A Dog Called Ego
Interview zum neuen Album "Paper Boat"
Interview von Anne
17.07.2025 — Lesezeit: 9 min

Die Hamburger Post-Rock-Band A Dog Called Ego meldet sich eindrucksvoll zurück. Mit dem neuen Album "Paper Boat", das am 27. Juni 2025 erschienen ist, setzt das Projekt nach "Living Seriously Damages Health" (2006), "Happy Happy Apocalypse" (2011) und "Songs For Elevators" (2013) erneut ein tief melancholisches und zugleich druckvolles musikalisches Zeichen. Ich habe mich mit Sänger und Gitarrist Christoph und Schlagzeuger Dirk über kreative Prozesse, musikalische Entwicklung und die Geschichten hinter den neuen Songs unterhalten.
Anne: Hi! Danke, dass Ihr Euch die Zeit nehmt! Wie geht es Euch?
Christoph: Hey Anne! Uns geht's super, wir freuen uns auf den Release der Platte und sind froh, die Songs aus dem System zu haben. Jetzt können wir endlich neue schreiben.
Anne: Gratulation zu "Paper Boat"! Es ist ein wunderbar emotionales Album geworden und ich feiere das sehr. Was hat Euch beim Schreiben und Aufnehmen der neun Songs vergangenen Winter am meisten bewegt und inspiriert?
"Wir hatten einen Wasserschaden im Bandraum!"
Christoph: Danke Dir! Den Vibe der Platte verdanken wir ironischerweise vielleicht auch einem Wasserschaden: Unser Proberaum wurde unbrauchbar, also sind wir in ein leerstehendes Büro im 16. Stock gezogen, mit Blick über Hamburg. Da ging das Schreiben fast von selbst. Ich habe irgendwann mein Aufnahmezeug mitgebracht und wir sind direkt ins Recording gestartet. Ohne Druck, mit viel Luft und einem Blick, der inspiriert hat (Foto anbei). Die Texte tragen den emotionalen Teil. Da steckt viel Persönliches drin: Verluste, das Älterwerden, Elternschaft und der ganze Wahnsinn da draußen.
Anne: Bei Euch hört man Post-Rock, Metal und auch Grunge raus. Sind das die Genres, die Ihr am liebsten hört? Würdet Ihr sagen, dass die Sachen, die Euch inspirieren, im Studio ganz klassisch zusammenlaufen?
Christoph: Wir haben unsere Wurzeln im Metal und in härterer Gitarrenmusik. Selbst wenn wir Synth-Pop machen würden, könnte man das wahrscheinlich hören. Wir sind alle einigermaßen eingefleischte Musik-Nerds und von allem beeinflusst, was uns musikalisch bewegt. Ich kann noch so sehr versuchen, originell zu sein, meistens höre ich dann Kommentare wie: „Ach ja, das klingt nach Dir.“ Unser Songwriting überrascht uns oft selbst. Manche ruhigen Ideen werden zu Krach, gelegentlich ist es umgekehrt und manchmal entwickelt sich ein eher lustig gemeinter Jam zu einem Titelstück. Paper Boat beispielsweise trug lange den Arbeitstitel "Obituary" und mir war es fast peinlich, das Demo an die anderen zu schicken.
Dirk: Es läuft nicht erst im Studio zusammen, da haben wir schon eine genauere Idee, wie der jeweilige Song werden könnte. Aber beim Proben und Songwriting kann es auch durchaus vorkommen, dass wir aus einem Blues-Lick nahtlos in Disco übergehen, passiert einfach.
Anne: Was hat Euch zum Titel "Paper Boat" inspiriert? Ich denke da zugleich an Kreativität und Struktur und gleichzeitig auch an Vergänglichkeit. Was verbindet Ihr damit?
Christoph: Das Album ist unseren Kids gewidmet und Paper Boat stand ganz am Anfang für mich synonym für meine Tochter, die fragil in unsicheren Wassern unterwegs ist. Das Album ist kein Konzeptalbum, aber das Motiv zieht sich durch viele Songs.
Anne: Welcher Song auf der Platte ist für Euch persönlich am wichtigsten?
