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    Smyčka im Interview

    "Vieles im Leben ist von Natur aus kafkaesk"

    Interview von Anne
    02.05.2021 — Lesezeit: 9 min
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    Smyčka im Interview

    Smyčka hatten Lust auf ein Interview. Weil mich die Geschichte der Band ziemlich fasziniert und ich das Debütalbum "Fated" ziemlich klasse finde, habe ich mich sehr darüber gefreut.

    Sängerin Julia, Drummer Anton und Gitarrist und Gründer der Band Vasily haben mir einiges über die Entstehung ihrer gerade veröffentlichten Platte, die Post-Music Szene in Russland und ihre Schwäche für Franz Kafkas Geschichten erzählt.

    Anne: Hi! Danke, dass Ihr Euch die Zeit für das Interview nehmt! Wie geht es Euch im Moment? Wie verbringt Ihr Eure Zeit?

    Anton: Hallo! Ich arbeite hart und mir geht es gut, danke! Im Moment habe ich viele Aktivitäten, die mich beschäftigen: Meinen Job im KI-Forschungs-Sektor, der Abschluss meines Doktoranden-Programmes, Smyčka, lokales Partys und die Wochenenden-Tour einer symphonischen Metal Band, bei der ich mithelfe. Wenn ich Glück habe, kann ich ab und zu sogar schlafen.

    Julia: Hi! Irre beschäftigt und produktiv!

    Vasily: Hi und danke, dass Du heute mit uns sprichst! Ich arbeite viel, probe mit Smyčka und einer anderen Band, bei der ich Gitarre spiele. Außerdem kümmere ich mich bei Smyčka um die Organisation – Social Media Posts, Gespräche und Vereinbarungen für das Mixing und Mastering unseres neuen Materials, Video Content und so weiter. Wenn ich freihabe, arbeite ich an neuer Musik und Lyrics.

    "Die Platte war schon fertig, als ich zu Smyčka kam"

    Anne: Ihr habt gerade "Fated" veröffentlicht (Review hier lesen). Gratulation! Ich mag das Album sehr! Es ist großartig! Seid Ihr zufrieden mit dem Ergebnis Eurer Arbeit?

    Anton: Danke! Es freut uns, dass Dir das Album gefällt. Die Platte war schon fertig, als ich zur Band gestoßen bin. Ich war also bei den Aufnahme-Sessions nicht dabei. Ich bin froh, dass sie fertig geworden ist und jetzt der Welt unsere Musik präsentiert – die Atmosphäre, die wir erschaffen. Das ist ein guter Anfang, finde ich.

    Julia: Danke! Ich bin auch nicht Teil des Albums, aber ich bin stolz auf die Jungs. Sie haben viel hinter sich und einen guten Job gemacht. Ich mag die Atmosphäre dieser Songs.

    Vasily: Vielen lieben Dank! Ich bin froh, dass "Fated" jetzt veröffentlicht ist. Zwischen der Idee für das Album und der Veröffentlichung ist eine Menge Zeit vergangen. Ich bin zwar jetzt nicht so glücklich, wie ich es gewesen wäre, wenn wir es schon 2018 oder 2019 herausgebracht hätten. Aber es hat mir große Freude bereitet, die Musik auf "Fated" zu machen. Es war eine herausfordernd und großartige Zeit voll kreativer Arbeit, Hoffnungen, Diskussionen und schlafloser Nächte.

    Im Moment hat es im Moment nichts mit Glücklichen zu tun. Ich habe aber das Gefühl, das Richtige getan zu haben. Und ich hätte es früher tun sollen. Ich fühle mich also, als hätte ich eine Art persönliche Bürde oder Last abgelegt. Ich habe die Seite, die dieses Material betrifft, umgeschlagen und kann jetzt wieder nach vorne schauen. Aber ich hoffe, dass unsere Musik auf irgendeine Art Leuten helfen kann, die sich verzweifelt oder hilflos fühlen. Es geht nicht nur um die Dunkelheit aber um die Verbindung zu ihr.

    Anne: Wie lange habt Ihr insgesamt gebraucht, um das Album aufzunehmen?

    "Wir haben die Drums an einem Tag eingespielt"

    Anton: Wie ich schon erwähnt habe, hat unser früherer Drummer einen Teil der Schlagzeug-Parts eingespielt. Ein faszinierender Fakt ist: Er hat es in einer einzigen Session gemacht! Ich hätte dafür auf jeden Fall viel mehr Zeit gebraucht, glaube ich.

