Johan G. Winther
"Ich nehme meine Musik im Wald auf"
Am 26. März erscheint Johan G. Winthers Album "The Rupturing Sowle" auf Vinyl. Ich habe mich schon jetzt mit ihm zum Interview verabredet, um mit ihm über die Platte zu plaudern.
Gemeinsam mit seiner Band Scraps of Tape hat der Göteborger bereits sieben großartige Alben aufgenommen. Viele erinnern sich bestimmt auch noch an die Hardcore Gruppe Blessings. Mit dieser spielte er drei Langspieler ein. Im Debütalbum von Barrens widmete er sich letzten März dem Post-Rock und landete damit in zahlreichen Best-of-Listen. Auch mit seinem Soloalbum überzeugt er mit gefühlvollen und vielfältigen Songs. Der Entstehungsprozess war ein ganz persönlicher.
Anne: Hi, Johan! Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst! Wie geht es Dir? Ich bin mir sicher, Du freust Dich schon auf Deine Veröffentlichung von "The Rupturing Sowle"?
Johan G. Winther ist stolz auf "The Rupturing Sowle"
Johan: Hallo Anne! Danke für Dein Interesse an dem, was ich tue! Im Hinblick auf die Zeiten, in denen wir uns befinden, bin ich sehr glücklich. Meiner Familie und meinen Freund*innen geht es zum größten Teil gut und meine Frau und ich haben das Glück, beide noch einen Job zu haben. Außerdem sind wir sicher und haben trotz allem die Möglichkeit, mit den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen noch von Zeit zu Zeit Bekannte zu sehen. Ich vermisse es natürlich trotzdem, live zu spielen, auf Tour zu ein und mein Sozialleben zu pflegen. Alles in allem gibt es nichts, über das ich mich beklagen kann.
Ich freue mich natürlich sehr darauf, "The Rupturing Sowle" zu veröffentlichen. Es ist eine gute Platte geworden und ich bin sehr stolz darauf. Ich habe eine Menge Arbeit hineingesteckt. Ich habe sie 2012 aufgenommen. Das Original habe ich 2013 in einer Kassetten-Edition auf dem exzellenten, kleinen schwedischen Label Zeon Light Kassett veröffentlicht. Sie jetzt in dem glamourösen Vinyl-Format bei einem meiner absoluten Lieblings-Labels da draußen zu veröffentlichen, ist einfach nur großartig.
"Die Hütte ist eine Quelle der Inspiration für mich"
Anne: Du hast das Album lange vor Corona in freiwilliger Isolation in einer kleinen Holzhütte in den schwedischen Wäldern aufgenommen. Wie war das für Dich? Hast Du das früher schon mal gemacht?
Johan: In dieser Hütte verbringen meine Familie und ich den größten Teil unserer Freizeit, wenn wir nicht in der Stadt sind. Ich habe schon immer eine Menge aufgenommen, wenn ich dort war. Für all meine Bands und Projekte. Die Hütte ist tatsächlich zum wichtigsten Ort für meine Solomusik geworden: Sie ist eine nie versiegende Quelle der Inspiration und gibt mir das gute Gefühl, genau dort zu sein, wo ich hingehöre.
Anne: Das hört sich toll an. Würdest Du sagen, dass Dich die Stille motiviert? Ich stelle es mir ziemlich ruhig vor, wenn man ganz alleine in einer Hütte sitzt. Ich habe das vor einiger Zeit auch gemacht, um etwas für ein Projekt fertig zu schreiben. Mir hat das sehr geholfen.
"Ich habe nicht viel Ruhe"
Johan: Ich habe tatsächlich nicht besonders viel Stille in meinem Leben. Um mich herum sind immer irgendwelche Geräusch. Ich habe zwei Kinder, die selten leise sind. Ich höre Musik oder arbeite die meiste Zeit an Musik. Wenn ich das nicht mache, höre ich eigentlich permanent Podcasts oder Hörbücher.
Ich habe einen Tinnitus und höre sogar beim Schlafen über Kopfhörer Musik normalerweise. Wenn ich lese, höre ich auch nebenbei Musik. Eigentlich kann ich nicht behaupten, dass mich Stille wirklich motiviert – obwohl sie es tut. Auf jeden Fall inspiriert sie mich. Vor allem dann, wenn ich zufällig auf sie stoße und sie nicht mit Absicht suche. In diesen Momenten schafft sie es, die Dinge wirklich in den Fokus rücken. Sie lässt mich aufhorchen und Details ernsthaft zur Kenntnis nehmen.
Anne: Was ist das Konzept von "The Rupturing Sowle"? Welche Geschichte erzählt die Platte?
Johan: "The Rupturing Sowle" erwachte zum Leben, als ich 2010 zum ersten Mal Vater wurde. Ich habe mein Leben in vielerlei Hinsicht verändert und die Dinge plötzlich in einem anderen Licht betrachtet. Es wirkte sich stark auf mein Unterbewusstsein aus. Ich fing an, wiederholt Teile ein und desselben Traums zu träumen. Das hat etwa ein Jahr gedauert. Während dieser Zeit habe ich mir Notizen gemacht, wann immer ich die Möglichkeit dafür hatte.
