Pray for Sound
"Diese Songs sind wie Therapie"
Heute habe ich ein ganz besonders Interview für Euch vorbereitet. Niemand Geringeres, als die wunderbare Post-Rock-Band Pray For Sound hat sich meinen Fragen gestellt.
Pray For Sound habe ich auf dem DUNK! Festival 2017 das erste Mal live auf der Bühne gesehen. Spätestens seit dieser denkwürdigen Stunde schlägt mein Herz für die Post-Rock-Band aus Boston. Vor Kurzem haben sie ihr neues Album "Waves" veröffentlicht. Jetzt hatte ich die Gelegenheit, mich mit Gitarristen Bruce Malley, Drums und Synthesizer Beauftragten Steve Aliperta und dem Gitarristen Nick Stewart zu unterhalten.
Anne: Hi! Danke, dass Ihr Euch die Zeit für das Interview nehmt! ich bin so gespannt darauf, eine meiner liebsten Post-Rock-Bands kennenzulernen. Wie geht es Euch heute?
Bruce: Danke für die netten Worte! Mir geht es gut, gemessen an dem, was gerade um uns herum passiert. Keine*r meiner engen Freund*innen oder Familienmitglieder ist krank und ich bin sehr dankbar dafür.
Steve: Jupp, es musste erst eine Pandemie kommen, damit ich sehe, wie zurückgezogen ich sowieso schon lebe.
"Wir treffen unsere Entscheidungen gemeinsam"
Anne: Ihr habt mir erzählt, dass Eure Bandtreffen normalerweise immer Mittwochs stattfinden. Was passiert bei diesen Treffen?
Bruce: Die Woche über sehen wir uns nicht. Darum nutzen wir Slack, um Dinge zu diskutieren und uns über Ideen auszutauschen. Mittwochs treffen wir gemeinsam Entscheidungen, gehen unsere Slack Chats nochmal durch, arbeiten an Dingen wie diesem Interview hier und spielen unser Set oder üben an neuen Stücken.
Steve: Einmal pro Woche scheint für uns ein guter Rhythmus zu sein. Ab und zu wird es stressig und dann ist es schön, wenn man einen festen Tag in der Woche für die Musik hat. Es hilft uns dabei, unser Set in Ordnung zu halten, und bietet uns die Möglichkeit, an neuen Ideen zu arbeiten.
Anne: Ich hätte Euch dieses Jahr beim DUNK! Festival auf der Bühne gesehen. Leider konnte es ja wegen Corona nicht stattfinden. Werden wir uns dort nächstes Jahr treffen?
Bruce: Daran arbeiten wir im Moment. Ich weiß nicht, ob wir offiziell schon irgendetwas sagen dürfen, aber wir hoffen auf jeden Fall, dass es dazu kommen wird!
"Wir sind es gewohnt, einzeln an Demos zu arbeiten und später alles zusammenzufügen"
Anne: Corona ist leider im Moment überall. Wir sollten alle so viel Zeit wie möglich zu Hause verbringen. Wie wirkt sich das auf Euch als Band aus? Arbeitet Ihr neben Euren Chats in Slack noch an einer anderen Stelle remote?
Bruce: Wir haben ein paar Zoom Meetings gemacht, wir nutzen weiterhin Slack um über Ideen zu plaudern und wir arbeiten mit unseren Home Setups an neuen Demos. Einzeln an Demos zu arbeiten und dann alles zusammenzufügen, wenn wir uns das nächste Mal wieder sehen, hat für uns schon in der Vergangenheit immer gut funktioniert.
Steve: Abgesehen von der schrecklichen Lage derzeit ist es schön, ein bisschen Zeit zum Entspannen zu haben und sich keine Sorgen um den Alltagsstress machen zu müssen. Das Verhängnis dieses großen, allgegenwärtigen Stressfaktors.
Anne: Wirkt sich das auf Eure Kreativität aus? Ich habe von ein paar Künstlern gehört, dass sie im Moment einen gewaltigen Output haben.
Bruce: Das ist von Bandmitglied zu Bandmitglied unterschiedlich. Ich persönlich hatte eine kreative Blockade, als das alles losging. Inzwischen geht es mir zum Glück besser. Ich habe sogar schon ein paar neue Songs geschrieben. Ich versuche, mich nicht in kreativen Sackgassen aufzuhalten und nur das zu spielen, was herauskommt. Manchmal ist diese Musik nicht sinnvoll für Pray for Sound. Dann mache ich schnell weiter.