    Vasily: Also die instrumentalen Parts haben wir alle ziemlich schnell aufgenommen – wir haben einen Tag für die Drums gebraucht, zwei Tage für die Gitarren und ein Wochenende für den Bass. Der Gesang war die größte Herausforderung. Wir hatten drei Anläufe mit unserer ehemaligen Sängerin und jedes Mal ging etwas schief. Dann haben wir angefangen, mit Arina zu arbeiten, mit der wir dann schließlich auch die Vocals aufgenommen haben. Es hat zwei oder drei Monate gedauert, Alinas Gesang aufzunehmen und ungefähr zwei Jahre, um die Vocals komplett fertigzustellen. Dann kamen noch das Mixing, das Re-Mixing und das Mastering. Das Album namens "Fated" hatte also ein wirklich ungewisses Schicksal, und als wir endlich alles fertig hatten, war ich verdammt müde.

    Anne: Das hört sich so an, als wären die Veränderungen in Eurem Line-up kompliziert für Euch gewesen?

    Vasily: Ja, auf jeden Fall. Wir haben mit unserm ursprünglichen Line-up angefangen, die Platte aufzunehmen. Am Ende der Aufnahmen, war ich der einzige, der noch übrig war. Es war hart, mit neuen Bandmitglieder an für mich altem Material zu arbeiten. Es wurde zu meinem kontinuierlichen Kopfschmerz.

    Anne: "Fated" handelt von Fatalismus und tragischem Schicksal. Bezieht Ihr Euch damit auf bestimmte Ereignisse?

    "'Fated' handelt vom Zeitgeist"

    Anton: Als Künstler, der diese Musik spielt, würde ich eher sagen, dass es um den Zeitgeist geht. Auf der einen Seite ist die moderne Welt ein Ort der Hoffnung und einer strahlenden Zukunft. Sie ist mehr wie ein verdeckter Krieg der Intrigen um Macht und Proto-Cyberpunk der geradeaus in Richtung Gibsons führt. Auf der anderen Seite ist sie das höchste Level des Komforts in der gesamten menschlichen Geschichte. Wir sind an dem Punkt angelangt, an dem wir so viel Zeit dafür haben, unsere inneren Welten zu erforschen und mit uns selbst alleine zu sein. Es ist eine ganz neue Dimension. Und es ist beängstigend – Angst führt zu Fatalismus.

    Vasily: So gut wie nicht. Jeder von uns hat tragische Situationen wie Todesfälle, Trennungen und Verluste erlebt, aber ich denke, es geht mehr um innere Gefühle und die Lebenseinstellung. Ich kenne viele, die das Leben als ein freudiges Abenteuer sehen, und das ist großartig und in Ordnung. Aber ich sehe und fühle eine andere Seite des Menschseins – alle Dissonanzen, unlogische Ereignisse, all das Leid und die Verzweiflung, die Einsamkeit und der ständige Kampf – auch sie sind Teil unseres Lebens. Menschen erschaffen sie für sich selbst oder für andere – das ist unser zentrales tragisches Schicksal.

    Eine solche Art von Musik und Texten zu erschaffen, ist der ehrlichste und direkteste Weg, meine tiefen inneren Gedanken und Gefühle auszudrücken. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich sie nur mit mir bekannten Worten beschreiben kann, also wird das Musizieren einfach zu einer anderen Art von Sprache. Auf der anderen Seite ist es für mich auch ein Weg, um depressiven Verstimmungen und Ängsten zu widerstehen.

    Anne: Wolltet Ihr schon immer Post-Metal machen?

    "Für mich ist Post-Metal etwas Neues"

    Anton: Um ganz ehrlich zu sein, wusste ich nicht, dass es Post-Metal gibt, bevor ich zu Smyčka kam. Der Bassist schrieb mir, dass die Band einen Schlagzeuger suchte, und ich meinte: "Was meinst Du mit Post-Metal? Gibt es so etwas?". Aber als ich mir die Musik anhörte, war das ein Volltreffer für mich – Die ganze Stimmung, die progressiven Elemente, der extreme weibliche Gesang, die Atmosphäre eines bleiernen Himmels, der auf die innere Essenz drückt. Ich glaube, ich habe unbewusst immer nach solcher Musik gesucht und wollte sie spielen.

    Julia: Ich fühle mich nicht an irgend ein Genre gebunden und höre mir die unterschiedlichsten Musikrichtungen an. Ich habe mir die Bands, mit denen ich verformt habe, immer danach ausgesucht, ob sie mich emotional berührt haben.

    "Als ich jünger war, liebte ich Metalcore und Deathcore"

    Vasily: Als ich noch sehr viel jünger war, habe ich noch andere Musik gehört – brutalere und aggressivere Genres wie Metalcore, Deathcore, Death Djent und so weiter. Ich hatte einige Projekte mit einem Kumpel. Wir wollten eine progressive Death Band starten. Das ist schon lange her, das war 2012 bis 2013.

