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    "Corona di Cervo"

    Die neue EP von Ox en Mayo Alto

    Review von Anne
    14.04.2022 — Lesezeit: 4 min
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    "Corona di Cervo"
    Bild/Picture: © Ox en Mayo Alto

    Ox en Mayo Alto sind wieder da. Gerade haben die Argentinier*innen die erste Single ihrer am 22. April erscheinenden EP "Corona di Cervo" veröffentlichen. Das Stück lässt tief blicken und steigert die Vorfreude auf das Gesamtwerk.

    "Corona di Cervo" erzählt, wie beim Soundkollektiv üblich, wieder eine zusammenhängende Geschichte, die sich ergibt, wenn Ihr die insgesamt fünf Songs am Stück hört. Die Stücke heißen:

    • Árnica, bálsamo de los ojos.
    • el sorbo de la fuente con el dado de estrel...
    • brañas del bosque, desniveladas, orquídeas ...
    • lo crudo, más tarde, durante el viaje.
    • humedad, bastante...

    Was übersetzt so viel bedeutet wie:

    • Arnika, Augenbalsam
    • Trunk aus dem Brunnen mit dem Sternwürfel drauf...
    • Waldwasen, uneingeebnet, Orchis und Orchis einzeln...
    • Krudes später im Fahren deutlich...
    • Feuchtes, viel...

    Das macht ganz schön neugierig, oder? Ich verspreche Euch: Das dürft Ihr auf alle Fälle sein. Ich habe die Songs schon komplett gehört und bin fasziniert von der Präzision, mit der Ox en Mayo Alto hier abliefern und gleichzeitig eine weitere Geschichte erzählen, die wie aus einem Märchentraum wirkt. Die Ouvertüre der Oper könnt Ihr bereits via Bandcamp genießen.

    Ox en Mayo Alto – "Corona di Cervo"

    Die Namen der Songs basieren auf dem Gedicht "Todtnauberg" des jüdisch-rumänischen Dichters Paul Celan. Er schrieb es nach seinem Besuch bei Martin Heidegger nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Ox en Mayo Alto griffen bei ihrer Vertonung auf die spanischen Übersetzungen von Felix Luque und Enrique Foffani zurück.

    Eine moderne Post-Rock Erzählung mit Geschichte

    Aus dem Gedicht hat die Band eine Post-Rock Erzählung gemacht und es damit in unsere heutige Zeit versetzt. Die Elemente aus der Natur, die auch in Ox en Mayo Altos Vorgängern nicht zu kurz kamen, stehen auch hier wieder an erster Stelle. Genau wie in Clans Gedicht:

    "Todtnauberg" von Paul Celan

    Arnika, Augentrost, der Trunk aus dem Brunnen mit dem Sternwürfel drauf,

    in der Hütte,

    die in das Buch – wessen Namen nahms auf vor dem meinen? –, die in dies Buch geschriebene Zeile von einer Hoffnung, heute, auf eines Denkenden kommendes Wort im Herzen,

    Waldwasen, uneingeebnet, Orchis und Orchis, einzeln,

    Krudes, später, im Fahren, deutlich,

    der uns fährt, der Mensch, der’s mit anhört,

    die halb- beschrittenen Knüppel- pfade im Hochmoor,

    Feuchtes, viel.

    Das komplette Voice-over, das Euch vermutlich gleich auffallen wird, stammt aus Fragmenten aus Filmen des sowjetischen Regisseurs Andréi Tarkovsky ("Mirror, Stalker" und "Sacrifice"). In allen Bruchstücken, die in den Songs zu hören sind, geht es um die Zeitgestaltung innerhalb einer toten Welt.

    Das Plattencover ist eine Interpretation des romantischen Ölgemäldes "Alpheus und Arethusa", erschaffen vom britischen Maler John Martin (1789-1854).

    Ein neues Kapitel Ox en Mayo Alto

    Aufgenommen haben Ox en Mayo Alto ihre EP im November 2021 im Islandia Estudio und im Fusis Estudio im argentinischen Córdoba. Manuel Collado und Sebastián Palacios waren dabei für die Recording-Technik verantwortlich. Die Co-Produktion, den Mix und das Mastering hat Manuel Collado übernommen.