Christoph: Für mich ist da der Titeltrack schon recht weit vorn, weil er mich inhaltlich stark bewegt. Es ist mein Versuch, unsere Kinder um Entschuldigung für das zu bitten, was die vorherigen Generationen kaputtgemacht haben. Kriege und der Klimawandel werden unsere Altersklasse vielleicht noch mit einem blauen Auge davonkommen lassen. Meine Kleine ist sechs Jahre alt, die wird es mit voller Härte treffen. Der Gedanke ist unerträglich. Lieblingssongs wechseln aber auch, ähnlich wie das Wetter in Hamburg. Im letzten halben Jahr hätte ich Dir vermutlich neun verschiedene Antworten gegeben.
Dirk: Bei mir hält sich Holding Hands hartnäckig in der Heavy Rotation. Ich mag die fließende, unbestimmte Atmosphäre. Man wird an die Hand genommen für einen kurzen Ausflug.
Anne: Wie hat Eure Umgebung – Hamburg im Winter – den Klang oder die Stimmung des Albums beeinflusst?
"Der Winter in Hamburg ist das einzig Blöde an der Stadt"
Christoph: Die aggressiven Parts klingen vielleicht noch etwas wütender, weil der Winter in Hamburg einfach das einzig Blöde an der Stadt ist (lacht). Aber mal im Ernst: Ich glaube, die Location hat uns beflügelt, da war das Wetter eher zweitrangig.
Dirk: Location. Das Album hätte vermutlich anders geklungen, wenn es in einer ‚normalen‘ Probeumgebung entstanden wäre, unabhängig von der Jahreszeit.
Anne: Christoph, mit dem Winter muss ich Dir rechtgeben. Der kann schon wirklich anstrengend sein, hier in Hamburg. Wenn man da zwischendurch nicht ab und zu mal rauskommt, kann einem schon mal die Decke auf den Kopf fallen (lacht).
Eure Musik wird ja immer wieder als "cinematisch" beschrieben. Ich habe das schon von einigen Musiker*innen gehört und finde das sehr spannend: Denkt Ihr beim Komponieren gelegentlich auch in Bildern oder Szenen?
Christoph: Diese Beschreibungen kommen ja meistens aus Reviews oder Presskits, die selten von den Bands selbst geschrieben werden. Wenn Du uns als Musiker fragst, sagen wir meistens: "Wir machen laute Gitarrenmusik". Aber ich kann schon verstehen, was gemeint ist, wenn Leute unsere Musik so beschreiben. Ich denke meistens erst in Bildern, wenn die Texte dran sind. Die schreibe ich immer zuletzt. In aller Regel sind es die Stimmungen der Songs, die mich dann inspirieren.
Dirk: Das ist eine Besonderheit bei uns, dass in den meisten Fällen zuerst die Musik da ist und nicht ein Song anhand eines Textes geschrieben wird, wodurch Musik und Text nach meinem Verständnis gleichberechtigter sind, falls das Sinn ergibt. Ich benutze sicherlich visuelle Beschreibungen von auditiven Ereignissen (der Refrain von Paper Boat ist ‚weit‘), aber das war's dann auch schon mit der Synästhesie.
Anne: Würdet Ihr sagen, dass Ihr gerne improvisiert?
Christoph: Definitiv. Wir sind keine Jam-Band, aber wir könnten sicherlich eine Stunde Programm mit Musik füllen, ohne uns vorher Gedanken zu machen. Ob das gut wäre, sei mal dahingestellt. Live ist das aber eine Komponente, die uns wichtig ist. Songs dürfen leben und sollten sich auch auf der Bühne entwickeln können. Während wir auch in der Vergangenheit mal Backing-Tracks genutzt haben, wenn wir beispielsweise nur als Trio unterwegs waren, haben wir uns mittlerweile vom Korsett der Konserve getrennt. Das ist zwar fehleranfälliger, macht aber auch mehr Spaß.
Anne: Wenn Ihr beim Schreiben an Eure Einflüsse denkt. Also etwa Bands wie Pink Floyd, King Crimson und Porcupine Tree. Wie gelingt es Euch, Euch lediglich von ihrer Musik inspirieren zu lassen und vielleicht gelegentlich mal ein kleines Zitat einstreuen und nicht für einzelne Songs ihren Stil zu übernehmen?
