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    C. Diab

    "Musik ist eine tiefere Kommunikationsform"

    Interview von Anne
    21.08.2020 — Lesezeit: 6 min
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    C. Diab

    C. Diab habe ich Euch in meiner Musikliste für den Juli vorgestellt. Der Ausnahmemusiker aus Vancouver möchte die Menschen mit seiner Musik zum Träumen anregen.

    Sein Album "White Whale", das vor Kurzem erschien, ist das fünfte seit seinem Debüt im Jahr 2013. Ich habe mich jetzt mit ihm zum Interview verabredet. Wir haben uns über "White Whale" und seine Eigenart, Akustikgitarre mithilfe eines Cellobogens zu spielen unterhalten. Und ein bisschen über Politik.

    Anne: Hi! Danke, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Wie geht es Dir heute?

    C. Diab: Mir geht es gut. Ich habe gerade im strömenden Regen einen Spaziergang gemacht. Darum bin ich klatschnass.

    Anne: Wie bist Du auf die Idee gekommen, mit einem Cellobogen Gitarre zu spielen?

    "Ich habe einen Cellobogen gefunden"

    C. Diab: Als ich ein Teenager war, habe ich in einer Art Psych-Folk Band gespielt. Mit zwei anderen Gitarristen. Keiner von uns hatte irgendwelche Effekt-Pedale oder andere Variationsmöglichkeiten für die Tonalität, also waren wir häufig auf der Suche nach dem Schallraum. Eines Tages sah ich einen alten Cellobogen im Haus herumliegen. Ich habe versucht, damit Gitarre zu spielen und ich hatte das Gefühl, dass sich eine neue Klangwelt öffnete. Es schuf eine interessante klangliche Trennung zwischen den Linien.

    Irgendwann löste sich die Band auf und wir alle entwickelten uns weiter. Erst viele Jahre später, ich steckte gerade in einer Art musikalischem Trott fest, fand ich wieder einen alten Bogen in meiner Wohnung. Ich spürte sofort, dass meine Musik durch diese Technik zu ihrer wahren Form finden würde. In diesem Moment brachen alle Dämme.

    Anne: Du spielst auch Trompete. Ich mag die spezielle Atmosphäre, die dieses Instrument erschafft sehr. Was macht es so besonders?

    C. Diab: Ich denke, dass der Klang einer Trompete auf die Menschen sehr anregend wirkt. Sie ist ein einzigartiges Instrument. Die meisten haben eine bestimmte Vorstellung davon, für welche Art Musik eine Trompete verwendet werden sollte. Oder eine bestimmte Erinnerung an die Trompete, die alle Stücke, in denen eine Trompete vorkommt, in eine bestimmte Farbe tauchen.

    Anne: Was inspiriert Dich besonders, wenn Du neue Songs schreibst oder an Deiner großartigen Musik arbeitest?

    "Worte können frustrierend sein"

    C. Diab: Worte können sehr frustrierend sein. Kommunikationsversuche durch Gespräche offenbaren häufig nur die Spitze des Eisbergs. Wichtige Nuancen fehlen. Vielen Menschen fällt es schwer, Blickkontakt zu halten. Wenn ich Songs schreibe, ist das für mich vor allem der Versuch, einer tieferen Kommunikationsform, die über die Sprache hinausgeht. Ich versuche, meinen Herzschlag in die Musik zu legen. Ich hoffe, dass ich den Zuhörern so dabei helfe, vergessene Momente wieder an die Oberfläche zu holen. In einer perfekten Welt wäre das sicher eine Form der Heilung.

    Anne: Hat die COVID-19 Krise Dich und Deine Arbeit als Musiker beeinflusst? Hattest Du geplant, mit Deinem neuen Album "White Whale" auf Tour zu gehen?

    C. Diab: Die Krise hat mich beeinflusst. Ich war bereit, im April nach Stockholm zu reisen und dort im EMS-Studio zu hospitieren. Außerdem hatte ich vorläufige Pläne für mehrere Shows in Europa rund um die Veröffentlichung der Platte geschmiedet. Auch in meiner Heimat waren Auftritte während des Sommers geplant. Ich musste alles absagen.

    Anne: Apropos "White Whale" - Ich mag das Album sehr! Bist Du zufrieden mit dem Ergebnis Deiner Arbeit?