"Wir mussten es uns erstmal auf die neuen Umstände einstellen"
Steve: Ja, am Anfang war ich so gar nicht aufs Schreiben fokussiert. Irgendwie fühlte ich mich vom Zustand der Welt eingenommen und musste erstmal herausfinden, wie ich mich über Wasser halten kann. Aber die Zeit, die ich bis jetzt ihn Quarantäne verbracht habe, hat mir geholfen, meine Prioritäten auf eine gesündere Weise zu bewerten. Das war auf jeden Fall gut für die Kreativität und jetzt ist Zeit dafür.
Anne: Euer viertes Album "Waves" ist einfach wundervoll. Was ist seine Geschichte? Warum trägt es den Namen "Waves"?
Nick: Danke schön! Wir haben ziemlich unermüdlich drei Jahre lang daran gearbeitet, also freut es mich sehr, dass Du das sagst. "Waves" startete ohne eine definitive Richtung. Aber im Laufe des Schreibens und Umschreibens der Stücke begann das Album, die Ebbe und Flut einer dunklen Phase in meinem Leben aufzunehmen. Ich hatte für fast zwei Jahre mit chronischen Rückenschmerzen zu kämpfen. Ich hatte diese Hochs und Tiefs, in denen es sich erst so anfühlte, als würde es besser werden und heilen und dann kam es mit einem Schlag wieder zurück.
Diese Songs zu schreiben, fühlte sich für mich wie eine Therapie an. Ein Weg, die Kontrolle über etwas wiederzuerlangen, das sich für mich zu dieser Zeit ziemlich außer Kontrolle angefühlt hatte. Es hat mir dabei geholfen, einige sehr schmerzhafte Dinge, die ich gefühlt habe, zu überwinden.
Es war ein echtes Erlebnis, zu erforschen, in welche Richtung die einzelnen Songs sich entwickeln würden, sie immer wieder zu hören und dabei zu beobachten, welchen Spannungsbogen die Platte entwickeln würde. Die Idee für den Namen "Waves" hatte Bruce. Sie entstand aus einem Vergleich, zwischen meiner Genesungsweise und dem Abebben meiner Schmerzen und dem Ein- und Auslaufen der Wellen am Strand. Beim Titeltrack hat man das Gefühl, er er würde einen davon spülen. Als der Name für das Album feststand, fühlte es sich so an, als müsste er das Herzstück all dieser Musik sein.
"Die Fähigkeit von Musik, Menschen in einen anderen Zustand zu versetzen, ist inspirierend"
Anne: Was hat Euch bei der Arbeit an Waves am meisten inspiriert?
Nick: In einem wirklich ehrlichen Sinne, lag die wahre Inspiration in der Fähigkeit von Musik und Kunst, einen in einen anderen Zustand zu versetzen und dadurch mit etwas Höherem als einem selbst zu verbinden. Wie ich schon erzählt habe, war die Entdeckung dieser Songs sehr therapeutisch. Ich verlor mich beim Schreiben der Intros oder Refrains im Dickicht eines bestimmten Liedes. Ich suchte nach dem besten Weg, es auszufüllen. Dabei versuchte ich, meinen Schmerz und meine Frustration in etwa zu kanalisieren, das mir viel bedeutet.
Wenn ich konnte, bin ich außerdem wandern gewesen. Ich wollte so viel Zeit wie möglich im Freien verbringen, um den Kopf frei zu kriegen. Die Bestimmtheit des Waldes diente mir als Inspirationsquelle. Wir haben hier und da sogar ein paar Feldaufnahmen aus der freien Natur über die Platte gestreut. Als eine Hommage an die Art des Waldes, den Geist in einer natürlichen Umgebung zu öffnen und mit einer Art Sinn für Kreativität zu erfüllen.
Ich höre sehr viel Musik, die hauptsächlich aus Gesang besteht. Eine Sache, die mich an unserem Genre wirklich inspiriert, sind seine unendlichen Möglichkeiten, Klang auszufüllen. Eine Sache, die mir beim Schreiben unserer Musik wichtig erscheint ist, dabei einen Sinn für die Melodie zu entwickeln, die die Hörer*innen leitet. Ähnlich, wie der Gesang einen in der Musik mit Texte leiten würde.
Anne: Eure Musik ist sehr kreativ. Gibt es Künstler, von denen Ihr sagen würdet, dass sie Euch und Euren Stil beeinflusst haben?
