"Lost" von Crippled Black Phoenix
Veganes Musikvideo zeigt menschliche Abgründe
Das Video zum Crippled Black Phoenix Song "Lost" ist ein Statement zu all dem von Menschen verursachten Leid – zusammengefasst in acht Minuten. Es rüttelt auf und schockiert.
Diesen Beitrag über ein besonderes Musikvideo, das uns beide sehr beeindruckt hat, hat Matze zum Blog beigesteuert. Von mir bekommt Ihre eine klare Leseempfehlung. Und: schaut Euch das Video an!
Die meisten Veganer*innen kennen Filme wie "Earthlings" , "Cowspiracy" und "The End of Meat" . Sie alle veranschaulichen die globalen Konsequenzen unseres Handelns, insbesondere unserer Ernährung eindrücklich. Sie haben inzwischen viele Zuschauer*innen von der guten Sache und vom Veganismus überzeugt.
Die britisch-schwedische Rockband Crippled Black Phoenix hat nun ein solches Statement in kompakter Form herausgebracht – das Musikvideo zum Song "Lost" zeigt starke, dokumentarische Bilder von den Auswirkungen, die das menschliche Handeln auf der Erde haben – gegenüber der Natur, den Tieren, aber auch den Menschen selbst. Für das Video sind die Musiker*innen eine Kooperation mit dem portugiesischen Regisseur Guilherme Henriques eingegangen. Die Band besteht aus bekennenden Veganer⋆innen und veröffentlicht immer wieder Songs mit politischen Statements.
Was steckt hinter den Bildern zu Crippled Black Phoenix' Musikvideo "Lost"?
"Lost". © Bild/Picture: Crippled Black PhoenixDas Video muss man gesehen haben. Dieser Artikel ist eine eindringliche Bitte, es anzuschauen, es auf sich wirken zu lassen und anschließend im Internet weiter zu teilen. Als ich es zum ersten Mal gesehen hatte, machte es mich betroffen. Die Bilder hallten noch lange in meinem Kopf nach.
Martin Luther King sagte einmal "Nothing in all the world is more dangerous than sincere ignorance and conscientious stupidity" ("Nichts auf der ganzen Welt ist gefährlicher als aufrichtige Ignoranz und gewissenhafte Dummheit"). Das Video startet mit einem ganz ähnlichen Satz: "The dangerous nature of an ignorant mind. The final fall of mankind" ("Die gefährliche Natur eines unwissenden Geistes. Der endgültige Untergang der Menschheit").
Bilder von der erbarmungslosen Armut in der Dritten Welt, Obdachlosen in Amerika, rassistischen Übergriffen, der Explosion in Beirut, verheerenden Stürmen und Überschwemmungen und den sich immer wieder wiederholenden Qualen, die wir Tieren antun, damit wir in unsere ungesunden Burger beißen können, zeigen, dass Ignoranz nicht nur gefährlich ist, sondern irgendwann auch zum Fall der Menschheit führen wird. Wir rotten uns durch unser rücksichtsloses Verhalten selbst aus.
Apocalypse in the Making
Doch was steckt genau dahinter? Nicht jeder Mensch ist schlecht, oder?
Das größte Problem sind Teufelskreise, aus denen man nur sehr schwer entkommen kann. Alles, was wir tun, hat globale Auswirkungen und nur global wirkende Gegeneffekte können es stoppen.
Es beginnt mit dem exponentiellen Wachstum der Bevölkerung. Der Mensch hat nur sich selbst als Gegner, um das Wachstum seiner Population auf einem normalen Maß zu halten, das mit der Natur im Gleichgewicht steht.
Die Milliardenmarke der menschlichen Bevölkerung wurde im Jahr 1804 überschritten. Die zweite Milliarde dann 123 Jahre später; im Jahr 1927. Noch zur Zeit der Ölkrise lebten lediglich vier Milliarden Menschen auf der Erde. Derzeit sind wir kurz davor, die acht-Milliarden-Marke zu knacken. Im Jahr 2050 werden zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Jeder von ihnen benötigt Wasser, Nahrung und einen Platz für ein würdiges Leben.
Teufelskreis Fortschritt
"Lost". © Bild/Picture: Crippled Black PhoenixDer erste Teufelskreis besteht im technologischen Fortschritt, der das Land fruchtbarer macht und mehr Menschen ernähren kann. Das bringt wiederum mehr intelligente Köpfe hervor: zehnmal so viele wie im 19. Jahrhundert, die zehnmal mehr technologischen Fortschritt erzeugen.
