"Metal und Meditation"
Interview mit Hjort Gründer Johannes Lenk zum Album "Evolve IV-VIII"

"Evolve IV-VIII" ist ein ganz besonderes Album für Multiinstrumentalist Johannes Lenk. Es ist gerade frisch erschienen und beeindruckt mit fesselnden Arrangements voll symphonischer Harmonie, experimentellen Sounds und schier undurchdringlichen Gitarrenwänden. Ich hatte das Glück, den Künstler hinter der Musik näher kennenzulernen und teile heute mein Interview mit Euch.
Wen die musikalische Verbindung zwischen Dunkelheit und Härte und Sanftheit und Helligkeit schon immer fasziniert hat, sollte nicht darauf verzichten, sich "Evolve IV-VIII" genauer anzuhören. Fans von Post-Rock & Co. werden hier glücklich und bekommen je eine gute Dosis Schwere und Leichtigkeit – eingepackt in ein hoch kreatives und progressives Gesamtkunstwerk, das verzaubert.
Das Album ist eines zum immer wieder hören. In Momenten der Ruhe und Einkehr und in jenen von Aufruhr, Unruhe und Aufbruch. Die Stücke auf "Evolve IV-VIII" sind so hart, mitreißend und klar wie der Winterwind, der zu den Inspirationsquellen zählte, die Johannes beim Schreiben begleiteten – doch mehr dazu im Interview.
Hinweis: Das Gespräch mit Johannes fand am 23. Januar 2025 statt. Sein Album "Evolve IV-VIII" ist am 24. Januar erschienen.
Anne: Hi! Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst! Dein großartiges Album "Evolve IV-VII" erscheint ja schon bald. Freust Du Dich schon?
Johannes: Hi Anne! Erst einmal herzlichen Dank für das Kompliment. Finde ich ja schon mal super, dass Dir das Album gefällt. Und ja, natürlich freue ich mich wahnsinnig auf den Release. Auch wenn ich schon einige Veröffentlichungen mit unterschiedlichen Bands und Projekten über die Jahre hinter mir habe – die positive Anspannung vor dem Release-Tag bleibt wohl immer gleich. Es ist eine Mischung aus Freude, Stolz, Erleichterung, aber eben auch Anspannung, weil man schließlich etwas sehr Persönliches öffentlich zur Schau und zur Kritik stellt. Aber gerade Letzteres macht es ja so spannend. Und meiner Meinung nach machen die Rezensionen und das Feedback von außen das Kunstwerk erst komplett!
Anne: Was hast Du um den Release-Tag herum geplant?
Johannes: Zurücklehnen und genießen! Nein, im Ernst, viel tun kann man dann ja sowieso nicht mehr. Aber ich werde mir ein gutes Getränk machen, das Licht dimmen und die Platte am Freitag zum ersten Mal seit Langem selbst mal wieder an einem Stück anhören. Das ist so etwas wie ein Veröffentlichungsritual für mich geworden.
Anne: Was hat Dich zu diesen wunderbaren fünf Songs inspiriert? Man munkelt etwas über den Wind im Geäst des klirrend kalten Winterwaldes?
"Die kalte Jahreszeit inspiriert mich"
Johannes: Soso, munkelt man das (lacht)? Das klingt ja ganz schön abgedroschen, aber tatsächlich schreibe ich diese Art von Musik erfahrungsgemäß vorwiegend im Herbst oder Winter. Kälte, Nebel, Dunkelheit, aber auch die Ruhe schneebedeckter, weiter Landschaften. Tatsächlich sind das Bilder und Erinnerungen, die ich beim Schreiben im Kopf habe.
Anne: Du kommst aus Mannheim. Wie würdest Du die Musikszene dort beschreiben? Ist sie so inspirierend, wie der Wind im Winterwald?
Johannes: Mannheim bietet neben Industrieromantik eine äußerst spannende Szene. Ich bin ja "Zugezogener" und "erst" seit 20 Jahren hier – sehr gerne übrigens. In der Anfangszeit gab es nicht nur die allseits bekannte Popakademie, sondern auch eine recht lebhafte und familiäre Underground-Metal-Szene. Gefühlt machte jeder mit jedem irgendwie Musik und es gab viele gemeinsame Gigs und ein alljährliches lokales Festival. Wie es eben so ist, verläuft sich mit der Zeit alles etwas, aber die Kontakte sind weiterhin da. Aber obwohl ich Mannheim jetzt wirklich nicht gerade als Metal-Stadt bezeichnen würde, gibt es meiner Meinung nach überdurchschnittlich viele talentierte und teilweise auch überregional bekannte Musiker und Bands, die mittlerweile auf sehr professionellem Niveau unterwegs sind. Da spornt man sich gegenseitig schon an, würde ich sagen.
Anne: Was steckt genau hinter Hjort?
Johannes: Hjort ist mein Soloprojekt, in dem ich wirklich – bis aufs Mastering – alles selbst mache. Was "alles" bedeutet, erkläre ich jetzt aber nicht im Detail. Das kann ja jede*r selbst rausfinden, was es da zu hören gibt.
