lyra messier
"Tanzmusik für Introvertierte"
Ich habe mich mit lyra messier unterhalten. Die hochtalentierte Ambient-Künstlerin hat vor Kurzem ein Album veröffentlicht. Im Interview hat sie mir einen Einblick in ihr Leben und Ihre Musik gegeben. Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen.
Anne: Hi Lyra! Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst! Wie geht es Dir heute?
Lyra: Wenn wir für einen Moment nicht daran denken, dass die Welt derzeit an allen Ecken und Enden zu brennen scheint, geht es mir ziemlich gut. Mein Leben war bis jetzt angenehm ruhig - Ich befinde mich gerade auf der Suche nach Arbeit und versuche mich vor der Hitze des Hochsommers zu verstecken. Ich habe das Glück, dass ich mich, als es mit Corona losging, finanziell in einer entspannten Lage befunden habe. Viele Musiker*innen haben ja richtig Ärger im Moment - was sehr besorgniserregend ist.
Anne: Du bist ziemlich kreativ - Du machst Musik, schreibst Reviews und bastelst auf GitHub an einigen Ideen. Was inspiriert Dich?
"Ich habe meine eigene Webseite gebaut"
Lyra: Ich war schon immer ein großer Fan von allem, das mit Musik zu tun hat. Technik und Software begeistern mich genauso. Ich stümpere ab und zu ein bisschen mit Web Development herum - Ich habe mit meinen rudimentären Kenntnissen meine eigene Webseite programmiert. So ziemlich alles, was ich sonst noch tue, muss unbedingt mit Musik zu tun haben.
Ich denke, man könnte die Musik, die ich höre, als meine Hauptinspiration betrachten. Sie beeinflusst einfach einen so großen Teil von dem, was ich tue. Wie Du bereits erwähnt hast, schreibe ich auch über Musik. Hauptsächlich für einen niederländischsprachigen Blog namens Dansende Beren. Ich neige dazu, die Genres abzudecken, die auch meine eigene Arbeit inspirieren. Das Spektrum reicht von Indie-Pop über Progressive Rock bis hin zu experimentelleren elektronischen Sachen.
"Die Musik war schon immer ein Teil von mir"
Anne: Du hast gerade Dein Album "lyra messier" veröffentlicht. Wie bist Du auf die Idee gekommen, der Platte Deinen Namen zu geben?
Lyra: Ich habe das Album überall "lyra messier" genannt, weil die Streamingdienste aus irgend einen Grund nur Alben akzeptieren, die einen Titel haben. Eigentlich sollte es gar keinen Namen haben.
Anne: Wie lange hast Du für die Aufnahmen gebraucht?
Lyra: Ich habe mich zwei Jahre lang damit beschäftigt. Es hat vor allem so lange gedauert, weil ich so gerne prokrastiniere. Einige der Songs kommen mir schon richtig alt vor. "Collision” und "Apollo” gab es zum Beispiel in ähnlicher Form schon 2015. Zu 80 Prozent war das Album schon über ein Jahr vor der Veröffentlichung fertig. Ich konnte mich einfach nicht dazu aufraffen, die Projekt-Dateien zu öffnen und ihnen das letzte Finish zu verpassen. Der Lockdown war für mich die perfekte Möglichkeit, mich endlich darum zu kümmern.
Anne: Deine Musik klingt sehr durchdacht und klangvoll. Energiegeladene Parts lösen sich mit nachdenklichen Klangbädern ab. Mir gefällt das sehr gut! Wie läuft das bei Dir ab: Hast Du vorher immer einen Plan und baust Deine Songs wie ein*e Programmierer*in auf oder ist es mehr eine Art Jammen? Was passiert, wenn Du mit dem Schreiben eines Songs anfängst?
"Ich liebe den Flow"
Lyra: In der Regel, fange ich mit einer ersten Idee an und baue meine Stücke darauf auf. Ab und zu habe ich auch einen fertigen Song im Kopf, bevor ich die erste Note spiele. Doch selbst dann können die Dinge plötzlich eine ganz neue Wendung nehmen, wenn ich mich dann hinsetze, um daran zu arbeiten.
Ich liebe den Flow beim Songwriting. Bei mir führt er dazu, dass die Stücke manchmal einfach immer länger werden. Das kannst Du zum Beispiel an den beiden 10-minütigen Songs auf dem Album sehen. Ich liebe es, einen guten, sich langsam aufbauenden, epischen Song zu genießen.
Anne: Du beschreibst Dich selbst als "the world’s leading white noise generator" - Was hat es mit dem Weißen Rauschen auf sich? Was macht Ambient Musik zu faszinierend?
In Maßen eingesetzt kann Ambient sehr kraftvoll sein
Lyra: Ambient Alben sprechen mich nicht immer komplett an. Ich denke, dass diese Musikrichtung sehr kraftvoll sein kann, wenn man sie in Maßen einsetzt. Ich liebe diesen schwebenden, traumhaften Zustand, den sie in mir auslösen kann. Das neue Album ist so strukturiert, dass es zwischen dem Geschehen ein paar leise Atempausen gibt. Ich denke, diese Teile sind für das gesamte Puzzle genauso wichtig.