"'Monophonic' war meine erste Post-Rock Platte"
Nick: Ich glaube, jeder von uns bringt seine eigenen Einflüsse mit. Wir haben eine Spotify Playlist der Künstler zusammengestellt, die uns bei unserer aktuellen Veröffentlichung inspiriert haben. Alles von Pink Floyd bis At The Drive-In und Tycho ist in diese Platte mit eingeflossen. Was für mich persönlich an dieser Band lustig ist, ist die Tatsache, dass die erste "Post-Rock"-Platte, die ich je gehört habe, die erste Pray for Sound EP "Monophonic" war, als das Projekt noch ganz aus Bruce bestand. Die Platte machte mich mit dem vertraut, was das Genre zu bieten hat. Sie diente auch als Ausgangspunkt dafür, wo die Rolle eines jeden in dieser Band sein könnte.
Anne: Die analogen Synthesizer, die Ihr benutzt, sind charakteristisch für Euren Sound. Sie können wirklich faszinierend sein. Habt Ihr immer gewusst, dass sie Teil Eurer Musik sein müssen?
Steve: Synthesizer in unsere Musik zu integrieren, war etwas, über das wir schon eine Weile nachgedacht hatten. Allerdings fehlte uns das notwendige Know-how dafür. Es ist einfach so ein Kaninchenbau. Ich habe das Gefühl, weniger darüber zu wissen, als zu Beginn (lacht).
Ich habe für eine Produktionsfirma namens Bergsten Music gearbeitet. Sie führt eine umfangreiche Synthesizer-Bibliothek. Ich habe dort viel über Ihre Funktionsweise erfahren. Ich durfte sie auch ab und zu mit nach Hause nehmen. Dadurch konnten wir eine Menge lernen.
Nick hat auch auf eigene Faust an Synthesizern herumgespielt. Er kam mit vollständigen Demos zu uns, die sofort einsatzbereit waren. Ich glaube, es gab einige Pads, die wir sofort von Nick übernommen haben. Das waren alles Softsynths.
Dieses Mal hatten wir eine ganze Menge Spaß und haben sehr viel Zeit auf den Synthesizer-Aspekt der Platte verwendet. Wir schrieben und bearbeiteten das gesamte MIDI, ließen es dann durch einen Voyager oder ein Sub Phatty laufen und spielten in Echtzeit mit den Reglern herum. Das sorgte für eine zusätzliche Bewegungsebene hinzu, die wirklich cool ist. Ich habe jedoch das Gefühl, dass wir nur die Spitze des Eisbergs erkundet haben, es gibt noch viel zu lernen!
"Es macht uns glücklich, wenn die Leute unsere Musik hören!"
Anne: Cool, dann bin ich um so gespannter auf Eure nächsten Platten! Es scheint, dass Ihr gerne Geschichten erzählt. Ist es für Euch OK, wenn Leute Eure Alben nicht Song für Song sondern einzeln hören? Klingt das jetzt blöd? Das ist irgendwie eine schwierige Frage. Ich meine, wenn ich zum Beispiel einen Eurer Songs nehme und in eine Playlist packe...
Bruce: Ich bin einfach glücklich, wenn die Leute nach meiner Musik suchen und sie hören. Ich bin insofern sehr realistisch, dass ich weiß, dass die Menschen unsere Alben nicht die ganze Zeit nur von vorne bis hinten hören werden. Die Konzepte unserer Platten sind für uns selbst toll. Wir können Ihnen damit eine Bedeutung verleihen, wenn wir keine Lyrics haben. Und für Fans, die wirklich tiefer in unsere Musik einsteigen wollen. Wir setzen das aber nicht voraus. Soll heißen: Bitte fügt unsere Songs Euren Playlists hinzu, wie es Euch gefällt.
Steve: Was ich an Musik mag, ist dass Menschen sie nehmen und zu dem machen können, was sie wollen. Auch, wenn wir vielleicht eine Idee im Kopf haben, die wir anfangs damit zum Ausdruck bringen wollten, könnte jemand, der eines unserer Lieder aus dem Zusammenhang gerissen hört, dennoch eine bedeutungsvolle Erfahrung damit machen, die an ihm haften bleibt. Das ist großartig, weil es so persönlich ist.
Nick: Wenn wir die Stücke auf einer Platte einer einer bestimmten Reihenfolge anordnen, in der wir uns entschieden haben, sie anzuordnen, überlegen wir zwar, wie sich ein Song anfühlt oder wie es klingt, wenn es aus einem herauskommt. Das Interessant daran ist aber, dass ein Lied eine völlig andere Wirkung oder Stimmung haben kann, wenn sie aus dem Kontext der restlichen Platte herausgenommen wird - das macht es so cool!
