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    Vandemonian Frontman Nick

    "In der heutigen Zeit kann man nicht schweigen"

    Interview von Anne
    10.03.2021 — Lesezeit: 6 min
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    Vandemonian Frontman Nick

    Die Hamburger Post-Rock-Band Vandemonian veröffentlichte vor Kurzem ihr großartiges Debütalbum "Xenophilia". Ich habe mich jetzt mit Frontman Nick zum Interview verabredet.

    Im Gegensatz zu vielen anderen Post-Rock-Bands verzichten Vandemonian nicht auf Gesang. Das liegt vor allem daran, dass sie eine ganz klare politische Meinung haben, die sie offen vertreten möchten. Und wie könnte das besser gelingen, als in Form von Lyrics? Darüber und über die momentane weltweite Situation habe ich mich mit Nick unterhalten.

    Anne: Hallo Nick! Danke, dass Du Dir die Zeit für das Interview nimmst! Wie geht es Dir denn so? Du hast gerade mit Vandemonian das Debütalbum "Xenophilia" veröffentlicht. Ich nehme an, Ihr verbringt Eure Zeit jetzt mit der Promotion? Wie ist die Resonanz bis jetzt?

    Nick: Die Resonanz ist wirklich gut. Die Leute sagen viel Positives über uns. Obwohl wir das Album nicht auf der Bühne promoten können, ist es trotzdem toll, es endlich draußen zu haben.

    Anne: Ich finde, Ihr habt mit "Xenophilia" einen ganz hervorragenden Job gemacht. Bist Du mit dem Ergebnis Eurer Arbeit zufrieden?

    "Ich bin glücklich mit dem Ergebnis unserer Arbeit"

    Vandemonian

    Nick: Ja, ich bin wirklich glücklich damit, wie es geworden ist. Als wir mit dem Mixing und Mastering fertig waren, konnte ich es mir erstmal nicht mehr anhören. Ich kannte jede Nuance der ganzen Platte, deshalb habe ich sie eine Weile gemieden. Erst jetzt, wo ich ein bisschen Zeit hatte, meine Ohren auszuruhen, kann ich sie wieder genießen.

    Anne: Was ist Dein Lieblingssong auf dem Album?

    Nick: "Excommunication". Während des Schreibprozesses hatte ich immer eine bestimmte Stimmung im Kopf, die wir zu dritt im Bandraum nie ganz erreicht haben. Selbst nach dem Hinzufügen der Keyboards und all der Effekte und so weiter war es der Track, für den wir am meisten Zeit und Mühe ins Abmischen gesteckt haben. Nach einer Weile hat sich dann aber plötzlich alles ergeben. Ich weiß nicht, wie oft ich den Sound dieses schrillen Gitarrenriffs verändert habe, ihn neu aufgenommen habe, den EQ, das Delay und alles verändert habe! Wenn man seine eigene Musik abmischt, kann man schon ein bisschen verrückt werden. Oder vielleicht ist es auch nur mein Perfektionismus, der außer Kontrolle gerät!

    Anne: Was inspiriert Dich, wenn Du einen Song schreibst?

    "Ich schreibe meine Songs auf der Couch"

    Nick: Die Riffs und Ideen kommen einfach aus dem Nichts. Das passiert meistens , wenn ich auf der Gitarre herumklimpere. Ich sitze auf der Couch und spiele einfach ziellos vor mich hin. Irgendetwas weckt dann mein Interesse und ich sage mir: "Mal sehen, wo das hinführt". 15 Minuten später entsteht dann eine Idee, die sich schließlich zu einem Teil eines Songs entwickelt. Die Texte bauen sich mit der Zeit auf; ich schreibe hier und da kleine Ideen auf. Vieles an "Xenophilia" war meine Art, den Wahnsinn der letzten zehn Jahre zu verarbeiten.

