Arms and Sleepers – "What Tomorrow Brings"
Musikalische Erinnerungen und Ausblicke
"What Tomorrow Brings" – Arms and Sleepers ist mit der Frage nach der Ungewissheit der Zukunft zurück und liefert gleich zu Beginn des Jahres ein sensationelles Album ab. Offiziell wird es am 1. März erscheinen, doch ich habe es bereits gehört, die Highlights aufgelistet und Euch einen ersten Vorgeschmack in Form von zwei Vorauskopplungen mitgebracht.
Insgesamt umfasst "What Tomorrow Brings" 17 kurze Tracks, die einen von der ersten Minute an fesseln und bis zum Schluss nicht mehr loslassen. Früher noch gemeinsam mit Max Lewis als Duo unterwegs, das sich in Boston gründete, agiert Mirza Ramic heute solo aus Berlin und ist dort – Überraschung! – bei Pelagic Records unter Dach und Fach gekommen.
Eine tragische Geschichte
Arms and Sleepers aka Mirza Ramic
Mit der neuen Platte verarbeitet der Künstler und Produzent seine Flucht vor dem Krieg in Bosnien in den frühen 1990er-Jahren, den tragischen Tod seines Vaters in diesem Konflikt und wie der Ukraine-Krieg seine Erinnerungen an damals auf schreckliche Weise widerspiegelt. Der ungewisse Blick auf die kommende Zeit, der aus diesen Gedanken entsprungen ist legt jedoch keinesfalls einen getragenen oder verkomplizierenden Schleier über die neuen Songs. Sie sind – ganz im Gegenteil – klar offen und ergreifend.
Einige Zeit nach der Arms and Sleepers Gründung im Jahr 2006 folgte 2012 eine Pause und Neuorientierung. Seither erscheint wieder Musik. Den neuen Langspieler kann man getrost als Höhepunkt dieser Ära bezeichnen. Von Bläsern über Gesang sowie digitale und analoge Instrumente ist alles mit dabei – grandiose Andeutungen an die Hochzeit des Trip Hop Ende inklusive.
20 EPs und (mit dieser Platte) 14 LPs umfasst die beeindruckende Arms and Sleepers Diskografie inzwischen. Wer mit Ambient, Post-Musik und Trip Hop bereits Berührungspunkte hatte, dem ist das Projekt ein Begriff. Dem großen Namen wird Mirza mit dem neuen Album definitiv gerecht. Ihr könnt Euch auf experimentelle, gefühlvolle und entspannte, kontemporäre Musik freuen!
Ein Album in vier Phasen
Die beobachtende Perspektive des Soundkünstlers auf unsere aus den Fugen geratene Welt hört man "What Tomorrow Brings" klar an. Für ihn ist die LP ein Bericht, der sich aus vier unterschiedlichen musikalischen Abschnitten zusammensetzt – angefangen mit dem Verlust seines Zuhauses und die Vertreibung aus seiner Heimat. Inspiriert hat ihn dabei auch Kenneth Branaghs Coming-of-Age-Drama "Belfast". Gegenüber Pelagic berichtete er:
"Als die Kämpfe in der Ukraine ausbrachen, dachte ich an meine Erfahrungen, die ich als Kind gemacht habe und darüber, wie ich zu der Person wurde, die ich heute bin."
Die Titel "Innocence", "Melancholy", "Rupture" und "Reflection" markieren die vier Abschnitte des Konzeptalbums. Sie verdeutlichen Mirzas Erfahrungen, seine Verluste, seine Gefühlswelt, und die Formung seiner Identität.
Unsere Sehnsucht nach Dekaden der Vergangenheit und Zukunft
Arms and Sleepers – "What Tomorrow Brings"
Fans von Projekten wie Caspian, Mogwai, Morcheeba, DJ Krush, Portishead, Nightmares on Wax und Moloko dürften ihre Freude haben an diesem wunderbaren Kunstwerk, das unserer Zeit auf transparente und zugleich verspielte Art den Spiegel vorhält. Die deutlichen Akzente in Richtung Jazz und Post-Rock verdeutlichen dabei die Sehnsucht mit der wir uns alle Abende in Zeiten der Harmonie herbeisehnen – in längst vergangenen Dekaden und in jeden, die erst noch kommen werden.
Sein musikalisches Gemälde erschafft Arms and Sleepers mit einer beeindruckenden Präzision. Der entspannte Ambient-Sound mit seinen Drumbreaks und überraschenden Momenten sorgen immer wieder für schöne Überraschungen. Wer sich von der Musik dahinjagen lassen möchte erhält zwischen den Takten immer wieder einen freundlichen Denkanstoß.
Mein Lieblingsstück ist – unter anderem auch aus diesem Grund – bisher "It's Easy". Mirza erzählt mit dem Song eine sehr persönliche Geschichte. Hier sind seine Worte dazu:
"Als ich 'It's Easy' geschrieben habe, habe ich an meinen Vater gedacht, der 1993 im Krieg in Bosnien ums Leben kam. Ich habe darüber nachgedacht, wie 'einfach' es hätte sein können, wenn es keinen Krieg gegeben hätte und Menschen wie mein Vater nicht sinnlos getötet worden wären."
So tragisch seine Geschichte ist: Mirza versucht sich seinen Optimismus nicht nehmen zu lassen.
"In gewisser Weise könnte es sehr 'einfach' sein, einen Krieg zu vermeiden. Ich habe das Stück daher aus der Perspektive eines unschuldigen, etwas naiven Kindes geschrieben, für das Dinge wie Krieg und Gewalt überhaupt keinen Sinn ergeben."
Wenn Ihr Euch die Zeit nehmt, "It's Easy" und später das komplette Album anzuhören, werdet Ihr Euch an Mirzas Worte erinnern und Euch vermutlich wie ich die Frage stellen: Haben wir nicht alle einen Teil dieses Kindes in uns?
Arms and Sleepers – "It's Easy"
Über die zweite Vorauskopplung, die ich Euch hier mit anfüge, berichtete der Musiker gegenüber Pelagic:
"Bei 'Blood Song' handelt es sich tatsächlich um eine der ersten Song-Ideen, die ich im Sommer 2021 hatte, als ich noch an der Vorgänger-Platte "Former Kingdoms" gearbeitet habe. Ich habe mir die Demo dann für später aufgehoben. Sie hebt sich mit ihrem etwas aggressiveren Upbeat-Sound ein bisschen vom Rest der LP ab – perfekt für die C-Seite, die ich insgesamt explosiver gestaltet habe, als den Rest.
Das Stück war viel gedämpfter, bevor ich Andreas Schütz (alias Pierre Navarron von il:lo, der auch für den Mix des neuen Albums verantwortlich ist) bat, daran mitzuarbeiten. Er brachte mit verbessertem Drum-Programming und Synthesizer-Layering den dringend benötigten frischen Wind in den Song. Genau, wie die anderen Tracks auf der C-Seite handelt auch "Blood Song" von den negativen und traumatischen Aspekten meiner Lebensreise – einer Art Bruchstelle in meinen Gefühlen."