"Erlaubt ist, was Spaß macht"
Christoph: Das Schöne ist, dass wir im Ursprung schon einen Konsens der harten Gitarrenmusik finden, aber jeder diese Vorliebe anders auslebt. Während ich viel Post-Rock und Prog höre, ist das bei den anderen nicht unbedingt die Präferenz. Es gibt wenige Bands, die wir alle gleichermaßen lieben. So bringt jeder mit, was ihn bewegt. Unser Anspruch war immer, Musik zu machen, die wir selbst hören wollen. Da kommen alle Einflüsse zusammen. Ich liebe 90er Grunge, aber eben auch Deathmetal aus der gleichen Zeit, da kann dann schon mal so ein Song wie Paper Boat passieren.
Dirk: Ein wichtiger Aspekt an A Dog Called Ego ist, dass im weiteren Sinne "erlaubt ist, was Spaß macht". Wir lassen uns nicht von Genregrenzen abhalten oder orientieren uns am Sound anderer Bands, sondern spielen Dur in Metalparts und ballern in Balladen, wenn wir finden, dass das da hingehört. Der Maßstab ist der von Christoph erwähnte Konsens.
Anne: Ich habe schon einige Bands interviewt, die mit Magnus Lindberg zusammengearbeitet haben. Alle waren bisher restlos begeistert. Wie war die Zusammenarbeit für Euch? Wie hat es sich angefühlt, Eure fertigen Stücke in seine Hände zu geben?
Dirk: Die Mixe von Christoph waren ja schon so gut, dass wir gar nicht mehr aufhören mochten, sie zu hören, deshalb hatten wir kein Problem damit, sie wegzugeben. Und Magnus hat dem Sahnehäubchen noch die Kirsche aufgesetzt. Ich finde es beeindruckend, wie er zum Beispiel die Extraportion Punch noch unterbringen konnte.
Christoph: Ich kenne Magnus schon eine Weile und hatte bereits ein Album meiner vorherigen Band gemastert. Er ist schnell, zuverlässig und versteht es sehr gut, sich in die Musik der Bands, mit denen er arbeitet, hereinzudenken. Es hat sich sehr gut angefühlt, ihm die fertigen Mixe zu überlassen, das würde ich jederzeit wieder tun. Für diese Art von Musik gibt es meiner Meinung nach gerade niemand Besseren. Wenn man ein halbes Jahr an etwas gearbeitet hat, ist es super angenehm, das Ganze in die Hände eines Menschen zu geben, dem man vertraut.
Anne: Das Mixing hat Christoph Härtwig im The Cave Studio übernommen, bevor das Album final zum Mastering an Magnus ging. Wie zufrieden wart Ihr zu diesem Zeitpunkt schon mit den Stücken? Hattet Ihr schon konkret geplant, wie sie sich anschließend anhören sollten?
Christoph: Wir wussten schon nach den Aufnahmen, dass wir auf einem guten Weg waren. Wir haben eine Weile überlegt, ob wir das Mixing aus den Händen geben oder ob ich es wieder selbst mache. Der Gedanke an ersteres war verlockend, aber die Rohmixe haben uns so gut gefallen, dass wir uns das Geld gespart haben. Beim Gesamtsound hatte ich eine recht klare Vorstellung, die hatte ich auch bei den Aufnahmen schon immer im Hinterkopf. Ein großer Teil des Klanges entsteht ja bereits am Mikro.
Anne: Wie wichtig ist es Euch, beim Aufnehmen die kreative Kontrolle zu behalten?
Christoph: Wichtig! Ich habe lange ein Studio betrieben und damit eigentlich nur angefangen, weil ich 100 Prozent kreative Kontrolle wollte. Das hat sich bis heute gehalten. Ein neuer Aspekt war dieses Mal, dass wir mit Chris Aidonopoulos (Harmful, Rinderwahnsinn) am Bass jemanden dabeihatten, der nicht fester Teil der Band ist. Wir wollten von ihm aber auch explizit kreativen Input. So hat es sich mitunter fast angefühlt, als wäre er unser externer Produzent, der uns Guidance gibt. Einige radikale kreative Eingriffe in das Album gehen auf sein Konto.
Dirk: 100 Prozent. Was ja aber nicht heißt, dass wir beratungsresistent sind. Die Anmerkungen von Chris haben dem Album gutgetan, aber sein kreativer Input im tieffrequenten Bereich hat mich viel mehr beeindruckt. Wir haben ihm völlige kreative Freiheit bei den Bassparts gelassen und hätten mit dem Resultat dieser „Wette“ nicht zufriedener sein können. Das beigesteuerte Material hat die Tracks in Klang, Wirkung und Gefühl stellenweise erweitert oder sogar umgedeutet, aber immer voll ins Schwarze getroffen.