    "'The White Whale' aufzunehmen war eine gute Erfahrung"

    C. Diab

    C. Diab: Am Ende, wenn die Platte fertig ist und bereit, gehört zu werden, gepresst und verschickt wird, kann ich an meinen Ausgangspunkt zurückkehren und sie mir mit frischen Ohren noch mal anhören. Ich lerne sie dann von der anderen Seite kennen. Die Produktion dieses Albums war eine gute Erfahrung für mich. Der Sound-Ingenieur, mit dem ich zusammengearbeitet habe, ist ein wunderbarer Mensch. Ich glaube, dass wir etwas geschaffen haben, auf das ich stolz sein kann. Ich freue mich wirklich sehr über die Veröffentlichung. Allerdings denke ich auch, dass ich nicht mehr daran arbeiten müsste, wenn ich mit meinen Platten immer vollständig zufrieden wäre. Es gibt immer noch so viel zu tun.

    Anne: Sind außer Dir noch weitere Musiker*innen auf "White Whale" zu hören?

    C. Diab: Ich habe alle Instrumente auf "White Whale" selbst eingespielt. Mein Toningenieur Paul Steward hatte während des Abmischprozesses eine Menge Input. Er hat auch ein paar tolle Sounds hinzugefügt, indem er zum Beispiel Samples von einiges Takes und deren Umgebungsgeräusche aufgenommen, die Tonhöhen mit Filtern bearbeitet und sie anschließend als Ambient Sound wieder hinzugefügt hat. Tatsächlich glaube ich, dass er vielleicht auch den arpeggierten Synthesizer auf "Infernal District" gespielt hat. Das muss ich ihn mal fragen.

    Anne: Wie bist Du auf den Namen "White Whale" gekommen?

    "Was ist diese Welt?"

    C. Diab: Ich habe das Album nach dem allgemeinen Gefühl der Entrechtung benannt. Es ist meiner Meinung nach in die Wasserversorgung meiner Generation eingedrungen. Die Dinge scheinen jetzt noch viel düsterer zu werden. Manchmal langsam und manchmal in einem unglaublichen Tempo. "White Whale" (weißer Wal) bezieht sich auf die Träume der Menschen, auf Dinge, die einfach sein sollten - Zufriedenheit und Sicherheit im materiellen Sinne zum Beispiel. Aber auch eine verantwortungsvolle Regierung und das Vertrauen in die Nachbarn. Die Welt wird von rassistischen und blutsaugenden Oligarchen regiert und das oft, weil wir sie tatsächlich gewählt haben. Was ist diese Welt?

    Anne: Glaubst Du, dass es etwas gibt, das Politiker*innen von kreativen Menschen lernen können?

    C. Diab: Alle Menschen sind kreativ. Die meisten müssen nur aufwecken, was in ihnen schlummert. Die Ärmel hochkrempeln. Politiker*innen können davon profitieren, indem sie aus ihren Fehlern lernen. Aber leider sieht es so aus, als wäre das zu viel verlangt von der politischen Klasse.

    Anne: Deine Musik ist sehr kreativ. Ich mag Deine Art, Elemente aus verschiedenen Musikstilen auf Deine eigene Weise zusammenzufügen. Es ist sehr intensiv und emotional. Das Ergebnis ist eine Sammlung faszinierender Klangwelten. Was versetzt Dich in einen kreativen Zustand? Was hilft Dir dabei, fokussiert zu bleiben?

    "Um konzentriert zu bleiben, muss ich etwas tun, das mir Spaß macht"

    C. Diab: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich beim Musikmachen so sehr in einen Zustand der Kreativität eintrete, oder ob ich es einfach nur tue. Es ist das, was ich tun möchte. Ich verbringe meine Zeit gerne damit. Es lässt mich erschauern, etwas Gutes zu tun und zu spüren, wie es einfach fließt und passiert. Um konzentriert zu bleiben, muss ich etwas tun, das mir Spaß macht. Ich bin sehr schnell frustriert. Dann schalte ich alles ab und bin für den Rest des Tages erbärmlich mürrisch.