Mit dem Fortschreiten der technologischen Entwicklung stellte sich mehr Wohlstand ein und damit zusätzlich zum Bevölkerungswachstum ein erhöhter Pro-Kopf-Bedarf an Ressourcen. Dieser Bedarf wird immer durch Ausbeutung gedeckt – entweder ist das die Ausbeutung zur Verfügung stehender Quellen und Rohstoffe oder die Ausbeutung anderer Menschen.
Die Industrialisierung als Symptom
Die Industrialisierung wird weithin als Motor des Wohlstandes angesehen. In Wirklichkeit ist die Industrialisierung und im weiteren Verlauf die Digitalisierung nur ein Symptom. Der eigentliche Motor hinter allem ist das marktwirtschaftliche Denken. Sprich: das Geld.
Das Kapital beziehungsweise Vermögen ist auf der Erde sehr ungleich verteilt. Auf das oberste Zehntel der Bevölkerung fallen 85,2 Prozent des Kapitals (in Deutschland 66,6 Prozent). Dagegen besitzt die untere Hälfte, die Ärmsten, gerade einmal ein Prozent (in Deutschland 1,4 Prozent). Laut Oxfam besitzen die 85 reichsten Menschen genauso viel, wie die ärmsten 3,9 Milliarden. Das ist die untere Hälfte.
Kapital wird zur Produktion und Verbesserung des Wohlstandes eingesetzt – aber in der Regel nur, wenn es sich lohnt, also mehr erbringt als man einsetzt. Ein Wachstumskurs wird angesteuert.
Die Gier nach mehr
"Lost". © Bild/Picture: Crippled Black PhoenixGeld macht Waren vergleichbar und schafft Konkurrenz und Märkte, die sich somit immer und ohne sich Verschnaufpausen zu gönnen, gegenseitig anheizen. Das passiert vor allem, wenn sich die Märkte unreguliert ausbreiten können.
Diese ins System eingebaute Gier (oder Zwangsgier) nach mehr verursacht Leid. Mehr Menschen, mehr Nachfrage, mehr Absatz, mehr Kapital, besser Optimierungsmöglichkeiten, mehr Gewinne, mehr Investitionen, größerer Ressourcen-Verbrauch.
Die Auswirkungen dieses zweiten Teufelskreises sieht man im Video von Crippled Black Phoenix. Die Machtverhältnisse werden vom Geld bestimmt und verschaffen damit den Reichen immer mehr von allem und den Armen immer weniger – egal ob auf nationaler Ebene oder global. Der weltweite Effekt wird zudem dadurch verstärkt, dass jeder Fortschritts-bedingte Veredelungsschritt durch die gleichen Marktregeln Waren Schritt für Schritt verteuert und somit die rohstoffreichen Länder in Afrika und Südamerika, die am Anfang der Kette stehen, am wenigsten vom Kuchen abbekommen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als ihr Land und ihre Bevölkerung auszuquetschen und auszubeuten.
Ungleichheiten im System
Nicht Bolsonaro hat den Regenwald brennen lassen, sondern der, der sein Rindersteak zum Abendessen verspeist, das vorher mit brasilianischem Soja gemästet wurde. Jedes noch so grüne Elektroauto enthält auch ein bisschen vom Rot des Blutes, das für seine Rohstoffgewinnung vergossen wurde. Und auch in den Industrieländern selbst werden immer mehr Wohnungen unbezahlbar und Krisen wie die Corona-Pandemie zeigen wie durch eine Lupe die Ungleichheiten in den Gesundheitssystemen der Welt auf und benachteiligen die Armen noch mehr.
Es gibt Konzepte, dem entgegenzuwirken. Doch wenn diese nicht durch künstliche (politische) Maßnahmen gefördert werden, können sie sich nicht gegen die Effizienz der bestehenden Ausbeutungsprozesse durchsetzen. Dort, wo das Geld sitzt, sitzt auch der Einfluss. Und so ändert sich eine Industrie – sobald sie einmal effizient funktioniert – nicht mehr so leicht. Der Braunkohle-Ausstieg und die Reform der Autoindustrie sind nur zwei fatale Beispiele aus unserer hiesigen Gesellschaft.
"Aber wir sind doch noch nicht verloren", wird sich manch einer denken. Es gibt doch schon gute Ansätze.
Leider liegt jedoch die größte Welle noch vor uns – die Klimakrise. Vereinfacht ausgedrückt wird die Erderwärmung von der bereits erwähnten Ausbeutung der Erdressourcen verursacht. Das ist erwiesen. Hunderttausende Studien beweisen dies.