    "Spherical Development" habe ich 2015 auf dem Höhepunkt des Syrienkriegs und der Flüchtlings"krise" geschrieben. "Jack Ketch" entstand in einer Phase, in der ich mich in einem Trott befand und mich über meinen Job ärgerte. "Man Is Invertebrate" war ursprünglich eine Antwort auf einen Freund, der mich enttäuscht hatte. Er entwickelte sich dann irgendwie zu einer Art Tirade über Macht und Korruption.

    Anne: Du hast erzählt, dass Dir bei den Aufnahmen zu "Xenophilia" Deine Erfahrungen im Audiobereich zugutegekommen sind. Was meinst Du damit? Bist Du Toningenieur?

    "Ich baue mein eigenes Studio"

    Vandemonian

    Nick: Ja, ich beschäftige mich schon lange mit Tontechnik, Live- und Studioarbeit. Ich bin gerade dabei, bei mir daheim ein kleines Studio zu bauen, um mehr Zeit mit Aufnahmen und Mischungen verbringen zu können. Eine Zeitlang hatte ich einen festen Job, in dem ich Multimedia-Ausstellungen geplant habe. Ich musste aber irgendwann aussteigen, weil ich die Musik zu sehr vermisst habe.

    Anne: Ihr habt von Ende 2018 bis 2020 an der Platte gearbeitet. Du hast mir erzählt, dass die lange Zeitspanne durch Deine Einbindung in andere Projekte und Deinen Job verursacht wurde. Ich kann mir vorstellen, dass das ziemlich herausfordernd ist. Dass Du zum Beispiel jedes Mal, wenn Du ins Studio zurückkommst und Dir die Aufnahmen der letzten Sessions anhören, den Drang verspürst, doch noch etwas zu ändern. War das so? Oder seid Ihr von Anfang an einem strikten Plan gefolgt?

    "Manchmal stellt man bei Mix Nummer sieben fest – Nummer drei war perfekt!"

    Nick: Haha, ich bin nicht der Typ Planungsmensch! Aber ja, es war ein riesiger Lernprozess, zu erkennen, wann etwas fertig ist und dann auch wirklich weiterzumachen. Man kann Sounds bis ins Unendliche optimieren. Ab einem bestimmten Punkt wird es dadurch aber nicht mehr besser. Es war mein erstes Projekt seit einer Weile, also habe ich mich fast zu Tode gemischt und musste immer wieder ein paar Schritte zurückgehen. Manchmal kommt man bei Mix Nummer sieben an und stellt fest, dass Mix Nummer drei perfekt war!

    Anne: Deine Texte sind ziemlich politisch, was mir ziemlich gut gefällt. Denkst Du, dass mehr Bands ihre Musik nutzen sollten, um wichtige Botschaften zu transportieren, wie die, die Ihr mit "National Insecurity" sendet?

    "Ich bin mit Bob Dylan aufgewachsen"

    Vandemonian

    Nick: Ja, ich denke, da gibt es eine Menge Redebedarf. "She loves you yeah yeah yeah" ist einfach schon zu Tode gespielt. Das können wir also glaube ich wirklich beiseitelegen. Ich denke aber, dass es seit den letzten paar Jahren eine neue Bewegung in die Richtung gibt. Die Künstler*innen werden politischer. Ich bin ein großer Fan von Gareth Liddiard von The Drones, der uns auf so poetische Weise erzählt, wie verkorkst die Welt ist. Ich bin mit der Musik von Bob Dylan und Rage Against the Machine aufgewachsen, also war mir die Botschaft immer ziemlich wichtig. Mir ist bewusst, dass viele Leute in der Post-Rock-Szene sehr gegen Gesang sind. Ich selbst war das auch eine Zeit lang, aber ich finde, es wird immer schwieriger zu schweigen, bei all den Dingen, die um uns herum passieren.

    Anne: Worum geht es in dem Song "Jack Ketch"?

