Pinguine schützen das Klima

Neues Paper zeigt unterschätzten Einfluss von Pinguinkolonien

Anne

Beitrag von Anne
27.06.2025 — Lesezeit: 4 min

Pinguine schützen das Klima
Bild/Picture: © MemoryCatcher, Pixabay

In der Debatte um die Klimakipppunkte geht es oft um große, visuell eindrückliche Prozesse: das Abschmelzen des Eisschilds, das Tauen des Permafrosts, das Kippen des Amazonas. In Wirklichkeit sind es jedoch auch die unzähligen kleinen Puzzleteile, die am Ende eine große Wirkung haben können. Die aktuelle Studie von Andrea Baccarini et al., erschienen in Nature Communications Earth & Environment (Nature, Juni 2025)1, erinnert eindrucksvoll daran, dass auch scheinbar winzige atmosphärische Prozesse eine zentrale Rolle spielen und eng mit unseren biologischen Systemen verknüpft sind. Konkret geht es darin um antarktische Seevogelkolonien und den Kot von Pinguinen.

Das interdisziplinäre Forschungs- und Autor*innenteam des Papers bestehend aus Andrea Baccarini (Erstautor), Julia Schmale, Paul Zieger, Michaela Gysel-Beer und vielen weiteren Forschenden untersuchten die Partikelneubildung (New Particle Formation, NPF) in der antarktischen Troposphäre. Sprich: Die Bildung von winzigen Aerosolpartikeln, die später als Wolkenkondensationskerne fungieren können. Diese Partikel sind entscheidend für die Strahlungsbilanz der Erde. Die zentrale Frage, die sie sich dabei stellten, lautete: "Woher kommt das nötige Ammoniak, das für diese Partikelbildung eine Schlüsselrolle spielt?"

Wenn die Luft dünn wird

Die Antwort ist überraschend konkret: Die Hauptquelle im untersuchten Gebiet ist keineswegs geologischer oder ozeanischer, sondern biologischer Natur. Es sind Kolonien von Pinguinen und anderen Seevögeln, die in der Umgebung große Mengen an stickstoffhaltigen Substanzen emittieren. Die Forschenden konzentrierten sich bei ihrer Arbeit auf die Küstenregion von Marambio auf der Seymor Insel östlich der antarktischen Halbinsel. Dort befindet sich eine Forschungsstation, in deren Nähe eine große Pinguinkolonie lebt. Die Messungen zeigten, dass diese Kolonie eine signifikante Quelle für atmosphärisches Ammoniak vor Ort darstellt. Die Autor:innen schreiben dazu:

"Pinguin-Kolonien sind große Quellen für Ammoniak im antarktischen Küstengebiet. Die Ammoniakmenge aus dem Südpolarmeer ist dagegen vernachlässigbar."

Die Konzentration an Ammoniak stieg in unmittelbarer Nähe zu den Kolonien messbar an – und zwar um ein Vielfaches gegenüber dem Hintergrundniveau.

Mikroprozesse mit Makroeffekten

Das ist vor allem deshalb relevant, weil diese lokal erzeugten Gase – in erster Linie Ammoniak (NH₃) und Dimethylamin (DMA) – mit den natürlichen Schwefelverbindungen der Ozeane (z. B. Dimethylsulfid, DMS) reagieren und dabei neue Partikel erzeugen können. Diese wiederum wachsen unter bestimmten Bedingungen zu klimawirksamen Aerosolen heran.

Was auf den ersten Blick ziemlich kompliziert klingt, ist beachtlich und könnte ein wichtiger Schritt für die Klimaforschung bedeuten: Der ebenfalls durch biologische Prozesse freigesetzte Beitrag von Dimethylamin beschleunigt die Partikelneubildung exponentiell. Die Forscher:innen berechneten in ihrer Arbeit, dass die Reaktionsgeschwindigkeit um das bis zu 10.000-fache steigt, wenn DMA beteiligt ist. Im Paper heißt es:

"Unsere Simulationen zeigen, dass die Anwesenheit von DMA die Geschwindigkeit der Schwefelsäure-Ammoniak-Keimbildung um das bis zu 10^4-fache erhöhen kann."

Das bedeutet: Ohne die emissionsstarken Vogelkolonien würde in vielen Küstenbereichen schlicht kein oder nur sehr wenig klimarelevanter Partikelnebel entstehen und damit auch deutlich weniger Wolken!

