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    US-Gericht erkennt Tiere erstmals als juristische Personen an

    Die Flusspferde vom Magdalena River

    Beitrag von Anne
    28.10.2021 — Lesezeit: 4 min
    US-Gericht erkennt Tiere erstmals als juristische Personen an
    Bild/Picture: © ArtTower, Pixabay

    Im Rahmen eines laufenden Prozesses in Kolumbien hat ein US-Bezirksgericht die rund 100 Flusspferde, die entlang des Magdalena River leben, als juristische Personen anerkannt. Die Verhandlung geht damit als Meilenstein in die Geschichte ein.

    Im Oktober 2021 war es endlich so weit: In den Vereinigen Staaten erkannte ein Gericht zum ersten Mal Tiere als juristische Personen an. Die Tierrechtsorganisation Animal Legal Defense Fund (ALDF)1 hatte im Rahmen der Verhandlung einen Antrag auf die Vernehmung von Elizabeth Berkeley und Richard Berlinski, zweier Expert*innen für nicht-chirurgische Sterilisation aus Ohio, gestellt. Die Klagenden waren die im Magdalena River lebenden Flusspferde.

    Als Teil des Gerichtsverfahrens gab das US-Bezirksgericht dem Antrag gemäß 28 U.S.C. § 1782 auf Durchführung von Ermittlungen zur Verwendung in ausländischen Verfahren statt und erkannte damit die Flusspferde als juristische Personen im Sinne dieses Gesetzes an.

    Einklagbare Tierrechte

    Die USA können laut Gesetz in einem Rechtsstreit in einem anderen Land jeder interessierten Person von einem Bundesgericht die Erlaubnis erteilen, innerhalb der Staaten zur Unterstützung Aussagen zu machen. Weil das Land Kolumbien die Nilpferde in diesem Fall als Rechtspersonen anerkannt hat, sieht sie die ALDF nach dem Gesetz als interessierte Personen.

    Stephen Wells, Executive Director beim ALDF freute sich:

    "Tiere haben das Recht, frei von Grausamkeit und Ausbeutung zu leben. Das Versäumnis der US-Gerichte, ihre Rechte anzuerkennen, behindert die Durchsetzung bestehender gesetzlicher Schutzmaßnahmen. Der Gerichtsbeschluss, der es den Flusspferden erlaubt, ihr Recht auf Informationsbeschaffung in den Vereinigten Staaten auszuüben, ist ein entscheidender Meilenstein im allgemeinen Kampf um die Anerkennung einklagbarer Tierrechte."

    Die Geschichte des Prozesses reicht bis in die 1980er Jahre zurück. Damals erwarb der berüchtigte Drogenboss Pablo Escobar vier Nilpferde für seinen privaten Zoo. Nachdem er 1993 verstorben war, wurden die Tiere von der kolumbianischen Regierung auf seinem Grundstück zurückgelassen. Die schlichte Begründung dafür lautete, man sei nicht in der Lage dazu, eine passende neue Unterkunft für sie zu finden. Die Nilpferde machten sich indes auf dem Weg, flohen vom Grundstück des Koks-Barons und ließen sich am Magdalena River nieder. Dort angekommen, begannen sie sich mit (zumindest ist das die Ansicht einiger Ökolog*innen) nicht aufhaltbarem Tempo zu vermehren.

    Die Flusspferde am Magdalena River haben sich vermehrt

    Die Regierung reagierte prompt und wollte die Tiere einfach abschlachten. Das rief einige Tierrechtsaktivst*innen auf den Plan, die sich so schnell wie möglich rechtliche Unterstützung suchten. Im Juli 2020 reichte der Anwalt Luis Domingo Gómez Maldonado eine Klage ein, um zu verhindern, dass die inzwischen etwa 100 Flusspferde am Magdalena River getötet wurden.

    Am 15. Oktober diesen Jahres fing dann die örtliche Umweltbehörde damit an, den Flusspferden das Verhütungsmittel GonaCon zu verabreichen. Die Sicherheit und Wirksamkeit des Mittels sind bisher nicht erforscht. Bis heute hat die kolumbianische Regierung nicht bekannt gegeben, wie viele der Nilpferde außerdem getötet werden sollen.

    Die Nilpferde sollen ein wirksames Verhütungsmittel bekommen

    Die Klage des Anwaltes umfasst inzwischen auch, den Tieren stattdessen das wirksame Mittel Porcine Zone Pellucida (PZP) zu verabreichen. Es war in der Vergangenheit bereits erfolgreich bei Nilpferden eingesetzt worden und wurde von einem internationalen Beratungsausschuss empfohlen. Dieser wurde von der internationalen Organisation Animal Balance2, die sich vor allem mit der Sterilisation von Tieren beschäftigt, zusammengestellt.

