deinem Weg inspiriert haben? Musikalisch oder für Deinen Aktivismus? Möchtest Du ein paar Namen nennen?

Colin: Ich habe ihn schon ein paar Mal erwähnt, aber die offensichtlichste Antwort ist Masami Akita (Merzbow). Ich bin natürlich ein großer Fan seiner Klangkunst, aber sein vollkommen unverblümtes Eintreten für Tiere hat mich sehr inspiriert. Er hat es so sehr in den Mittelpunkt seiner Persönlichkeit gestellt, dass Tierrechte mittlerweile weithin mit ihm in Verbindung gebracht werden, obwohl er viele Jahre aktiv war, bevor er Veganer wurde. Außer Masami fallen mir in diesem Genre im Moment leider nicht viele Referenzen ein. Offen gesagt bin ich ständig enttäuscht, wie wenige experimentelle oder elektronische Musiker Tierrechte zu priorisieren scheinen. Es gibt da draußen sicher mehr, als mir bewusst ist, aber manchmal kann man sich einsam fühlen, besonders in Texas.

Anne: Was steht als Nächstes für Dich an? Was hast Du heute vor? Wie sehen Deine Pläne aus? Und wie geht das Jahr weiter?

"Ich kann mir keinen besseren Ausgangspunkt für eine unendlich bessere Welt vorstellen als diesen Moment"

Colin: Heute verpacke ich ein paar Platten für den Versand und versende Werbemails für die nächsten Veröffentlichungen bei Elevator Bath. Vielleicht gehe ich dann noch in einen Plattenladen. Nichts allzu Aufregendes. Den Rest des Jahres werde ich die nächsten Veröffentlichungen für das Label und die bereits erwähnte gemeinsame Veröffentlichung mit Andrew Anderson, die bei einem anderen Label erscheinen wird, fertigstellen. Bald stehen einige Live-Auftritte an, auf die ich mich ebenfalls vorbereiten muss. Außerdem hoffe ich, noch vor Jahresende mit neuen Soloprojekten beginnen zu können.

Anne: Wenn Du etwas auf dieser Welt verändern könntest. Was wäre es und warum?

Colin: Das ist eine große Frage! Meine Antwort wäre daher passend dazu die weltweite Abschaffung des Kapitalismus. Der Großteil des Übels auf dieser Welt ist dem Kapitalismus entsprungen. Ich kann mir daher keinen besseren Ausgangspunkt für eine deutlich bessere, gerechtere und fairere Welt für alle Lebewesen vorstellen.

Anne: Vielen Dank, dass Du meine Fragen beantwortet hast! Ich wünsche Dir alles Gute für die "Serenade" Veröffentlichung!

"Serenade" von Colin Andrew Sheffield erscheint am 11. Juli 2025. Hier könnt Ihr schon reinhören:

Colin Andrew Sheffield – "Serenade"

Footnotes

Interessante Beiträge

Kategorien & Stichworte