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    "Zahl der Geisternetze im Meer ist überwältigend"

    Neue Studie zeigt das Ausmaß des Meeresmülls aus der Fischerei

    Beitrag von Anne
    25.10.2022 — Lesezeit: 3 min
    "Zahl der Geisternetze im Meer ist überwältigend"

    Was ich mache, wenn ich an einen Strand komme? Surfen. Schwimmen. Joggen. Wandern. Klar, das auch. Allerdings packe ich meistens zuerst meine Grillzange und einen Müllsack aus dem Rucksack und sammle Abfall ein. Natürlich finde ich auch jedes Mal Zahnpastatuben, Plastiktüten, Kanister, PET-Flaschen und etliche Luftballons inklusive Plastikschnüre. Ein Großteil des Unrats, den ich aus dem Sand ziehe, besteht jedoch aus Fischernetzen, Angelschnüren und ähnlichem Material aus der industriellen Fischerei. Und es fühlt sich so an, als würde es jedes Mal mehr werden.

    Als ich dieses Jahr in Dänemark war, entdeckte ich ein komplettes Fischernetz in einer Düne. Nur etwa einen Kilometer weiter steckte eine Leine samt befestigten Bojen im Strand, die sich durch Wind und Wetter bis tief in den Boden gearbeitet hatte. Beides hätte man nur mit schwerem Gerät entfernen können. Insgesamt war die gesamte Dünenlandschaft entlang des sehr langen Strandes von Fischereimüll durchzogen. Beim Abfallsammeln hatte ich das Gefühl, hier nicht mal leicht an der Oberfläche zu kratzen.

    Die kleinen Fragmente, die ich in meinen Sack packte, fallen, im Gegensatz zu dem tief vergraben liegenden Unrat, kaum ins Gewicht. Ganz zu schweigen natürlich von den Netzen und Seilen, die durch die Meere treiben, wodurch immer wieder Meeresbewohner grausam zu Tode kommen.

    Meine Vermutung wurde jetzt durch eine Studie bestätigt. Die Autor*innen halten ihre Erkenntnisse für besorgniserregend. Zu dem von mir beschriebenen Müll kommen Fischereigerätschaften wie Reusen, Haken und Fallen inklusive Leinen.

    Im Meer dehnen sich Müllteppiche aus

    Geisternetz in England
    Geisternetz in England

    Insgesamt schwimmen 25 Millionen Reusen sowie 14 Milliarden Haken im Meer. Nach Ansicht der Studien-Autor*innen haben sie enorme und tödliche Auswirkungen auf die Meeresbewohner.

    Dr. Denise Hardesty, eine der Autor*innen äußerte sich wie folgt dazu:

    "Das ist sehr erschütternd und hat eine unvorstellbare Anzahl unbekannter Todesfälle zur Folge, die sich auf Populationsebene stark auf die Meeresfauna auswirken kann."

    Den Forschenden zufolge gab es bisher nur wenige empirische Belege über das Ausmaß der verlorenen Fanggeräte. Die neue Studie, die in Science Advances1 veröffentlicht wurde, ist ein Versuch, diese Wissenslücke zu schließen. Die Wissenschaftler⋆innen befragten dafür 451 kommerzielle Fischereien in sieben verschiedenen Ländern. Dabei fanden sie unter anderem heraus, dass jedes Jahr 78.000 km² Ringwaden- und Kiemennetze, 215 km² Grundschleppnetze, 740.000 km Langleinen sowie 15,5 Millionen km Zweigleinen verloren gehen.

    Verlorene oder ins Meer geworfene Fanggeräte verursachen große Probleme für die Meeresfauna. Die Netze wurden dazu entwickelt, möglichst viele Tiere auf einmal zu fangen. Sie tun dies auch noch, wenn sie als Geisternetze durchs ziellos durchs Meer schwimmen.

    Geisternetze oft Todesfalle für Tiere 

    Neben Fischen finden auch Delfine, Wale, Schildkröten, Vögel und andere Tiere den Tod in dem unnatürlichen Treibgut. Die Netze bleiben in Korallenbänken hängen, verheddern sich mit weiterem Unrat — vor allem Plastikmüll — und sind auf Dauer dazu in der Lage, ganze Ökosysteme lahmzulegen. Der größte bisher bekannte Müllteppich, der sogenannte "Great Pacific Garbage Patch" zwischen Kalifornien und Hawaii, umfasst inzwischen eine Fläche, die mehr als zwanzigmal so groß ist, wie Österreich.

    Laut Denise Hardesty gehören Vögel, Schildkröten und Haie zu den Tieren, die dem Fischereiabfall am häufigsten zum Opfer fallen, der inzwischen einer der Hauptbestandteile des Meeresmülls ist – auch ich habe schon strangulierte Vögel am Strand gefunden.

    Die Debatte um Meeresmüll ausweiten

    Geisternetz in Travemünde
    Meeresmüll in Deutschland

    In der öffentlichen Berichterstattung war das Thema Geisternetze bislang noch nicht besonders präsent. Plastikstrohhalme beispielsweise, die seit den letzten Jahren einen miserablen Ruf haben, machen gerade mal 0,025 Prozent des gesamten Plastiks im Meer aus. Fischereiequipment schlägt hingegen mit ganzen 20 Prozent des Ozeanmülls zu Buche.

    Die Regierungen verhandeln derzeit über ein weltweites Abkommen über die Verschmutzung durch Plastik. Expert⋆innen fordern schon lange, auch Geisternetze in die Verhandlungen einzubeziehen. Das ist bislang noch nicht der Fall.

    Richard Leck, Leiter der Abteilung Ozeane beim WWF Australien, sagte gegenüber dem Guardian2:

    "Die Vereinten Nationen müssen sich auf globaler Ebene damit befassen, um sicherzustellen, dass die Länder zur Verantwortung gezogen werden. Dies sollte vor allem durch eine transparente Berichterstattung sowie klar erkennbare Kennzeichnung der Fanggeräte geschehen."

    Der Müll aus der industriellen Fischerei ist ein großes Problem. Er bedroht die Gesundheit der Weltmeere – zusätzlich zur starken Überfischung und weiteren Verschmutzungen. Hier können nur klare Regulierungen und auf Dauer die Einschränkung der Fischerei Abhilfe schaffen.

    Ein weiteres Problem ist übrigens die fachgerechte Entsorgung. In vielen Hafenstädten gibt es keine Möglichkeiten, organisches Material von Wertstoffen zu trennen. Dabei wäre gerade das besonders wichtig. Beim an Sinkleinen befestigten Blei handelt es sich zum Beispiel um einen giftigen, jedoch wiederverwendbaren Rohstoff.

    Wenn Ihr beim Surfen, Tauchen oder Schnorcheln auf Geisternetze trefft, könnt Ihr sie unter anderem über den NABU3 oder die WWF Geisternetz-App4 melden.

    Die Fotos für diesen Artikel habe ich an unterschiedlichen Küsten und Stränden gemacht.

    1. Studie auf science.org
    2. Artikel im Guardian
    3. NABU Gewässerretter
    4. Geisternetz-App des WWF

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