    Ich glaube, ich wusste nicht mal, dass es ein Genre namens Post-Metal gibt. Einmal war ich bei einem lokalen Gig, bei dem russische Doom und Sludge Bands gespielt haben. Das war mein erster Blick auf eine andere Seite der Heavy Music. Meine nächste Berührung mit dem Genre war dann ein The Ocean Konzert in Moskau – es war das erste Mal, dass ich Post-Metal live gehört habe, und die Band war hervorragend – energiegeladen und groovy. Sie haben mir komplett den Atem geraubt.

    "Cult Of Luna haben mich schwer beeindruckt"

    Danach habe ich mir dann "Genesis" von Cult Of Luna angehört und ich war hin und weg – dieser perfekte Mix aus Härte, Atmosphäre und Power hat mich schwer beeindruckt. Ich begann das Genre zu entdecken und hörte mir andere Post-Metal-Bands an. Seit diesem Moment wollte ich Post-Metal machen, aber angereichert mit anderen musikalischen Elementen. Das Death-Metal Projekt, das wir machen wollten, ist nicht zustande gekommen. Also verabschiedete ich mich von dem Gedanken und schrieb einige Post-Music Stücke und melodische Parts. Einige davon wurden dann zur Basis für die Songs auf "Fated".

    Anne: Gibt es neben The Ocean und Cult Of Luna noch andere Post-Metal Bands, die Ihr verehrt?

    Anton: Obscure Sphinx, Russian Circles, Minsk, If This Trees Could Talk, Intronaut und Vorvaň, wenn man sie als Post-Metal bezeichnen möchte – insgesamt sind die Übergänge zu anderen Genres ja recht fließend.

    Vasily: Ich bin ein großer Fan von Cult of Luna. Ich höre mir all ihre Alben mit großem Genuss an. Sie inspirieren mich sehr. "Dark City Dead Man" ist zum Beispiel ein Track, den ich mir endlos anhören kann. Und ich spiele ihn auch sehr gerne. Ich mag eine Menge Post-Metal Bands: Neurosis, The Ocean, Callisto, Rosetta, Omega Massif, Mouth of the Architect, Fall of Efrafa, Obscure Sphinx und Minsk sind ein paar davon.

    Anne: Wie würdet Ihr die Post-Music Szene in Moskau und in ganz Russland beschreiben?

    "Post-Music ist in Russland nicht besonders beliebt"

    Julia: Ich habe mehr über Post-Metal erfahren, als ich zu Smyčka gekommen bin. Ich habe das Gefühl, dass dieses Genre in Russland nicht besonders beliebt ist.

    Anton: Ich denke, dass mein nicht vorhandenes Wissen über Post-Rock vor meiner Zeit bei Smyčka spricht Bände. Es ist eine Untergrund-Bewegung. In Russland müssen sich erst Prozesse für derartige Musikrichtungen entwickeln. Im Moment hängt das alles von ein paar Enthusiast*innen ab. Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes – es gibt ein paar wirklich starke und engagierte Post-Metal Bands in Russland. Meiner Meinung nach ist Vasily ein echter Guru in diesen Fragen.

    "Saint-Petersburg ist die Post-Music-Hauptstadt von Russland"

    Vasily: In Moskau gibt es ein paar Post-Music Bands. Ich kenne zum Beispiel L'Homme Absurde, Naska, Reserve de Marche, Walls of Ice und die russischen Post-Metal Giganten Reka. Mit einigen von ihnen sind wir befreundet und haben uns schon Sets auf Live-Konzerten geteilt. Ich mag Milestone sehr. Leider haben sie sich nach ihrem fantastischen Album "Blind Alley" aufgelöst. Eigentlich ist Sankt Petersburg mit seinen Post-Rock, Post-Metal und Post-Black Bands die Post-Music Hauptstadt. Dort gibt es eine viel stärkere Community, als in Moskau. Es gibt viel mehr Konzerte, Videos, Parties und so weiter. Das ist super für ein Genre und die Musikszene in unserem Land. In Russland gibt es sehr viele Post-Rock, Post-Black und Black Gaze Projekte, aber es sind zum größten Teil zu 100 Prozent Underground-Bands.

    Anne: Wer hat sich Euren Bandnamen ausgedacht und was bedeutet er? Hat er für Euch eine besondere Bedeutung?

    "Unser Bandname passt perfekt zur Stimmung unserer Musik"

    Vasily: Soweit ich mich erinnere, bin ich darauf gekommen, mir so einen düsteren Namen auszudenken, weil er in Verbindung zu Kafka steht. In Tschechien bedeutet Smyčka "Schlinge", Russischen gibt es ein von der Aussprache her ein recht ähnliches Wort, das "Zusammenlaufen oder vereinigen unterschiedlicher Wege" bedeutet. Wir haben uns entschieden, diesen Namen zu behalten, obwohl die Schreibweise und die Transkription schwierig sind. Wir sind eine Underground-Band, also spielt es keine Rolle, denke ich. Der Name passt perfekt zur Stimmung unserer Musik und dem Genre-Mix, den wir bedienen.