"Die Leute auf dem DUNK! Festival sind so hilfsbereit"
Anne: Ihr stammt aus Boston. Mögt Ihr Eure Stadt?
Bruce: Ich mag Boston sehr. Aber genau, wie in jede anderen Stadt gibt es auch dort eine Menge Bullshit.
Steve: Es ist eine coole Stadt mit viel Geschichte und Charakter. Man kann eine Menge unternehmen. Wenn man sich unter die Leute mischen möchte, sollte man im Winter einen schwarzen Pique-Mantel anziehen.
Nick: Es ist ein guter Ort zum Aufwachsen. Die Leute sind zäh und lassen sich nichts gefallen. Man bekommt ein ziemlich dickes Fell mit der Zeit!
Anne: Ihr gehört zu den Residents meines geliebten DUNK! Festivals. Was macht dieses Event für Euch so besonders? Erzählt mir von seiner Magie.
Bruce: Jeder dort ist so nett und hilfsbereit. Es ist wie eine große, glückliche Familie.
Steve: Im Ernst: Das Festival ist einfach voll von integrativen Menschen, die Musik lieben und eine gute Zeit haben wollen. Der Wald gibt dem Ganzen zusätzlich das gewisse magische Etwas.
"Die Menschen sehnen sich nach etwas Physischem, das sie besitzen können"
Nick: Die Menschen, die das Festival ermöglicht haben, sind für uns wie eine Familie - es ist immer so eine Freude für uns, mit ihnen zusammenzuarbeiten und Teil von dem zu sein, was sie für uns alle geschaffen haben. Die Menschen, die das Festival besuchen, sind der Musik, der Kunst und jedem gegenüber so respektvoll. Dieses Gefühl ist so ansteckend. Wir haben die ganze Zeit geglüht, als wir dort 2017 gespielt haben. Wir konnten nicht fassen, dass das wirklich passiert.
Anne: Noch vor ein paar Jahren hat sich kaum jemand für Schallplatten interessiert. Inzwischen feiert Vinyl ein großes Revival. Was glaubt Ihr, woran das liegt?
Steve: Ich habe eine Menge Leute gesehen, die sich nach etwas Physischen gesehnt haben. Wenn die Audiodateien auf einem Computer liegen hat, wird die Idee des Eigentum irgendwie zu etwa Nebulösem. Außerdem hat das Plattenauflegen schon etwas von einer Zeremonie. Du nimmst sie aus der Hülle, legst sie auf den Plattenspieler, lässt die Nadel runter und so weiter. Die Erfahrung, sich das Artwork anzusehen und das Booklet zu lesen, gefällt mir persönlich sehr gut. Das Ganze versetzt dich in einen fokussierten Zustand. Das klappt beim Shuffeln auf Spotify einfach nicht. Wobei. Manchmal schon.
Nick: Ich glaube, den Leuten ist es wichtig, ihr Geld in etwas Physischen von einem Künstler zu investieren. Die Schallplatten fungieren gewissermaßen als Symbol für eine Idee, Ästhetik oder Stimmung, die man beschlossen hat, in sein Leben einzuladen. Man ist bereit, seine Zeit und Energie dafür einzutauschen. Das ist wirklich etwas Besonderes für uns - Wir verbringen sehr viel Zeit mit dem Artwork, dem Layout und der Auswahl des richtigen Designs für das Vinyl an sich. Wir wollen wirklich eine lohnende Investition für die Leute sein.
"Wir fokussieren uns auf das, was wir zu Hause tun können"
Anne: Dieses fiese Virus hat die komplette Musikszene ausgebremst. Wir werden wohl noch für eine ganze Weile auf Festivals und Konzerte verzichten müssen. Ihr hattet eigentlich auch vor, auf Tour zu gehen. Habt Ihr schon über neue Tourdaten nachgedacht?
Nick: Es gibt ein paar vorsichtige Überlegungen, aber genau wie alle anderen auch, können wir uns noch nicht auf etwas festlegen. Es ist schwer, das im Moment einzuschätzen. Für uns ist es wichtig, uns auf das zu fokussieren, was wir jetzt von zu Hause aus tun können.
Steve: Pray for Sound Tour 2025! Bleibt dran!
Pray for Sound gründeten sich 2011 in Boston. Ihr viertes Album "Waves" haben sie 2019 in Zusammenarbeit mit den Labels A Thousand Arms, DUNK! Records und Post. Recordings veröffentlicht.