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    "Anette Halbe Stunde"

    (Sound-)Architekt Magnus Josefsson im Interview

    Interview von Anne
    31.05.2021 — Lesezeit: 9 min
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    "Anette Halbe Stunde"
    Bild/Picture: © Magnus Josefsson

    "Anette Halbe Stunde" heißt das neue Tape von Magnus Josefsson auf Anette Records. Als ich ihn fragte, über welche Themen er sich am liebsten unterhalten würde, sprach er das Bullerbü-Syndrom an. Ich war natürlich nicht nur neugierig, zu erfahren, wie er zu Astrid Lindgren steht. Ich wollte natürlich auch mehr über den vegan lebenden (Sound)-Architekten aus Schweden erfahren, der schon mal eine Zeitlang in Weimar gelebt hat.

    Anne: Hi Magnus! Wie geht es Dir heute? Ich habe gehört, dass es mit der Pandemie in Schweden im Moment zum Glück nicht mehr so schlimm ist? Stimmt das? Hier in Deutschland scheint ja leider alles etwas länger zu dauern. Alle warten sehnsüchtig darauf, dass die Impfungen endlich überall verfügbar sind.

    Magnus: Mir geht es wunderbar, danke! Ich muss sagen, dass die Situation her die ganze Zeit relativ locker war – gemessen an der weltweiten Lage.

    Anne: Es ist schön, einen anderen Veganer kennenzulernen, dem gute Musik auch wichtig ist: Also erstmal: Gratulation für Deine Entscheidung, vegan zu leben, Deinen guten Geschmack und Dein Händchen für Musik! Ich finde, das ist eine ziemlich gute Kombination. Glaubst Du, dass es sowas wie "vegane Musik" gibt? Oder "Musik für Veganer*innen?

    "Vegan zu leben, ist eine bewusste Entscheidung"

    "Anette Halbe Stunde". Bild/Picture: © Anette Records
    "Anette Halbe Stunde". Bild/Picture: © Anette Records

    Magnus: Nein, ich glaube nicht. Zumindest nicht auf einem physischen Level. Aber vielleicht auf einem metaphysischen.

    Anne: Das Post-Rock/Ambient/Shoegaze Genre, das ich gerne als "Die Welt der Klanglandschaften" bezeichne, ist eine kleine Nische. Das trifft (im Moment) auch noch auf den Veganismus zu. Gibt es weitere erwähnenswerte Gemeinsamkeiten?

    Magnus: Vegan zu leben, ist eine bewusste Entscheidung. Ambient Music und Klanglandschaften hängen stark mit meiner Erfahrung mit meinem Bewusstsein zusammen. Musik besitzt, genau, wie das Bewusstsein keine physische Form.

    Anne: Was macht uns Veganer*innen so nervig? Ich habe mich über die Jahre mit so vielen von uns unterhalten und ich bekomme immer wieder Sätze zu hören wie "Als Veganer*in ist es schwierig, Freund⋆innen zu finden. Sobald sie hören, dass Du keine tierischen Lebensmittel zu Dir nimmst, scheinen sie beleidigt zu sein und verabschieden sich." Manchmal stimme ich dem zu und manchmal denke ich mir, es hilft mir dabei, herauszufinden, wer wirklich "Freundschaftsmaterial" ist. Hast Du diese Erfahrungen auch gemacht?

    "Den Menschen steht ihre Identität oft im Weg"

    Magnus: Ich glaube, dass es so anstrengend ist, mit Veganer⋆innen rumzuhängen, weil viele von uns sich ständig behaupten und von anderen abgrenzen müssen. Es ist anstrengend, sich mit Verkäufer⋆innen oder Politiker⋆innen zu umgeben, die einen ständig überzeugen wollen, was das Richtige ist. Irgendwie versucht man doch immer zu vermeiden, zu dem zu gehen, der am lautesten schreit!

    Das Letzte, was ich will, ist eine Identität. Sie schließt einen von vielen anderen Dingen und Menschen aus. Ich glaube wirklich, dass die Identität oft zum absolut größten Feind und Problem der Menschen wird.

    Anne: Ich habe mich mit Belinda und Justin von Crippled Black Phoenix über die Kombination Veganismus und Musik unterhalten. Sie haben mir erzählt, dass sie ihre Musik manchmal dazu nutzen, die Nachricht zu transportieren und damit der Gewalt und Ausbeutung gegenüber Tieren etwas entgegenstellen möchten. Kannst Du Dir vorstellen, das auch zu tun? Oder hast Du es schon mal gemacht?

