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    "Dieses Mikro-Genre-Denken hat etwas von Kleingartenvereinen"

    Sänger und Gitarrist Hans Frese über das neue Entropy Album "Dharmakāya"

    Interview von Anne
    27.08.2024 — Lesezeit: 5 min
    "Dieses Mikro-Genre-Denken hat etwas von Kleingartenvereinen"
    Bild/Picture: © Entropy

    "Dharmakāya" heißt das neue Album der Hamburger Band Entropy. Es erscheint am 30. August und ist ganz fantastisch geworden – höchste für ein Interview! Ich habe mich mit Sänger und Gitarrist Hans Frese unterhalten und dabei einiges über das Projekt und seine Entwicklung erfahren. Gemeinsam mit Bassist Philipp Heidemann (The Now-Denial, Nightslug, EA80), Gitarrist Jens Sawatzki (Der Draht) und Schlagzeuger Benjamin Kövener (ExChampion, Bersarin Quartett) hat er da wieder ordentlich was auf die Beine gestellt!

    Anne: Moin! Danke, dass Ihr Euch die Zeit für das Interview nehmt so kurz vor dem Release von "Dharmakāya" – zehn Tage sind es noch, seid Ihr gespannt?

    Hans: Ja, auf jeden Fall – es steckt viel Arbeit und vor allem natürlich viel Herzblut in der Platte, und es wird extrem interessant sein, zu sehen, wie die leichten Veränderungen der musikalischen Fahrtrichtung so ankommen.

    Anne: Was gefällt Euch persönlich am besten an "Dharmakāya"?

    Hans: Mir gefällt der fließende, leichtfüßige und eingängige Charakter, den die Songs zum Teil haben – irgendwie Musik, die zu Sommer und Fahrtwind passt. Dass es auch eher kantige Songs gibt, die die Verbindung zu unseren vorigen Sachen herstellen, mag ich ebenfalls sehr gerne.

    Anne: Wie lange habt Ihr insgesamt an der Platte gearbeitet?

    Inspiriert vom Schriftsteller Robert M. Pirsig

    Entropy – "Dharmakāya"
    Entropy – "Dharmakāya"

    Hans: Mit dem Songwriting haben wir kurz vor der Pandemie begonnen, also ab Ende 2019. Da sind innerhalb eines Jahres wahrscheinlich so die Hälfte der Songs entstanden, die jetzt auf der Platte sind. Die restlichen Lieder, das gemeinsame Erarbeiten und die Aufnahmen gingen dann bis 2024.

    Anne: Was bedeutet der Albumname "Dharmakāya"?

    Hans: "Dharmakāya light" ist ein Begriff, den der Schriftsteller Robert M. Pirsig verwendet. Was er damit meint, ist das Erlebnis, dass die eigene Wahrnehmung der Welt auf einmal "lichtdurchflutet" ist. Er führt solche Momente darauf zurück, dass man zumindest für einen Augenblick die gesellschaftlichen Konventionen hinter sich lassen kann, die normalerweise dafür sorgen, dass man in eher vorgefertigten Bahnen denkt, fühlt und wahrnimmt. Also geht's um einen "befreiten" Blick auf die Welt, bei dem sich die Dinge auf einmal ganz anders darstellen als im Alltagstrott. Da so etwas in den Texten auf der Platte auch eine Rolle spielt, fanden wir, dass das ein ganz passender Titel ist.

    Anne: Wir leben in ganz schön finsteren Zeiten. Euer düsterer, in Teilen an die Grunge-Ära erinnernder Sound trifft da komplett den Puls der Zeit, könnte man sagen. Beeinflussen Euch die aktuellen Ereignisse beim Schreiben Eurer Songs?

    Hans: Im Sinne der Antwort auf die letzte Frage: Ich finde eigentlich, dass es auf der Platte ziemlich viele Momente gibt, die weniger "doom and gloom" verbreiten als zuvor. Aber klar, es gibt die düsteren Inhalte/Songs, und auch in den fröhlichen Tracks sind Abgründe versteckt. Die Dinge, um die es da geht, haben ihren Ausgang allerdings erst mal eher im Persönlichen, nicht in aktuellen Ereignissen – seien es Angst und Depression, missglückte Dates oder generelle Zweifel am eigenen Platz in der Welt. Was natürlich nicht auszuschließen ist, ist, dass diese für mich persönlich relevanten Themen auch Probleme berühren, die andere Menschen haben. Wenn dann vielleicht der ein oder andere Song nicht nur von mir, sondern auch zu anderen Leuten spricht, dann wäre das natürlich toll!

    Anne: Was inspiriert Euch denn insgesamt am meisten? Gibt es Bands, die Ihr als Vorbilder bezeichnen würdet?

    Hans: Das ist für jeden in der Band extrem unterschiedlich, würde ich sagen. Unser Drummer Benjamin tummelt sich ja neben ENTROPY auch auf den Feldern der elektronischen Musik (EXCHAMPION) und des Death Metal (TERRA BUILDER), Philipp spielt Hardcore bei TAIFUN und Deutschpunk bei EA80, und Jens (überlegt). Tja, das ist immer schwer zu sagen. Ich hoffe, ich tue ihm nicht unrecht, wenn ich sage, dass er sehr diverse Formen von Musik von Frickel-Free-Jazz über Indie-Rock bis hin zur Hamburger Schule hört. Bei mir sind's Bands wie SUGAR, SWERVEDRIVER oder JESU (und OASIS, aber das nur unter uns), die mich immer wieder inspirieren – und aus diesem wilden Mischmasch entsteht dann eben ENTROPY!