Wolken als unsichtbarer Klimaregler

Dass biologisch erzeugte Gase wie Ammoniak und Dimethylamin aus Seevogelkolonien zur Neubildung von Aerosolpartikeln beitragen, ist deshalb so relevant, weil diese Partikel eine zentrale Rolle in der Wolkenbildung spielen. Damit beeinflussen sie die Strahlungsbilanz der Erde direkt. Je nach Konzentration und chemischer Zusammensetzung können sie das Klima entweder abkühlen, indem sie mehr Sonnenlicht reflektieren, oder zur Erwärmung beitragen, indem sie den Wärmehaushalt und die Niederschlagsmuster verändern. Es handelt sich dabei also um Prozesse, die in Klimamodellen bislang mit großer Unsicherheit behaftet sind.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie ist, dass sich die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre bereits spürbar verändern kann, wenn sich die Tierpopulation in einem sensiblen Ökosystem wie der Antarktis verändert. Der anhaltende Temperaturanstieg sowie begleitende Herausforderungen wie Nahrungsknappheit und der Verlust von Meereis bedrohen die Lebensräume der Pinguine akut. Sie könnten dadurch indirekt auch die atmosphärischen Prozesse und damit das regionale Klimageschehen maßgeblich beeinflussen. Die Forschenden fassen es in ihrem Paper so zusammen:

"Diese Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung Ökosystemprozesse von Pinguin-/Vogelkolonien und ozeanischem Phytoplankton/Bakterien für klimarelevante Aerosolprozesse in der Küstenregion der Antarktis."

Der Dominoeffekt im Klimasystem

Das Paper macht deutlich, wie eng biologische Vielfalt und atmosphärische Prozesse miteinander verflochten sind und gemeinsam die Stabilität unseres Klimas formen. Selbst scheinbar kleine Vorgänge, wie der Ammoniak-Ausstoß von Seevogelkolonien oder das Vorkommen bestimmter Meeresmikroorganismen, sind unverzichtbare Bausteine in einem hochkomplexen und fragilen System. Jedes dieser "Steinchen" fügt sich in ein großes Mosaik ein und kann, wenn es sich verändert oder verschwindet, maßgeblich dazu beitragen, zentrale Kipppunkte im Klimasystem zu aktivieren. Fällt einer dieser Faktoren weg, ändert sich nicht nur eine lokale Variable; und ein ganzer Mechanismus gerät ins Rutschen.

In der Klimaforschung spricht man hier von einem multifaktoriellen Kippverhalten: Nicht einzelne Ereignisse allein, sondern das Zusammenwirken und kumulative Versagen zahlreicher kleiner, mikroregulativer Prozesse führen dazu, dass das Klimasystem plötzlich in einen neuen, oft weniger stabilen Zustand kippen kann. Aktuell bewegen wir uns gefährlich nah an dieser Schwelle. Das bedeutet, dass der Verlust auch kleiner, bislang unterschätzter Prozesse den Weg zum Klimakollaps deutlich beschleunigen kann.

Diese Erkenntnis verdeutlicht mal wieder, wie wichtig es ist, das gesamte Netzwerk aus biologischen, chemischen und physikalischen Wechselwirkungen zu schützen. Hinzu kommt, dass der Schlüssel zur Bewahrung unseres globalen Klimas im Schutz der Artenvielfalt und der Ökosysteme liegt.

Wissenschaftliche Fakten sollten immer Vorrang haben

Die Studie von Andrea Baccarini et al. klärt auf, wie wichtig es ist, das Klima als ein Netzwerk aus unzähligen Rückkopplungen und Wirkmechanismen zu begreifen. Es reicht nicht, CO₂ zu zählen oder globale Temperaturen zu messen. Wir müssen verstehen, wie ein komplexes Gewebe aus chemischen, biologischen und physikalischen Prozessen unser Klima beeinflusst. Zudem sollten wissenschaftliche Fakten und Forschungsergebnisse wie diese in Zukunft viel mehr Gewicht haben. Bei politischen und ökonomischen Entscheidungen sollten sie immer Vorrang haben und wir sollten sie in unserem Handeln immer im Auge behalten. Jede noch so unscheinbare Verbindung zählt. Auch in den entlegensten Winkeln unseres Planeten.

Das Handeln der Menschheit ist jetzt gefragt. In Zeiten, in denen es in den vielen täglichen News-Formaten nicht mal mehr eine Meldung wert zu sein scheint, wenn im Mittelmeer gerade eine Hitzewelle im Gange ist, in der in großen Bereichen mehr als 5° C über dem saisonalen Durchschnitt gemessen werden, sich die Wetterkarten flächendeckend dunkelrot färben und die Artenvielfalt immer weiter abnimmt (hier zeigt sich ein leitender Meteroologe fassungslos2), müssen wir endlich aufwachen. Wenn das nicht passiert, werden wir uns schon sehr bald mit noch viel größeren Problemen auseinandersetzen müssen als den Extremwetterereignissen, mit denen wir es heute bereits zu tun haben.

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