    "Weimar ist eine fantastische Stadt"

    Magnus Josefsson. Bild/Picture: © Magnus Josefsson
    Magnus Josefsson. Bild/Picture: © Magnus Josefsson

    Magnus: Nein, ich glaube nicht, dass ich das tun würde. Ich sehe es nicht als politisches Manifest. Ich denke, dass man sich selbst und seine Musik herabsetzt, wenn man solche Themen mit seiner Arbeit verfolgt. Für mich wäre das nichts – obwohl andere Bands das im Laufe der Jahre mit viel Erfolg und Glaubwürdigkeit betrieben haben – The Smiths zum Beispiel.

    Anne: Du hast mir erzählt, dass Du mal eine Zeitlang in Weimar gelebt hast. Hat es Dir dort gefallen? Möchtest Du ein paar Unterschiede zu Schweden aufzählen? Als Veganer und als Musiker?

    Magnus: Weimar ist eine fantastische Stadt. Ich habe jede Minute dort genossen! Es ist eine Märchenbuchstadt, in der alles möglich ist. Eine Kleinstadt mit einer Menge Menschen aus allen Teilen der Welt! In Weimar ist es sehr einfach, kreativ zu sein und neue Leute kennenzulernen. Es ist einfach eine ganz besondere Energie dort.

    "In Deutschland ist die Underground-Kultur stark"

    Insgesamt würde ich uns Schwed⋆innen als weniger sozial bezeichnen, als die Deutschen. Wir Skandinavier⋆innen haben ein anderes Bedürfnis für Stille und Zeit mit uns selbst. Es hat nichts mit der Einstellung der Leute zu tun, sondern mit ihrer Seele. Es fühlt sich also alles irgendwie ein bisschen lebendiger an, wenn man nach Deutschland kommt. Außerdem ist die Underground-Kultur in Schweden klein – in Deutschland ist sie wesentlich stärker. Das kannst Du sogar in einer kleinen Stadt fühlen. Für mich war das auch einer der Gründe, warum ich nach Weimar gekommen bin.

    Für Veganer⋆innen ist beides ziemlich gut – Schweden und Deutschland. Hier gibt es zwar nicht so viele Restaurants, aber es gibt ja insgesamt wenig Gastronomie in Schweden.

    Für Musiker⋆innen bieten beide Länder Inspiration. Hier oben haben wir die tolle Natur, das saubere Wasser, die frische Luft aber komplett tote Städte. Ich denke, ich brauche ein bisschen was aus beiden Welten, um mich gut zu fühlen und weiterzukommen.

    Anne: Was hat Dich nach Weimar geführt? Hatte Dein Umzug etwas mit Deinem Architektur-Studium zu tun?

    "Ich habe an der Bauhaus-Uni Architektur studiert"

    Magnus: Ja, ich habe dort Architektur studiert. Ich habe an einem Austausch mit der Bauhaus-Universität teilgenommen. Ich wollte nach Deutschland gehen, aber nicht in eine der ganz großen Städte. Ich habe die Bauhaus-Schule schon so lange bewundert – für mich war es ein Traum, dort unterzukommen.

    Anne: Als passionierte Schweden-Reisende kann ich mir vorstellen, dass es ziemlich anstrengend sein kann, hier runterzukommen. Aber vielleicht ist Weimar auch eine der Städte, die nicht ganz so "typisch deutsch" sind. Konntest Du Gemeinsamkeiten zwischen der Weimarer Region und Schweden feststellen?

    Magnus: Ich habe einen großen Teil meines Lebens in Deutschland verbracht. Ich wusste also, worauf ich mich einlasse. Ich war so oft auf Tour bei, habe einen Sommer in Berlin gelebt und wir hatten das Label mit BF in Hamburg. Wenn Du die Stille Skandinaviens gewohnt bist, freust Du Dich über die Vitalität und Wildheit in Mittel-Europa.

    "Ich genieße die kulturelle Vielfalt in Europa sehr"

    Magnus Josefsson. Bild/Picture: © Magnus Josefsson
    Magnus Josefsson. Bild/Picture: © Magnus JosefssonThüringen ist der am schwächsten besiedelte Teil Deutschlands, Småland eines der am schwächsten besiedelten Gebiete Schwedens. Der Unterschied ist, dass man hier ungefähr 70 Kilometer fahren muss, wenn man in eine Kneipe gehen möchte. In Thüringen ist die nächste Bar nie weiter als 700 Meter entfernt!