"Die Dichotomie unseres Seins"
Die verschiedenen Teile des Traums verdichteten sich nach und nach zu einer Erzählung mit verschiedenen Szenen und Tableaus, die immer mehr Gestalt annahmen. Ich habe viel Zeit damit verbracht, diese Bilder zu interpretieren und zu versuchen, herauszufinden, was mein Unterbewusstsein mir damit sagen wollte. Während die Geschichte in meinem Kopf langsam Gestalt annahm, habe ich angefangen, bestimmte Elemente der Geschichte als bestimmte Instrumente, Stimmen und Klänge zu visualisieren. Dabei habe ich nach und nach herausgefunden, wie ich sie zusammenwirken lassen wollte. Das Kernkonzept des Albums dreht sich um unsere menschliche Natur: Gut und böse, Licht und Dunkelheit und wie wir im Laufe unseres Lebens lernen, mit dieser Dichotomie unseres Seins umzugehen – von der Kindheit bis zum Tod.
Ich möchte den Zuhörer*innen nicht zu viel erklären, da ich niemanden in eine bestimmte Vorstellung davon drängen möchte, worum es in den Songs geht. Jede*r sollte sich seine eigene Meinung bilden, um ein möglichst umfassendes Erlebnis zu haben. Ich habe jedoch jede Menge Hinweise ausgelegt, denen man im Artwork des Vinyls folgen kann, wenn man das möchte. Sie legen die Geschichte, die ich mir vorgestellt habe, in groben Zügen dar.
Anne: Ist die Hütte auf dem Cover die, in der Du die Platte aufgenommen hast?
"Ich arbeite gerne mit Pelagic zusammen"
Johan: Ja. Alle Bilder im Artwork habe ich, während ich das Album aufgenommen habe, vor, in und in der Nähe der Hütte gemacht.
Anne: Genießt Du die Zusammenarbeit mit Pelagic Records?
Johan: Sehr! Pelagic Records ist ein Label, das von einer Gruppe unglaublich inspirierender Menschen betrieben wird. Sie sind alle superprofessionell und jedem Release, das sie betreuen zu 100 Prozent verschrieben. Sie geben sich wirklich die allergrößte Mühe, jede Platte auf die beste Art zu präsentieren. Ich habe zwei Platten, die dieses Jahr mit zwei verschiedenen Projekten bei Pelagic erscheinen. Letztes Jahr habe ich mit Barrens unser Debütalbum "Penumbra" dort herausgebracht. Ich kann also voller Überzeugung sagen, dass ich die Zusammenarbeit genieße.
Anne: Du hast erzählt, dass Du gerne hässliche mit schönen Sounds mischst. Wie muss ich mir das vorstellen?
"Ich kombiniere gerne Sounds, die weit von einander entfernt scheinen"
Johan: Ich arbeite genauso gerne mit ungemütlichen Songs, wie mit schönen. Beim Verbinden dieser beiden Klangtypen passieren die wundervollsten Dinge. Ich war schon immer sehr an der Musique Concrete Bewegung und den Komponisten rund um GRMC interessiert. Das hat einen großen Teil meiner Solomusik angetrieben. Ich habe viele experimentelle Platten gemacht, bei denen ich Sound-Manipulationen, gesammelte Sounds und Feldaufnahmen eine große Rolle gespielt haben. Am liebsten mische ich Sounds miteinander, die sehr weit voneinander entfernt wirken, um damit neue Klanglandschaften und Stimmungen zu erzeugen.
Auf "The Rupturing Sowle" habe ich versucht, diese Technik auf subtile Art einzusetzen. Ich habe zum Beispiel verschiedene Melodien und Harmonieren mit einem "schönen" und einem "hässlichen" Sound gedubbt. Oder ich habe zwei Stimmen eines bestimmten Teils einander sehr entgegengesetzt – manchmal über den eigentlichen Klang, aber auch manchmal über die Aufnahmetechnik und den Schnitt.
Anne: Hast Du alle Instrumente auf "The Rupturing Sowle" selbst eingespielt?
Johan: Ich habe alles auf "The Rupturing Sowle" selbst eingespielt. Bis auf das Cello, das war meine liebe Freundin Emelie Molin von Audrey and Mire Kay. Es war dieses eine Instrument, von dem ich wusste, dass ich es unbedingt auf der Platte haben wollte, das ich aber nicht spielen konnte. Zum Glück erklärte sich Emelie bereit, mir zu helfen und dem Album etwas von ihrer Magie zu verleihen.
Anne: Wurde Deine Arbeit als Musiker durch die Corona-Krise beeinflusst?