Anne: Hast Du Lieblingsinstrumente oder Synths?
Lyra: Ich besitze lediglich ein Piano und ein paar MIDI Controller. Ich war noch nie eine große Instrumenten-Sammlerin. Ich liebe zum Beispiel den Hangdrum Sound. Das Portico Quartett setzt ihn oft in Songs ein.
Der Song "Allosome” auf meinem Album beinhaltet eine synthetisierte Version dieses Sounds. Ich würde sehr gerne auch eine echte Hang besitzen. Abgesehen davon weiß ich auch immer einen einfachen, großen Gitarrenriff zu schätzen. Dieser Sound, der durch die Boxen scheppert, wird niemals alt.
Ich kann tatsächlich nicht Gitarre spielen aber ich hatte glücklicherweise die Möglichkeit vom Talent eines befreundeten Gitarristen zu profitieren. Achilles De Raedt von der Rockband HYPER hat mich bei den rockigeren Stücken unterstützt.
Anne: Wolltest Du schon immer Musik machen?
"Musik war schon immer ein Teil von mir"
Lyra: Ich habe schon mit Musik zu tun, seit ich denken kann. Mit sieben habe ich angefangen, nach dem Schulunterricht Klavierstunden und Musiktheoriekurse zu belegen. Die Musik war schon immer ein großer Teil von mir. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, sie zu meinem Hauptjob zu machen. Ich nutze sie eher wie eine Art kreatives Ventil für mich selbst. Es ist natürlich trotzdem immer schön, wenn ich sehe, dass den Menschen meine Arbeit gefällt.
Anne: Gibt es Künstler*innen, die Du als Vorbilder bezeichnen würdest?
Lyra: Da sind zum Beispiel Leute wie Jon Hopkins, Steven Wilson, und bands wie 65daysofstatic und Everything Everything. Nilüfer Yanya und Marika Hackman sind ebenfalls zwei extrem talentierte Künstlerinnen. Sie haben in den letzten Jahren zahlreiche Alben veröffentlicht, die von der Musikpresse einfach übersehen wurden. Auch, wenn sie für meine progressive Instrumentalmusik kein großer Einfluss sind, weiß ich ihre Arbeit sehr zu schätzen.
Anne: Wie würdest Du selbst Deine Musik beschreiben?
"Es ist mein ganz persönliches Genre"
Lyra: Für mich fühlt sie sich wie die Synthese aus allem, das ich höre an. Es fließt alles zusammen und wird zu meinem ganz persönlichen Genre. Obwohl die Songs von geradlinigem Instrumentalrock bis zu Electro reichen, denke ich, dass Du ihnen immer anhörst, dass sie von mir sind. Um es noch etwas unverblümter zu sagen: Es ist Tanzmusik für introvertierte Menschen, die den ganzen Tag bei geschlossenen Vorhängen im Schlafzimmer verbringen möchten.
Anne: Du bist auf einem Festival. Auf der Bühne spielt gerade eine Band, die Dir sehr wichtig ist. Du bekommst die Nachricht, dass der⋆die nächste Künstler⋆in seine⋆ihre Show auf den nächsten Tag verschoben hat. Der nächste Slot ist frei. Die Veranstalter⋆innen sind auf der Suche nach eine⋆r Newcomer⋆in, der⋆die einspringt. Du bist die Erste, die gefragt wird, ob sie spielen möchte. Du bekommst das komplette Equipment, das Du für Deinen Auftritt brauchst. Gehst Du auf die Bühne?
Lyra: Wenn ich das komplette Equipment zur Verfügung gestellt bekomme, auf jeden Fall! Ich würde für mein Leben gerne mal live auftreten. Ich habe das noch nie wirklich gemacht. Das Einzige, wovor mir ein bisschen mulmig ist, dass meine Musik ziemlich Studio-orientiert ist. Sie wurde nicht wirklich dafür konzipiert, live gespielt zu werden.
"Ich würde gerne mit einem traditionellen Band-Setting auftreten"
Ich glaube, es wäre ziemlich cool, mit einem etwas traditionelleren Band-Setting aufzutreten. Solange ich die richtige Balance zwischen Live-Elementen und getapten Sounds finde. Ein Dutzend Keyboarder⋆innen für die einzelnen Parts einzustellen kommt mir dann doch etwas übertrieben vor (lacht).
Anne: Wie sehen Deine Zukunftspläne aus?
Lyra: Ich war noch nie eine große Planerin. Ich neige dazu, einfach zu schauen, wo mich das Leben hinführt. Ich habe schon ein paar Ideen für neues Material. Ich möchte nicht Spoilern, aber ich glaube, das Resultat könnte ziemlich cool werden. Ich höre am besten gleich wieder damit auf, hier zu locken. Wie ich mich kenne, kann es ein paar Jahre dauern, bis ich etwas davon veröffentlichen werde. Aber hey: Man sollte nicht aufhören zu träumen!
Anne: Vielen Dank für das spannende Interview! Es war mir eine große Freude, Dich kennenzulernen! Ich wünsche Dir alles Gute! Lass uns auf jeden Fall in Kontakt bleiben!
Bilder: Anne-Leen Declercq