    Anne: Sorry, dass ich so unhöflich war und Dich nicht zuerst nach Deiner Musik gefragt habe. Ich war einfach so neugierig über Deine Erfahrungen als Veganer und die Sache mit Schweden und Weimar. Du hast gerade Dein Mixtape "Anette Halbe Stunde" mit Johannes Rögners (Frittenbude) Label Anette Records aufgenommen. Es ist eine 30-minütige Aufnahme mit großartiger experimenteller Musik. Gratulation dazu! Bist Du mit Johannes befreundet?

    Magnus: Ja, Johannes ist ein Freund von mir. Wir haben uns vor vielen Jahren getroffen, als ich noch bei Bondage Fairies war. Wir waren Teil desselben Labels und wir waren viel zusammen in Deutschland auf Tour.

    Anne: Das Tape unterscheidet sich im Stil ziemlich von der Musik, die Johannes sonst so macht. Was hat Euch beide dazu inspiriert?

    "Ich habe 'Anette halbe Stunde' in einer alten Ziegelei aufgenommen"

    Magnus: Johannes war nicht in die Musik oder das Ergebnis involviert. Er hat einfach ein 30-minütiges Tape bei mir in Auftrag gegeben – Naja, er hat mich gefragt, ob ich Lust dazu hätte, das zu machen. Ich fühlte mich natürlich ziemlich geehrt!

    Ich denke es war die Natur hier oben in Småland und die alte Fabrik, in der ich an meiner Musik arbeite, die mich inspiriert haben. Wir haben wahnsinnig viel Platz in einer alten Ziegelei. Das Gelände liegt zwischen einen See und einem Fluss – es ist ziemlich mystisch dort. Meditation war auch Teil des Entstehungsprozesses.

    Anne: Du hast erzählt, dass Du durch die Pandemie und die geografische Entfernung eine neue Arbeitsweise entwickelt hast. Du hast mir gesagt, es wären Musik-Dateien zwischen Småland, Dänemark, England und Schottland hin und hergeflogen? Das klingt spannend! Hast Du alles komplett Remote gemacht?

    "Ich habe mit Künstler⋆innen in ganz Europa zusammengearbeitet"

    "Anette Halbe Stunde". Bild/Picture: © Anette Records
    "Anette Halbe Stunde". Bild/Picture: © Anette RecordsMagnus: Ich habe 90 bis 95 Prozent der Aufnahmen in der Fabrik in Fröseke aufgenommen. Der Rest ist in England, Dänemark und Göteborg entstanden. Sylvester hat noch ein paar Sachen in Stockholm aufgenommen. Ich liebe es, auf diese Art zu arbeiten und werde dieses magische Werkzeug auch in Zukunft weiter verwenden!

    Anne: Das klingt nach einer Menge Spaß! Wer hat alles an dem Tape mitgearbeitet?

    Magnus: Ich habe mit Patrik Åberg und Johan Offerlind von der schwedischen Band Avantgardet zusammengearbeitet. Außerdem war Sylvester Schlegel von The Ark dabei. Daniel Fridlund Brandt aus Göteborg und Theis Mikkelsen aus Dänemark. Constant Follower haben die Lyrics auf der B-Seite gemacht. Sie sind aus Schottland und werden diesen Sommer ihr fantastisches Debütalbum veröffentlichen.

    Anne: Du hast gesagt, Isolation könnte möglicherweise die beste Medizin für soziale Interaktionen sein. Wie hast Du das gemeint? Hat Dich die Isolation inspiriert?

    "Isolation kann die Kreativität fördern"

    Magnus: Ich denke, es ist sehr gesund, aus Routinen auszubrechen – für die Persönlichkeit und für den Geist. Sich selbst, von außen zu sehen, anstatt von innen. Als wir während der Pandemie so isoliert gelesen haben, ist noch etwas anderes geschehen. Man musste sich auf sich selbst konzentrieren und mich sich selbst klarkommen – und mit dem Inneren. Ich glaube, tief in die innere Welt einzutauchen, ist die stärkste Quelle für kreativen Input, die uns zur Verfügung steht. Ich glaube, diese Zeit war großartig und lehrreich. Ich muss der Isolation für einiges dankbar sein. Nach einer Weile sehnt man sich natürlich trotzdem wieder nach Menschen.

    Anne: Du hast auch einige Aufnahmen für The Amazing und Dungen gemacht, der noch Mitglied der Bondage Fairies (signed with Audiolith records) ist. Das sind eine ganze Menge bekannte deutsche Musiker⋆innen – hast Du Deine Musikkarriere in Deutschland begonnen oder ging das schon los, bevor Du aus Schweden weggezogen bist?