Die Musik von Hjort und Hjort und V/Haze Miasma ist von der Sehnsucht nach der Natur geprägt – und der Angst, sie zu verlieren
Anne: Inwiefern sind Deine Erfahrungen und der Stil von V/Haze Miasma mit in diese wunderschönen Arrangements eingeflossen?
Johannes: Das ist absolut miteinander verbunden. Ich bin ja auch für große Teile des V/Haze Miasma Songwritings zuständig. Und ich gehe beides mit einem ähnlichen Vibe an. Beides ist inspiriert von der Sehnsucht nach Natur und der Angst sie Stück für Stück zu verlieren bzw. zu zerstören. V/Haze Miasma setzt aber musikalisch und textlich zudem viel mehr auf Gegensätze, thematisiert die Schattenseiten und auch menschliche und persönliche Abgründe. Letzteres erlaube ich mir bei Hjort durch den rein instrumentalen Ansatz auszusparen.
Anne: Was hat sich seit dem Beginn mit "Trilogie I-III" 2022 verändert?
Johannes: Da hat sich schon viel getan. Hjort ist 2022 aus einer Laune und einem Überschuss an Inspiration entstanden. Damals hatte ich wenig Ambitionen und veröffentlichte jeden Song einzeln und direkt nach Fertigstellung in Eigenregie. Zudem waren die Songs bewusst sehr düster und monoton gehalten, eher experimentell. Bei "Evolve IV-VIII" hatte ich von Beginn an Lust, ein ganzes Album zu schreiben und mich wieder etwas mehr für Melodien und klare Songstrukturen zu öffnen. Und durch eine wirklich glückliche Fügung ergab sich dann die Zusammenarbeit mit Inertial Music, die sich bis heute großartig anfühlt und mir unter anderem die VÖ auf Vinyl, aber auch Gespräche wie dieses hier ermöglicht.
Anne: Würdest Du sagen, dass sich die immer rauer werdende Welt da draußen auf Deine Art, Musik zu machen, auswirkt?
Hjort ist für mich ein musikalischer Rückzugsort
Johannes: Im Falle von V/Haze Miasma würde ich klar zustimmen. Neben Demut, Melancholie und Verzweiflung sind bei dem Projekt definitiv auch Wut und Aggression zu hören. Hjort dient mir eher als Rückzug von alledem, so wie es auch die Natur für mich tut.
Anne: "Metal und Meditation" – ich mag dieses Zitat von Dir und finde ja, dass diese beiden Pole ein perfektes Zusammenspiel ergeben. Die Abgründe werden durch die sanften Momente abgefedert. Ist es das, was Hjort ausmacht?
Johannes: Es ist zumindest nur zum Teil ein Scherz, wenn ich immer wieder erzähle, dass ich Hjort damals angefangen hatte, weil ich endlich passende, aber gute Musik zum Yoga hören wollte, haha! Aber ja, auch hier ähnlich wie bei V/Haze Miasma, nur eben ohne den sehr prägenden Ausdruck des Gesangs (und Geschreis…): Es geht um die Balance aus laut und leise, schrill und schön, schwarz und weiß. Ich liebe diese Dynamik und komme deshalb wohl immer wieder darauf zurück.
Anne: Es gibt Musik, die dazu da ist, einfach nur gehört zu werden. Sie trägt uns durch den Tag und gibt uns Halt. Und dann gibt es diese tief inspirierenden Songs, Alben und Bands, die uns unser ganzes Leben lang begleiten und nicht mehr loslassen, sobald wir sie entdeckt haben. Welche ist das für Dich?
Johannes: Puh, da gibt es wirklich viel. Ganz spontan kommen mir gerade Soundgardens "Superunknown", Pain of Salvation's "The Perfect Element", Portisheads "Dummy", oder Saviour Machines "II" als Alben in den Kopf. Aber frag mich morgen noch mal, dann nenne ich Dir wahrscheinlich wieder vier andere. Ich bin da sehr breit aufgestellt, auch stilistisch, deswegen kann ich das schwer eingrenzen.
Anne: Das Jahr hat gerade erst angefangen. Wie geht es für Dich nach dem Release weiter?
Johannes: Hjort ist ja aktuell ein Studioprojekt, deswegen sind jetzt keine Konzerte in Planung. Aber ich merke schon jetzt wieder ein Kribbeln und Lust – es ist ja auch gerade Winter – an neuem Hjort Material zu arbeiten. Daneben könnte es aber durchaus passieren, dass es auch bald wieder etwas Neues von V/Haze Miasma zu hören gibt, und wer mich kennt, weiß, dass sich bei mir immer mal wieder auch weitere musikalische Projekte auftun.
Anne: Danke für das Interview! Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Viel Erfolg mit der Platte! Ich freue mich schon darauf, sie mit meiner Leserschaft zu teilen!
Johannes: Liebe Anne, ich habe zu danken! Für Dein Interesse an Hjort, aber auch für die schönen Fragen!
Hjort – "VIII"
Recorded at The Attic Assembly Chamber, Mannheim/Germany, during winter season 2023/24. All music written and produced by Johannes Lenk. Mastered by Sebastian Moser at Grotesque Studios, Bad Wörishofen/Germany. Artwork and pictures by Johannes Lenk. Layout by Inertial Music.