    Dass mir Ox en Mayo Alto "Corona di Cervo" geschenkt – bzw. zum Hören zur Verfügung gestellt haben, freut mich sehr und ich fühle mich geehrt an der musikalischen Entwicklung dieses wunderbaren Projekts teilnehmen zu dürfen. Nach "Los famosos días de la fiebre" und "Mot, the Valuator, Incredible God" schlagen die Argentinier*innen mit dieser Platte ein neues Kapitel auf. Darin erzählen sie vielleicht auch, wie es ihnen und uns allen während der weltweiten Pandemie ergangen ist (oder sollte ich vielleicht besser schreiben "ergeht"?).

    Dennoch reihen sich die fünf Stücke nicht in die lange Liste der inzwischen weit verbreiteten "Lockdown Eskapaden" ein. Ox en Mayo Alto haben wie gewohnt einen ziemlich ausgeprägten Blick fürs Detail und diesen in meinen Augen dieses Mal sogar noch ausgebaut.

    Dass es daran liegt, dass ich die ersten beiden musikalischen Geschichten der Band, als ich sie zum ersten Mal hörte, zusammen mit der visuellen Note, sprich den dazugehörigen Videos konsumiert habe und ich mich dieses Mal bewusst auf die Musik konzentriert habe, würde ich gar nicht sagen. Es ist eine besondere Art der Intensität, die einfach in jedem Takt mitschwingt und mich irgendwie reinzieht in einen Bann aus vertonten Gedanken und Gefühlen.

    Es geht mystisch weiter

    Dass es dieses Mal im Vorfeld außer dem Plattencover kein Bildmaterial, weder bewegt noch statisch, gibt, ist sicher kein Zufall. Wie immer sollten wir auf jeden Fall auch, was diesen Punkt angeht, aufmerksam bleiben und Ox en Mayo Alto nicht aus den Augen verlieren. Denn ganz sicher haben sie schon bald wieder die ein oder andere Überraschung für ihre Fans auf Lager.

    Thematisch hat die EP übrigens nichts mit COVID zu tun. Vielmehr geht es um einen sagenumwobenen, goldenen Hirsch. Der französische Philosoph und Autor Jean Chevalier (1906–1993) hat ihn wie folgt beschrieben:

    "Der goldene Hirsch stammt aus kambodschanischen Legenden. Der solare Charakter des Tieres erscheint hier, im Gegensatz zu anderen Darstellungen, in seinem bösartigen Aspekt. Wie so oft steht das Sonnentier mit der Dürre in Verbindung. Um für Regen zu sorgen, empfiehlt es sich, den Hirsch zu töten. Dies ist der Zweck des in der Angkor-Region beliebten Trabtanzes. Darüber hinaus kündigt ein Eindringen des Hirsches in ein Dorf in anderen Regionen ein Feuer an. Ähnliche Legenden sind auch in China bekannt. Interessant ist, dass Origenes den Hirsch zum "Feind und Schlangenfänger" macht (sprich: zum Feind des Bösen). Die Schlange ist jedoch ein Tier der Erde und des Wassers – dem Tier des Himmels und des Feuers entgegengesetzt. Der Hirsch ist wie der Adler ein Schlangenfresser – ein äußerst günstiges, aber zweipoliges Zeichen, da er mit dem Feuer vernichtet und die Dürre alles erstickt, was vom Wasser lebt."

    Mystische Tiere wie Hirsche, Ochsen und Füchse sind Euch als aufmerksame Verfolger*innen der Weiterentwicklung von Ox en Mayo Altos Diskographie ja bereits ein Begriff. Und auch die menschliche Gefühlswelt spielt hier wieder eine tragende Rolle. Angst und Hoffnung, Sorge und Euphorie sind immer mit dabei und ziehen sich wie ein roter Faden durch das dritte Kapitel von Ox en Mayo Alto.

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