    Desillusioniert und verbunden zugleich

    Nick: Der Text zu "Jack Ketch" ist eines Abends nach einem verzweifelten Tag auf der Arbeit innerhalb von 20 Minuten entstanden. Ich habe meinen Lebensweg hinterfragt und wohin er mich führen wird. Das hat sich ziemlich festgefahren und deprimierend angefühlt. Etwa zur gleichen Zeit fand die ganze Diskussion um die Netzneutralität statt, und die sozialen Medien fingen an, ihren Charme zu verlieren. Die Menschen merkten, dass sie uns nicht zusammenbringen, sondern nur an unsere Bildschirme fesseln und somit eigentlich keinen Sinn haben.

    Das ganze Anonymitäts-Thema ist also aus drei Gründen entstanden: Sich desillusioniert, verloren und allein zu fühlen, aber trotzdem durch dieses Internet-Ding "verbunden" zu sein. Wie viele Menschen in ihrem Leben oder sogar in ihrem Online-Leben wissen wirklich, wer Sie auf einer persönlichen Ebene sind? Meine Vermutung ist, dass es nicht so viele sind.

    Anne: Wir leben in herausfordernden Zeiten. Wie gehst Du mit der Corona-Krise um? Hat sie Eure Arbeit am Album beeinflusst?

    Nick: Ich schwanke in regelmäßigen Abständen zwischen dem Gedanken "Kopf hoch, es wird bald vorbei sein" und "Verdammt, ich werde verrückt". Von März bis September letzten Jahres hat die Arbeit stark nachgelassen, sodass ich viel Zeit hatte, das Album fertigzustellen, was sehr praktisch war, aber jetzt zu versuchen, Musik zu promoten, ohne Shows zu spielen, ist eine Herausforderung. Wir würden wirklich gerne online eine Live-Session machen. Wir schauen uns gerade ein paar Optionen an, aber wenn wir ehrlich sind, ist das einfach nicht das Gleiche. Man muss die Kick-Drum im Bauch spüren und mit dem Publikum ins Schwitzen kommen, damit sich ein Gig lohnt. Allein auf der Couch ist das doch, wenn wir ehrlich sind, einfach nur langweilig.

    Anne: Wann hat Deine musikalische Reise angefangen? Ich habe gehört, es gab schon vor Vandemonian einige Projekte?

    "Ich habe den Live-Sound in der Astra Stube in Hamburg gemacht"

    Vandemonian

    Nick: Ich habe mit meinen Kumpels in der Schule angefangen, Musik zu machen. So ziemlich jeden Dienstag und Donnerstag nach der Schule. Seit wir ungefähr 14 waren bis zu unserem Schulabschluss. Ich glaube, wir haben uns in dieser Zeit alle einen ziemlichen Hörschaden geholt! Wir haben Punk und Rock gespielt und den ganzen üblichen Teenager-Kram.

    Nach meinem Umzug nach Melbourne und dann weiter nach Hamburg habe ich viel Musik gemacht. Ich hatte aber keine ernsthaften Projekte bis irgendwann Vandemonian geboren wurde. Ich habe den Live-Sound in der Astra Stube gemacht, und einige der Bands, die dort aufgetreten sind, waren phänomenal. Das macht einen großen Teil meiner musikalischen Bildung aus.

    Anne: Was steht als Nächstes an für Vandemonian?

    Nick: Wir haben mindestens ein halbes Album mit Songs, an denen wir sofort arbeiten könnten. Die werden wir als Nächstes zusammenzustellen. Ich hoffe ernsthaft, dass es nicht so lange dauert, wie bei "Xenophilia" und ich bin fest entschlossen, dafür zu sorgen! Ansonsten wird es hoffentlich ein paar Shows, sobald die Dinge wieder in Gang kommen. Wir können es wirklich kaum erwarten, dass endlich alles wieder normal läuft!

    Jetzt Review zum Vandemonian Debütalbum "Xenophilia" lesen.

    Vandemonian – "National Insecurity"

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