Anne: Ihr seid ja insgesamt schon seit zwei Jahrzehnten aktiv. Was hat sich in dieser Zeit für Euch als Band verändert? Gibt es auch etwas, das seit Eurem Debütalbum "Living Seriously Damages Health" gleich geblieben ist?
"Die Band ist seit 20 Jahren Teil meiner Familie!"
Christoph: Es hat sich einiges verändert. Hervorzuheben ist sicher das Line-up, von der Urbesetzung sind nur Dirk und ich übrig geblieben. Das hört man an der Musik und das merkt man im Zusammenspiel als Band. Mit Simon, der jetzt aber auch schon sieben Jahre dabei ist, und mit Johannes am Bass, der gerade neu dazugestoßen ist, fühlt es sich gerade wieder wie früher an. Wir sind eine Gruppe von Leuten, die menschlich sehr gut miteinander klarkommen, über die gleichen blöden Witze lachen können und Spaß an der Musik haben. Das war damals schon so, als A Dog Called Ego nur ein Proberaumprojekt war, das eigentlich niemals eine Band werden sollte.
Dirk: A Dog Called Ego gehört für mich seit 20 Jahren zur Familie. Ich habe auch andere Musik gemacht, aber hier ist seither immer mein musikalisches und kreatives Zuhause gewesen.
Anne: Was machen die von Algorithmen geformten kurzen Aufmerksamkeitsspannen der Menschen mit der Musikszene? Wie erlebt Ihr das?
Dirk: Alles wird Grindcore. Da waren die Songs schon immer überschaubar lang. Das ist im übertragenen Sinne gemeint: Ich fürchte, dass Menschen, die sich die Zeit nehmen, ein ganzes Album mit guten Kopfhörern bewusst durchzuhören, nur noch mehr in die Nerd-Schublade gesteckt werden, als das heute schon der Fall ist. Dabei wäre besagtes Intensivhören ein super Kontrast zur Schnell- und Kurzlebigkeit der Welt und würde vielen Doomscrollern guttun.
Christoph: Ich weiß gar nicht, ob die Algorithmen mehr Schaden anrichten oder Smartphones. Ich habe letztens einen Mitschnitt von Sepultura auf dem Pinkpop 1996 gesehen. 60.000 Leute, kein Telefon. Nur Fokus auf Spaß und die Band auf der Bühne. Ich bin so alt, dass ich mich an diese Zeit erinnere und das fehlt mir. Mit der Aufmerksamkeitsspanne hast Du einen guten Punkt. Wir leben im Informationsüberfluss, das ist für unsere kleinen Hirne schwer zu handeln. Leider ist da für Musik bei vielen Menschen kein Platz mehr. Aber wenn man mal ehrlich ist, gab es dieses Phänomen auch früher schon. Es hieß Radio.
Anne: Wenn Ihr etwas auf der Welt grundlegend verändern könntet. Einfach so. Was wäre es und warum?
"Wir träumen von einer großen Tour!"
Christoph: Neben Weltfrieden? Ich wünsche mir einen bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen. Wir werden alle sterben, das ist klar. Aber wenn wir nicht aufpassen, wird die Zeit, die wir haben, immer weniger lebenswert. Es gibt ein paar Dinge, die nicht wehtun und die erwiesenermaßen helfen würden, die Welt zu retten. Keine Tiere zu essen, zum Beispiel. Danke an dieser Stelle für Dein Engagement dazu.
Dirk: Teile meiner Antwort auf diese Frage würden die Bevölkerung verunsichern. Die anderen Teile hat Christoph schon abgedeckt.
Anne: Habt Ihr schon Tourpläne?
Christoph: Eher Tourträume. Wir bringen uns gerade in Form für ein paar Gigs, die wir im Herbst spielen wollen, da ist aber noch nichts spruchreif. Für alle, die es interessiert, werden wir diese Information aber selbstverständlich über unsere Kanäle wie Instagram oder Bandcamp streuen.
Anne: Vielen Dank, dass Ihr meine Fragen beantwortet habt. Ich wünsche Euch viel Erfolg mit dem Album und Euren Plänen!
Christoph und Dirk: Danke für das Interview, mach weiter so.