Klima und Treibhauseffekt
"Lost". © Bild/Picture: Crippled Black PhoenixMenschliche Emissionen sind für 2,2 W/m² Energiezuwachs verantwortlich, wohingegen der zweitstärkste Effekt, die Einflüsse der Sonne gerade einmal 0,1 W/m² ausmachen. Der Effekt ist eine Steigerung der Durchschnittstemperatur von 0,2 Grad pro Jahrzehnt – Tendenz steigend. Wir können nicht sagen, dass wir lange Zeit nichts davon gewusst hätten. Der Treibhauseffekt in der Atmosphäre wurde bereits im Jahr 1824 von Christoph Fourier beschrieben. 1896 sagte Guy Stewart Callendar eine vom Menschen emittierten CO₂ verursachte Erderwärmung vorher.
Doch unser marktwirtschaftliches System hat einfach keine Mittel, um auf solch abstrakte Auswirkungen zu reagieren. Also taten wir nichts.
Wenn 0,2 Grad Erwärmung wenig oder für manche sogar angenehm klingen, dann sollte man sich spätestens mit den Auswirkungen davon beschäftigen. Die meisten sind heute bereits spürbar. Hierzulande ist beispielsweise in den Sommermonaten in vielen Landkreisen mit Wasserknappheit zu rechnen. Die Trockenheit führte in den vergangenen Jahren auch immer mehr zu Waldbränden.
Waldbrände und schmelzendes Poleis
In Deutschland sind derzeit die Wälder am schlimmsten betroffen. Die Vegetation, die auf effektive Holzgewinnung durch Fichten und Kiefern ausgelegt ist, kann mit den bereits erhöhten Temperaturen nicht umgehen und stirbt ab. Wir müssen umforsten und Gehölze einsetzen, die früher in wärmeren Gegenden wuchsen. Das dauert Jahrzehnte. Der Weinbau hat etwas Vergleichbares übrigens schon vor Jahrzehnten begonnen und setzt längst andere Sorten in bestehenden Hanglagen ein.
International sind die Folgen bereits weitaus gravierender. Jeder hat schon einmal Bilder von schmelzendem Poleis und den immer stärker und häufiger auftretenden karibischen Hurricanes gesehen. Am schlimmsten ist jedoch die Sahara und die Sahel-Zone in Afrika betroffen. Es ist damit zu rechnen, dass bis 2050 weite Teile vieler afrikanischer Länder nicht mehr bewohnbar sind. Klimaflüchtlinge werden in Massen gen Norden strömen, die in keinem Verhältnis zur syrischen Flüchtlingswelle von 2015 stehen. Und Europa wird seine Grenzen schützen wollen.
Die Gefahr der Tipping Points
Schließlich gibt es in den Klimamodellen einige Unbekannte, sogenannte Tipping Points, die bei Erreichen bestimmter Erwärmungswerte auslösen und den Treibhauseffekt sprunghaft weiter beschleunigen. Taut beispielsweise der sibirische Permafrostboden auf, werden große Mengen des hochaktiven Treibhausgases Methan freigesetzt. Die Dynamik von Meeresströmungen wird durch die Erwärmung der Ozeane verändert und Klima-entscheidende Effekte wie der Golfstrom brechen ab. Das Abschmelzen der Polkappen führt zu mehr Absorption der Sonnenstrahlen und weiterer Aufheizung der Erde, die sogenannte Eis-Albedo-Rückkopplung. Ein letztes Beispiel ist die erhöhte Wasserverdunstung an der Oberfläche der Ozeane. Sie führt zu mehr Wasserdampf in der Atmosphäre (Wasserdampf-Rückkopplung). Wasserdampf ist das Treibhausgas, das noch vor CO₂ den höchsten Beitrag am Treibhauseffekt hat.
Auch wenn die Klimakrise die bestimmende Katastrophe der nächsten 100 Jahre sein wird, gibt es, wie man sieht, noch zahlreiche andere Symptome unserer krankenden Gesellschaft. Wenn wir nicht einige Dinge grundlegend und systematisch ändern, werden wir keine Mittel finden, um den Zug zu stoppen, der geradewegs auf den Abgrund zurast.
Es ist eine große Richtungsänderung notwendig, um das drohende Unheil aufzuhalten. Die Menschheit kann das schaffen. Sie hat das System entwickelt, das uns so viel Fortschritt und Wohlstand gebracht hat. Sie kann es auch in eine Richtung biegen, die beides beherrscht — auf die Umwelt, die Tiere und die Armen zu achten und gleichzeitig die Lebensqualität zu steigern, die Wissenschaft zu neuen, extremen Entdeckungen zu treiben oder den Menschen einen anderen Planeten besiedeln lassen. Doch dafür muss sich in den nächsten 30 Jahren auf der ganzen Welt viel ändern. Wir haben noch nicht einmal angefangen.