    Anne: Euer Debütalbum "Liminal" habt Ihr 2020 veröffentlicht. Was hat sich seitdem für Euch als Band verändert?

    "Es ist nicht so einfach, in Hamburg zu spielen"

    Hans: Wir funktionieren eigentlich ähnlich. Es kommen halt zunehmend familiär-berufliche "Verpflichtungen" dazu, mit denen man umgehen muss. Das hat aber etwa in der Vorbereitung des neuen Albums dazu geführt, dass wir einfach fokussierter gearbeitet haben. Benjamin hat eine Vorproduktion mit uns gemacht, in deren Rahmen sich jeder intensiv mit den eigenen Parts auseinandersetzen konnte, ohne dass man die ganze Zeit gemeinsam im Proberaum stehen musste, bis alle alles so weit zusammen hatten.

    Anne: Als Hamburgerin habe ich noch eine ganz besondere Frage an Euch: Wie würdet Ihr die Entwicklung der Hamburger Musikszene in den vergangenen Jahren beschreiben? Das Clubsterben ist allgegenwärtig, nach der Pandemie konnte man bestimmte Venues nicht mehr bespielen und man bekommt das Gefühl immer mehr Bands haben Hamburg gar nicht mehr auf dem Schirm, wenn sie ihre Touren buchen. Wie fühlt sich das "von innen heraus" für Euch an?

    Hans: Für uns war's bisher immer schwierig, in Hamburg Konzerte zu bekommen (am 13. September aber gibt's endlich einen Gig im KOMET – kommt rum!). Das liegt unter anderem natürlich auch daran, dass sich durchs Clubsterben immer weniger Ansprechpartner finden, und die Liste gerade kleinerer Bands, die irgendwo spielen wollen, immer länger wird. Als Konzertgänger, der ich selbst natürlich auch gelegentlich bin, frage ich mich immer, ob die Situation nicht neben den zunehmenden finanziellen Engpässen auch damit zu tun hat, dass zumindest ein Teil des (Hamburger) Publikums einfach "müde" geworden ist. Wenn ich mir zum Beispiel angucke, wie wenige Leute bei einer anderswo total abgefeierten Band wie HOTLINE TNT auftauchen, dann ist das schon ein bisschen traurig. Andererseits: bei ALVVAYS dann doch volles Haus, auch junges Publikum – insgesamt also ziemlich schwierig zu beurteilen, das alles!

    Anne: Wenn Ihr an der Musikindustrie als Ganzes etwas verändern könntet. Was wäre es und wie würdet Ihr es anstellen?

    Hans: Ich glaube, der Refrain, in den derzeit viele Bands einstimmen würden, hat etwas damit zu tun, dass man als Musiker*in gerne weniger hauptberuflich Social Media bespielen würde. Stattdessen hätte man gerne das Gefühl, dass die Musik "an sich" einen eigenen Wert hat und "spektakulär" genug ist. Das ist aber nicht unbedingt die "Schuld" der "Musikindustrie", sondern irgendwie gerade der Takt, der von den Tech-Companys vorgegeben wird, dem man sich kaum entziehen kann. Dass die Emanzipation von diesen Dynamiken so schwierig ist, ist schade, aber da wären halt wir alle gefragt, sowohl die Bands als auch die Plattenfirmen als auch die PR-Leute als auch die Musik-Konsumentinnen!

    Anne: Ich habe schon die unterschiedlichsten Genre-Bezeichnungen unter Eurer Musik gelesen – von Grunge bis Post-Hardcore und von Shoegaze bis Emo. Beim Hören bekommt man eher das Gefühl, dass Ihr solche Grenzen längst hinter Euch gelassen habt und Eure Vielseitigkeit aus Eurer persönlichen Vorliebe für die unterschiedlichsten Spielarten von Musik zieht. Wie seht Ihr das?

    "Wir gehen gerne spielerisch mit Musikstilen um"

    Entropy
    Entropy

    Hans: Ich kann eigentlich nur unterschreiben, was Du formuliert hast (lacht)! Dieses ganze (Mikro-)Genre-Denken hat ja auch immer so ein bisschen was Kleingartenverein-mäßiges – Deine Parzelle, meine Parzelle.

    Letztlich sind ja die meisten Formen von Rockmusik doch recht nah beieinander gebaut, sodass es eigentlich für großartige Abgrenzungen nicht wirklich eine Veranlassung gibt. Dennoch sind diese Genre-Fragen manchmal auch ganz interessant. Weil's ja schon so ist, dass man überall klaut, und wenn da dann jemand etwas wiedererkennt, was dann zu einer Einsortierung zum Beispiel unter "Shoegaze" führt, dann ist das ja auch ganz lustig. Will heißen: Ein spielerischer, nicht allzu ernster Umgang mit so etwas kann Spaß machen!

    Anne: Wenn Ihr im Anschluss an Eure Veröffentlichung mit dem Album auf Tour geht – gibt es etwas, auf das Ihr Euch besonders freut?

    Hans: Die neuen Songs live auszuprobieren!

    Anne: Das klingt gut! Ich wünsche Euch viel Spaß dabei und bin schon gespannt! Vielen Dank für das Interview! Es hat mich gefreut, Euch kennenzulernen!

    Hans: Ebenfalls! Vielen Dank fürs Interview!

    Hier könnt Ihr schon reinhören. Im Moment sind es drei Stücke, am 30. werden dann auch hier alle elf Songs auf "Dharmakāya" komplett für Euch verfügbar sein.

    Entropy – "Dharmakāya"

    © 2024 · soundsvegan.com · Anne Reis