"Feldaufnahmen faszinieren mich"
Johan: Auf die anderen Projekte, auf die ich mich konzentriere, hatte COVID-19 auf jeden Fall einen großen Einfluss. Viele der Bands, in denen ich bin, haben gerade neue Platten aufgenommen. Da ich nicht in derselben Stadt wohne, wie die meisten anderen Mitglieder, hat das unseren kreativen Prozess ziemlich aufgehalten – in einigen Fällen sogar komplett ausgebremst. Wir arbeiten alle an neuen Wegen, als Gruppen, wie wir als Gruppen mit der Pandemie umgehen können und wir werden es schaffen. Das Hauptproblem ist, wie ich schon erwähnt habe, die Entfernung. Es ist nicht besonders schlau, zwischen Städten hin und herzureisen, sogar wenn wir in Schweden keinen Lockdown haben.
Anne: Ich möchte gerne nochmal auf die Feldaufnahmen zurückkommen. Für "The Rupturing Sowle" hast Du einige gemacht: Die offene Feuerstelle im Wohnzimmer Deiner Hütte und Vogelstimmen zum Beispiel. Du hast das früher schon viel gemacht, oder?
Johan: Ja, ich habe schon lange ein großes Interesse für Feldaufnahmen und gesammelte Töne. Das habe ich ja auch schon kurz angesprochen. Die Art wie Du auf ganz einfache Weise einen Sound von etwas sehr Alltäglichem in etwas komplett Alien-artiges verwandeln kannst, hört nie auf, mich zu faszinieren. Ich genieße es auch, Feldaufnahmen von Sounds, die sich im wahren Leben niemals begegnen würden, miteinander zu verbinden.
Anne: Welchen Song auf "The Rupturing Sowle" magst Du am liebsten?
Im Song 'The Drifting Boat/Drunk On Blood' ist mein Sohn zu hören"
Johan: Oh, das ist eine schwierige Frage. Ich betrachte das Album als Ganzes. Oder als etwas, bei dem sich jedes Stück durch das Vorhergehende speist. Ich fand es tatsächlich etwas seltsam, die verschiedenen Tracks ohne Zusammenhang zu hören. Der Song "The Drifting Boat/Drunk On Blood", auf dem die Laute meines erstgeborenen Sohnes zusammen mit dem offenen Feuer der Hütte zu hören sind, versetzt mich jedoch immer direkt in die Hütte – wo immer ich auch bin.
Der Moment, als wir die Cello-Part auf "As Above, So Below" aufgenommen haben, ist auch eine gute Erinnerung für mich. Es hat sich einfach alles auf so eine organische Art ergeben. Das hat mir sehr geholfen, viele der Stimmen zu definieren, die das Cello auf der Platte repräsentieren soll.
Anne: Du warst und bist Teil zahlreicher Musik-Projekte – alle mit unterschiedlichen Stilen und Hintergründen. Was würdest Du als Deine wichtigsten Einflüsse betrachten? Wo liegen Deine Wurzeln?
Sonic Youth und Black Metal
Johan: Meine stärksten Einflüsse in meiner Jugend waren Black Metal, Sonic Youth und experimentelle Musik/Musique Concrete. Während dem Ende der 1990er bis in die frühen 2000er war ich sehr in die schwedische DIY-Szene involviert und von der Punk- und Hardcore-Ethik inspiriert. Wir haben in den frühen 2000er-Jahren mit Scraps Of Tape angefangen und bis kurz vor der Pandemie weitergemacht. Ich muss sagen, dass all die Leute und Attitüden, denen ich in der DIY Punk Szene begegnet bin, das Beständigste und die größte Inspirationsquelle für mich sind. Sie sind das, was mich dazu bringt, weiter Musik zu machen und zu veröffentlichen.
Anne: Was steht für Dich als Nächstes auf dem Plan? An welchen Projekten arbeitest Du im Moment?
"Ich plane dieses Jahr noch weitere Releases"
Johan: Im Moment laufen ziemlich viele spannende Projekte! Mit Barrens arbeite ich am Nachfolger von "Penumbra" und es wird auch eine neue Platte mit Blessings geben. Ich habe außerdem zwei Projekte, die noch geheim sind und kurz vor der Fertigstellung stehen. Sie werden hoffentlich im Laufe des Jahres 2021 veröffentlicht. Außerdem habe ich noch etwas Solomaterial in Arbeit. Allerdings muss ich das im Moment ein bisschen in den Hintergrund schieben, um einen Burnout zu vermeiden, vermute ich. Ich habe ja auch immer noch eine Familie und einen Vollzeitjob, die meine Aufmerksamkeit brauchen. Und ich arbeite auch an einer Menge Kunst, sowohl für mich selbst, als auch für andere Bands. Hoffentlich ist die Pandemie bald überstanden und wir können wieder mit einigen Bands auf Tour gehen und uns wieder sehen.
Anne: Vielen Dank für dieses äußerst sympathische Interview! Es war mir eine große Freude, Dich kennenzulernen! Ich wünsche Dir alles Gute für das Album! Ganz viel Erfolg!
Johan: Vielen Dank, dass Du mir diese Fragen gestellt hast! Es hat mir sehr viel Spaß gemacht! Bleib gesund und pass auf Dich auf! Wir sehen und bestimmt bald!
Johan G. Winther ist zu recht stolz auf "The Rupturing Sowle". Ihr könnt unter anderem in der Musikliste für den März reinhören.
Ihr könnt "The Rupturing Sowle" hier bestellen.