    Weil das US-Bezirksgericht für Süd-Ohio dem Antrag auf Offenlegung des Verfahrens stattgegeben hat, werden die Aussagen von Elizabeth Berkeley und Richard Berlinski verwendet. Die beiden sind unter anderem als Wildtierexpert⋆innen für Animal Balance tätig. Den Einsatz des erprobten Mittels an den Flusspferden vom Magdalena River unterstützen auch sie.

    In den USA wird die Möglichkeit, Tiere als juristische Personen anzuerkennen, schon länger diskutiert. Damit geht das Land weltweit mit gutem Beispiel voran. Bei uns in Deutschland ist es bis zu einem ähnlichen Beschluss noch ein weiter Weg.

    Auch in einigen indischen Bundesstaaten gelten Tiere als Rechtspersonen

    Die Anerkennung von Tieren als Rechtspersonen ist dennoch nicht einzigartig. Immer mehr Länder diskutieren darüber, Tieren ihre Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen. Während sie vielerorts nach wie vor als Eigentum eingestuft werden, wurden beispielsweise vom obersten Gerichtshof der indischen Bundesstaaten Punjab und Haryana Tieren 2019 der Status von juristischen Personen oder Rechtssubjekten zuerkannt. Tiere in Haryana erhielten damals "die entsprechenden Rechte, Pflichten und Verbindlichkeiten einer lebenden Person". Der Richter Rajiv Sharma, der 2018 einem ähnlichen Urteil am obersten Gerichtshof von Uttarakhand vorstand, erklärte, dass seine Entscheidung auf der Diskrepanz zwischen dem, was und wem in der Vergangenheit die Rechtspersönlichkeit zuerkannt wurde, beruhte. In seinem Urteil sagte er

    "Unternehmen, Hindu-Idole, heiligen Schriften und Flüsse wurden zu juristischen Personen erklärt, und daher ist es zum Schutz und zur Förderung eines größeren Wohlergehens von Tieren, einschließlich Vogel- und Wassertieren, erforderlich, dass den Tieren der Status einer juristischen Person verliehen wird. Die Tiere sollten gesund sein, sich wohlfühlen, gut ernährt werden, sicher sein und in der Lage sein, ihr angeborenes Verhalten ohne Schmerzen, Ängste und Nöte auszudrücken. Sie haben ein Recht auf Gerechtigkeit. Die Tiere können nicht als Objekte oder Eigentum behandelt werden."

    – Wenn man sich daran bei uns mal ein Beispiel nehmen würde. Zwar wurde in Deutschland 1990 das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht (BGBl. I S. 17623) erlassen. Die Anerkennung als Rechtsperson geht daraus jedoch noch längst nicht hervor.

    Tiere haben keine herausragende Rechtsstellung

    Der durch das Gesetz neu eingefügte § 90a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB4) bestimmt, dass Tiere keine Sachen sind und durch besondere Gesetze geschützt werden. Diese Vorschrift bringt zum Ausdruck, dass Menschen gegenüber Tieren wegen deren Fähigkeit, Schmerz und Leid zu empfinden, zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist.

    Bei uns haben Tiere somit keine herausragende Rechtsstellung. Es heißt:

    "Die im Bürgerlichen Recht für Sachen geltenden Vorschriften sind entsprechend auch für Tiere anzuwenden(§ 90a Satz 3 BGB)."

    Immerhin wird zum Beispiel in Fällen von Schadensersatz zwischen Sachen und Tieren unterschieden. Wenn ein Tier durch eine andere Person verletzt wird, muss diese gemäß § 251 Absatz 2 Satz 1 BGB die Heilbehandlung zahlen, auch wenn sie mehr kostet, als das Tier "materiell wert wäre". Das bedeutet, dass eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise verboten ist. Als Grenze wird hier betrachtet, wie sinnvoll und vernünftig eine Behandlung ist und ob ein Tier noch gerettet werden kann.

    Nach der Einführung des § 90a BGB wurde auch das Zwangsvollstreckungsrecht von Haustieren, die "nicht zu Erwerbszwecken gehalten" werden, gestrichen. Das steht im § 811 c der Zivilprozessordnung (ZPO5). Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen: Wenn es sich beispielsweise um sehr wertvolle Tiere handelt.

    Foto: ArtTower, Pixabay

    1. Animal Legal Defense Fund
    2. Animal Balance
    3. Bundesgesetzblatt
    4. Bürgerliches Gesetzbuch BGB
    5. Zivilprozessordnung (ZPO)

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