    Anne: Wann hast Du angefangen, Musik zu machen? "White Whale" ist Dein drittes Album auf diesem Label, oder? Wolltest Du schon immer Ambient machen? Wo liegen Deine Wurzeln? Gibt es andere Genres, die Du besonders schätzt?

    "Musik hat mich schon als Kind fasziniert"

    C. Diab: "White Whale" ist mein drittes Album, das ich mit Injazero Records veröffentlicht habe, aber es gibt noch zwei Selbstveröffentlichungen von mir - digitale Aufnahmen.

    Ich habe angefangen Musik zu machen, als ich etwa 14 Jahre alt war. Ich habe damals meine erste Gitarre bekommen, eine akustische Walden. Mein hauptsächlicher musikalischer Einfluss in diesem Alter und schon früher kam von einem engen Freund. Er war älter als ich und spielte instrumentale akustische Gitarrenmusik mit einem einzigartigen Stilmix aus American Primitive, Spanish mit Atahualpa Yupanqui inspiriertem Picking. Ich wusste schon in einem sehr jungen Alter, dass ich besonders daran interessiert war, instrumentale Musik zu machen. Aber ich liebte es auch, Musik mit Vocals zu hören. Ich liebe ein breites Spektrum von Musikstilen. Meine All-Time-Favoriten reichen von Huun-Huur-Tu über Fever Ray und Talk Talk bis zu den Gesängen der Buckelwale.

    Anne: Die Ambient und Post-Rock Szene scheint auf den ersten Blick sehr überschaubar. Was auf eine Art wunderbar familiär und gemütlich ist. Vor allem auf Konzerten und Festivals. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass es für Musiker⋆innen auch eine Herausforderung bedeuten kann. Was meinst Du: Sollten mehr Leute diese Art Musik hören?

    "Wenn die Leute zufällig Gitarren-Streichmusik hören wollen, habe ich nichts dagegen"

    C. Diab: Die Musik ist in viele verschiedene Richtungen zersplittert. Etwas wie "Post-Rock" oder "Ambient" kann heutzutage so viel bedeuten. Die Genres verschwimmen immer mehr und manchmal denke ich, dass das eine gute Sache ist. Häufig hört man ein Stück eines absoluten Genies, das von einem unbekannten Musiker in der Küche geschrieben und aufgenommen und im Bandcamp veröffentlicht wurde. Und dann ist es wieder ein⋆e etablierte, bekannte Musiker⋆in. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Art und Weise, wie ich komponiere und auftrete, all das, was ich mache, etwas Besonderes ist und nicht immer alle Leute ansprechen wird. Ich kann sicher nicht sagen, was die Leute hören sollten oder nicht hören sollten, aber wenn sie zufällig instrumentale Streichgitarrenmusik hören, habe ich nichts dagegen.

    Anne: Dein Album wurde am 8. Juni bei Bandcamp zum Album des Jahres gekürt. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle. Magst Du die Plattform? Ist sie nützlich?

    C. Diab: Danke! Bandcamp schneidet für Musiker⋆innen vergleichsweise gut ab. Sicher sind die Vorteile des Bandcamp Modells finanziell weitaus größer, als bei vielen anderen Plattformen und um ein Vielfaches schöpferischer als Streaming-Dienste wie Spotify, das in meinen Augen im Wesentlichen als Werbeplattform existiert.

    Anne: Wie sehen Deine Pläne für die Zukunft aus? Holst Du Deine Tour 2021 nach? Arbeitest Du im Moment an neuen Stücken?

    "Ich arbeite im Moment an einigen neuen Projekten"

    C. Diab: Ich hoffe sehr, dass ich spätestens bis Ende 2021 in Europa sein kann, um dort Konzerte zu spielen. Leider hängt im Moment noch alles in der Luft. Ich bin also zu Hause in Vancouver und arbeite an Aufnahmen für ein paar kleine Projekte. Ich glaube, dass ich eine Kassette aufnehmen möchte, auf der ich den Menschen etwas vorlese. Vielleicht fange ich heute Nacht damit an.

    Anne: Vielen herzlichen Dank für das Interview! Ich wünsche Dir alles Gute!

    C. Diab: Dir auch! Bis dann!

    Das Album "White Whale ist am 5. Juni 2020 erschienen. Ihr könnte es als Schallplatte kaufen oder online streamen.

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