Cementation Anxiety – "Liminal Instability"
Eine Oper ohne Arien
"The patterns merely mutate" steht auf der Bandcamp Seite von Cementation Anxiety. Ich glaube, das ist eine ziemlich schüchterne und bescheidende Beschreibung der beeindruckenden Klanglandschaften des Projekts – obwohl es ziemlich gut in Worte fasst, wie diese spezielle Art Musik zu funktionieren scheint.
Cementation Anxiety Gründer Kyle selbst schrieb mich an, um mir von der neuen EP "Liminal Instability" zu erzählen. Natürlich musste ich sofort reinhören und nach den ersten paar Durchgängen muss ich sagen: Ich bin ziemlich geflasht.
Cementation Anxiety hat eine grandiose Fantasiewelt erschaffen
Die Platte ist wirklich großartig. Die insgesamt fünf Stücke treffen bei mir einen Nerv und vor allem genau meinen Geschmack. Gelistet ist das Werk unter Dark Ambient und Drone und irgendwie ist da noch so viel mehr als das.
Cementation Anxiety – "Liminal Instability
Hören sollte man die Songs auf jeden Fall hintereinander – sie bilden insgesamt ein Klangkonzept, das nicht getrennt werden sollte. Beschreiben lässt sich das, was man da hört, nur schwer – auf keinen Fall zumindest kategorisieren oder erklären.
Was mir besonders gut gefällt an "Liminal Instability" ist die Natürlichkeit und Unberechenbarkeit, die die Platte in jedem Moment ausströmt, obwohl sie so genau durchdacht und präzise komponiert ist.
Der Auftakt zu einer Reise
Der erste Song "Precipice" ist der Auftakt zu einer Reise in die Fantasie. Eine atmosphärische Welt baut sich auf, die zunächst noch entfernt wirkenden Drone-Effekte kündigen an, was es in den nächsten vier Stücken noch zu erwarten gibt. Die Spannung steigt. Mit 5:48 ist das überaus packende Intro das längste Stück auf der Platte und zugleich die Überleitung in ein Märchen zwischen Raum und Zeit.
Öffnet sich da eine Tür in eine Parallelwelt? Man kann es nur vermuten. Der zweite Song "Breathless" raubt einem auf jeden Fall den Atem. Mit unaufhaltbarer Geschwindigkeit gleitet man beim Hören durch den Raum und vergisst für einen Moment seine Umgebung voll und ganz.
Bei den ersten Noten von "The Light On Your Fingertips" betrete ich eine bunte Wiese. Jede Blume hat eine andere Farbe. Ich gehe weiter und beim genaueren Hinsehen merke ich, dass es gar keine Blumen sind. Es sind Töne, die in Schichten übereinander liegen und ein wunderbares Ornament ergeben, das schöner nicht sein könnte und irgendetwas ist da noch. Etwas Furcht-einflößendes und unheimliches. Ein Riss tut sich auf und Schnee rieselt auf das Blumenmeer.
Cementation Anxiety Gründer Kyle. Bild/Picture: Cementation Anxiety
Hauchzart und düster
Mit "Your Shaking Hands" bin ich endgültig in der eisigen und kühlen Welt angekommen, die ich bis jetzt nur erahnt habe. Die Angst vor einem zementierten Planeten – manifestiert sie sich genau in diesem Moment? Eine Geschichte von Unsicherheit und Zerrissenheit, von Hoffnung, Zartheit und Brutalität so unglaublich plastisch zu erzählen, ohne dabei Worte zu gebrauchen, ist ganz klar ein Talent von unschätzbarem Wert. Ich bin mitgerissen und gespannt auf das große Finale: "The Thicker The Air". Plötzliche Stille – ein Gefühl, wie das Davondriften während der letzten Phase einer tiefen Meditation stellt sich ein – grenzwertige Instabilität
Der letzte Song ist, genau wie vermutet, der Höhepunkt der Platte und ein grandioser letzter Akt für eine Oper ohne Arien. Das Dröhnen wird lauter, liegt jetzt über allem und ergreift Besitz vor der Szenerie. Ich bekomme eine unglaubliche Lust, die EP live zu erleben. Am besten unter freiem Himmel. Die Sterne über den Köpfen der Menschen, deren gebannte Blicke sprachlos in Richtung Bühne zeigen. Der Sound steigert sich zu einem brutalen Spektakel, wütend und heftig. Die plötzlich auftretende Stille am Ende des Songs lässt mich für einen Moment sprachlos sitzen. In meinen Gedanken hallt die Musik von Cementation Anxiety noch lange nach.
"Liminal Instability" ist die zweite Platte des Drone-Projekts aus New Jersey. Ihr könnt sie unter anderem bei Bandcamp hören.