    Magnus: Ich habe meine professionelle musikalische Karriere vor 15 Jahren in Stockholm begonnen. Das mit BF, The Amazing und Dungen ist also zehn Jahre her. Das war, nachdem ich beschlossen hatte, Architekt zu werden. Vor fünf Jahren habe ich in Weimar gelebt und hatte die Zeit mit den Tourneen und dem Producing hinter mir. Aber jetzt möchte ich mich unbedingt wieder mehr mit Musik beschäftigen.

    "Es gibt in allen Genres gute Musik"

    Magnus Josefsson. Bild/Picture: © Magnus Josefsson
    Magnus Josefsson. Bild/Picture: © Magnus JosefssonAnne: Die Musik, die Du mit Künstler⋆innen verschiedener Genres aufgenommen hast, ist ziemlich unterschiedlich. Gibt es so etwas wie ein Genre, dem Du Dich zugehörig fühlst? Oder findest Du auch, dass alles vom perfekten Moment und der Stimmung abhängt?

    Magnus: Ich finde, alle Genres haben gute Musik zu bieten. Nur Metal langweilt mich sofort! Ich denke, Musik ist ein Reich der Gefühle, und wenn man mit diesem Gefühl im Einklang ist, ist man auf dem richtigen Weg. Ich liebe träumerische Klänge – riesige, große und dunkle Träume.

    Anne: Als ich Dich gefragt habe, worüber Du gerne quatschen willst, hast Du das Bullerbü-Syndrom angesprochen. Ist das das Syndrom, das man bekommt, wenn man in der häufig romantisierten Småländischen Landschaft aus Astrid Lindgrens Kinderbüchern aufwächst? Ich kann mir vorstellen, dass es vielleicht manchmal nicht ganz so harmonisch ist, wie wir es uns in unseren Köpfen ausmalen? Liest man die Astrid Lindgren Geschichten, wenn man seine Kindheit in Schweden verbringt?

    "Meine Kindheit kommt Astrid Lindgrens Geschichten sehr nahe"

    Magnus: Astrid Lindgren kommt aus der Region, in der ich lebe. Meine Kindheit musst Du Dir ein bisschen wie bei Michel aus Lönneberga vorstellen. Vieles aus Lindgrens Büchern war meinem Alltag und meiner Realität zu ähnlich. Es bestand für mich also kein Grund, sie zu lesen. Aber ja, die meisten schwedischen Kinder haben diese Geschichten natürlich gelesen, und meine Eltern haben sie mir auch vorgelesen.

    Anne: Du scheinst viel rumzukommen. Du hast schon in Weimar und in Wien gelebt und im Moment bist Du wieder in Schweden. Hast Du schon wieder Umzugspläne für die nächsten Jahre? Oder sind Deine Wanderjahre vorbei? Gibt es einen Ort auf der Erde, an dem Du gerne leben möchtest?

    Magnus: Ja, ich habe über die Jahre an vielen Orten gewohnt – hier in Schweden und insgesamt. Ich vermisse im Moment die kulturelle Vielfalt. Ich werde also mit Sicherheit bald wieder auf die Reise gehen. Meine Freundin ist aus Deutschland und wir fühlen uns mit vielen Ländern verbunden und wollen noch ganz viel von der Welt sehen. Ich würde unglaublich gerne mal ein Jahr in Kalifornien verbringen. Aber Italien und Portugal hören sich auch ziemlich gut an. Die Tschechische Republik ist auch einer unserer Favoriten. Auf der anderen Seite genießen wir unsere Zeit hier in Schweden auf dem Land auch sehr. Wenn man keine Familie hat, kann man reisen, wohin man möchte. Man muss nur die Verantwortung für sich selbst übernehmen. Das ist ein großer Luxus!

    "Im Herbst möchte ich ein Album veröffentlichen"

    Anne: Was planst Du als Nächstes? Hast Du neue Projekte, die anstehen? Eine Tour?

    Magnus: Ich habe viele Projekte neben meiner Arbeit als Architekt. Ich starte mein eigenes Plattenlabel mit ein paar Freund⋆innen – The Mirror Factory. Und ich arbeite ein meiner Instrumental-Platte – es wird mein Debütalbum unter meinem eigenen Namen. Ich würde es gerne im Herbst veröffentlichen. Außerdem produziere ich einige Songs mit dem unglaublich talentierten Samuel Heiliger.

    Anne: Vielen Dank für das überaus sympathische Interview!

    Ihr könnt Euch Magnus' aktuelles Meisterwerk "Anette Halbe Stunde" bei Spotify, Soundcloud, und iTunes anhören oder die Kassette hier kaufen.

    "Anette Halbe Stunde" – B-Seite

    © 2024 · soundsvegan.com · Anne Reis