    Anne: Wo wir gerade bei Franz Kafka sind. Ihr habt erzählt, dass Ihr die Konzepte seiner Geschichten in Musik übersetzen wollt. Was verbindet Euch mit ihm und seinen Geschichten?

    Anton: So viele Dinge, denen wir im Leben begegnen, sind von Natur aus kafkaesk, finde ich. Umstände höherer Gewalt innerhalb des Systems. Geschäftig und ohne Ergebnis. Absurd auf einer täglichen Basis. Die gesamte menschliche Gesellschaftsorganisation führt zu existenziellen Fragen – "Wer bin ich?", "Was bin ich?", "Wo gehöre ich hin?", "Welches Rädchen im Getriebe des Universums bin ich?", "Welcher Teil von mir ist nur ein Abbild der Menschen, die mich umgeben?" – Es gibt so viele Fragen und so viel Zeit zum Nachdenken, aber so wenig Informationen, die unweigerlich zu Angst, Furcht und grimmigen Argumentationen über das Leben führen. Die Statistik des Wachstums der Psychotherapie-Patient*innen zeigt uns: Immer mehr Menschen beschäftigen sich mit derartigen Fragen und begeben sich tief auf die Suche nach Antworten. Kafka war der Pionier für die innere Reise – metaphorisch ausgedrückt – in der modernen Zeit.

    "Franz Kafka hatte großen Einfluss auf mich"

    Vasily: Ich lese seine Geschichten schon, seit ich denken kann. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich noch ein Schuljunge war, es war in den Neujahrs-Ferien und ich habe spät nachts "Das Schloss" gelesen. Für mich war es super spannend und fesselnd und es hat großen Eindruck auf mich gemacht. Viele Menschen würden es vielleicht als höllisch langweilig empfinden, aber ich habe es wie ein faszinierter Detektiv gelesen. Ich weiß, dass es Leute gibt, die Kafkas Geschichten verrückt finden, kompliziert, überbewertet und so weiter, aber für mich ist er ein sehr realistischer Schriftsteller.

    Er hat nur eine etwas spezielle Art, das Leben zu betrachten mit einer ganz bestimmten Sichtweise. Als ich erwachsen wurde, habe ich angefangen seine Plots im Leben zu erkennen – Bürokratie, sinnloses unbewusstes Handeln, die Abwesenheit von Logik und Missverständnisse zwischen Menschen. Ich schätze es sehr, dass seine Helden oft nicht gehorsam und konform sind – sie versuchen zu suchen, zu erforschen und sogar mit den Reichen zu kämpfen, für die sie existieren.

    Anne: Was steht als Nächstes an für Smyčka?

    "Wir haben schon neue Songs"

    Anton: Erfolg. Vielleicht sollte ich sagen, dass es meiner Meinung nach schon ein großer Teil des Erfolges ist, die Musik zu spielen, die man mag, die Emotionen auszudrücken, die man hat. Aber für uns ist es ebenso wichtig, das mit anderen zu teilen. Wir wünschen uns einen Dialog mit den Menschen, die so wie wir fühlen und die sich diese Musik wünschen. Einfacher gesagt: Wir wollen eine Zusammenarbeit mit neuen Freund*innen erreichen und einige für uns neue Formate ausprobieren. Lass Dich überraschen! Für uns passiert alles mit dem Ziel, regelmäßig Konzerte zu geben und Platten zu veröffentlichen. Das ist ein ehrgeiziger Plan auf lange Sicht. Aber er ist real, weil es so viel zu sagen, zu diskursivieren und auszudrücken gibt!

    Julia: Etwas komplett Neues, aber mit dem erkennbaren Smyčka Stil.

    Vasily: Ich weiß es wirklich nicht. Ich hatte so viele Pläne und sie sind alle schiefgegangen. Ich habe also meine Wünsche und Erwartungen ziemlich heruntergeschraubt. Auf der praktischen Seite proben wir sehr viel, um wieder in Schuss zu kommen, damit wir live spielen können. Wir fangen gerade an, unsere neue Single zu mischen. Wir hoffen, dass wir "Fated" auf CD herausbringen und ein paar Videos machen können. Und ich habe einen Pool von neuen Tracks, die gespielt und aufgenommen werden wollen. Anne, vielen Dank für das Interview! Es hat uns sehr gefreut! Alles Gute für Dich!

    Smyčkaa – "Fated"

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