Klare Statements ohne Worte
AACR über ihr neues Album "WTF"
Interview von Anne
13.11.2025 — Lesezeit: 8 min

AACR aus Köln machen instrumentale Musik irgendwo zwischen Post-Rock und Noise. Das Duo, bestehend aus Axel, der sich um die Gitarren und Effekte kümmert, und Christian, der für das Schlagzeug und die Samples verantwortlich ist, veröffentlichte vor Kurzem mit "WTF" ein ausgesprochen spannendes Album auf Mörtelsounds Cologne. Zeit für mich, die beiden endlich mal zu interviewen, und für euch, eines der letzten limitierten Coloured-Vinyl-Gatefold-Exemplare zu ergattern. Weiter unten könnt ihr "WTF" schon mal digital auflegen und den AACR Sound sofort genießen.
Anne: Eure aktuelle Platte heißt "WTF". Im Pressetext wird noch die Alternative "Future World" erwähnt. Wie kam es zu der Änderung und wann war klar, dass es doch der drastischere Titel werden sollte? Ich nehme an, WTF steht für das, was ich mir darunter vorstelle?
Axel: "WTF" steht für "What the Fuck". Wir haben länger gemeinsam überlegt. Thomas, der das Cover gestaltet hat, war ebenfalls involviert. Aber wir fanden den für uns wahrscheinlich auch etwas überraschenden Titel "WTF" besser, da er klarer in der Aussage ist.
Kusse: Immerhin befinden wir uns in einer Zeit, die einen oft einfach nur sprachlos dastehen lässt, weil uns die Worte fehlen für das, was wir denken und fühlen.
Anne: AACKR, WTF: Ihr mögt Abkürzungen, oder? Verratet ihr mir nun auch noch, wofür die Erstere steht?
Axel: Vorweg: Wir suchten, als klar war, dass wir eine Band sein wollen, nach einem Namen, der etwas kryptisch bleibt. Und ja, wir mögen es, Dinge zu verkürzen. Bei unserem Bandnamen ist das, wenn man unsere Namen kennt, recht einfach: AA steht für Axel Autschbach, CK für Christian Kußerow und R war anfangs ein Platzhalter, den mittlerweile unser Samplepad "Roland" besetzt.
Eine emotionale Momentaufnahme unserer Zeit

Anne: Ihr nennt "WTF" eine "emotionale Momentaufnahme in einer Zeit voller Krisen". Welche Momente oder Situationen haben den Sound und das Songwriting besonders direkt beeinflusst?
Axel: Wir können nicht direkt einzelne Situationen nennen. wobei wir zu jedem Stück schon immer eine Geschichte haben. Für uns erscheint das dann immer logisch, aber Außenstehenden erschließt sich wahrscheinlich nicht immer direkt unser Ansatz. Ganz allgemein sind es Themen des Alltags. Das können beispielsweise so überlagernde Ereignisse wie der Angriff Russlands auf die Ukraine sein.
Kusse: Wir sind beide mit dem Vibe der Perestroika aufgewachsen und sind immer noch fassungslos darüber, welche überwunden geglaubten Barrieren und Prozesse plötzlich wieder Thema sind. Es sind aber auch Situationen und Ereignisse aus dem persönlichen Bereich, die einen vielleicht unterschwellig beeinflussen. Die Musik ist für uns dann das oft erwähnte "Ventil" oder der Kanal zur Verarbeitung und Bewältigung. Sie bietet uns die Chance, mit Dingen umzugehen und daraus etwas Neues zu schaffen. Etwas wie "Upcycling".
Anne: Als Instrumental-Duo erzählt ihr eure Geschichten ohne Worte. Wie schafft ihr es, Stimmungen wie Hoffnung, Traurigkeit oder Zerrissenheit ohne Gesang spürbar werden zu lassen? Welche Klangelemente machen diese Emotionen eurer Meinung nach besonders greifbar?
Manchmal atmosphärisch, manchmal direkt
Axel: Aus deiner Frage entnehme ich zunächst einmal, dass wir es anscheinend schaffen, unseren Gedanken, Geschichten und Gefühlen mit der Musik Ausdruck zu verleihen. Das ist erst einmal super und natürlich unser großer Wunsch, wenn wir die Stücke schreiben. Bei unseren Stücken geht es immer darum, beim Hören eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Diese kann sehr atmosphärisch sein oder, vor allem live, auch direkt und energetisch.
Anne: Wie hat sich euer kreativer Prozess bei der Entstehung von "WTF" im Vergleich zu euren bisherigen Veröffentlichungen verändert? Habt ihr mehr experimentiert, mehr Pausen gemacht oder eure Arbeitsweise insgesamt angepasst?
Der Proberaum als kreatives Zentrum
Axel: Wir befinden uns in der glücklichen Lage, dass unser Proberaum so geräumig ist und wir ihn mittlerweile so gestalten konnten, dass er sich auch zum Aufnehmen eignet. Das ist seit Corona so. Als keine Konzerte möglich waren, wir gerade mit Almae eine neue Platte fertig aufgenommen und somit einen kreativen Prozess abgeschlossen hatten, haben wir die Zeit genutzt, um unseren etwas in die Jahre gekommenen Proberaum zu renovieren. Zu diesem Zeitpunkt ist Jan dann auch mit in den Raum gezogen. Er hat neben "WTF" und "ALMAE" auch schon Aufnahmen mit der AACKR-Vorgängerband FITNESS gemacht.
Eine perfekte Ausgangssituation, um recht unabhängig eine neue Platte aufnehmen zu können. Uns war wichtig, dass Jan, der uns schon sehr lange kennt, nicht einfach ein paar Mikrofone aufstellt, damit wir unsere Stücke in möglichst kurzer Zeit live einspielen, sondern dass wir Jan während der Aufnahme eher als temporäres drittes Bandmitglied sehen. Wir hatten dieses Mal nicht den Anspruch, alle Stücke vor den Aufnahmen bis ins kleinste Detail vorzubereiten. Wir wollten auch zulassen, im Aufnahmeprozess wieder Sachen zu ändern oder Elemente zu verwenden, die wir bislang noch nicht genutzt haben. So ist es dann auch gekommen.
Anne: Wie eng ist die visuelle Gestaltung, also das Cover, das Layout und die Auswahl der Farben, für eure limitierte Gatefold-Edition mit dem musikalischen Inhalt verbunden? Gibt es eine Geschichte, wie das Gatefold-Design oder die Vinylfarbe entstanden sind?
Axel: Da müssten wir jetzt Thomas dazuholen. Aber mit Thomas ist es ähnlich wie mit Jan: Er kennt uns auch schon sehr lange, hat, wie Jan, zuvor mit uns gearbeitet und Cover für die AACKR-Vorgängerband FITNESS gemacht. Wir haben ihn sehr früh involviert und uns bereits vor den Aufnahmen mit ihm ausgetauscht. Wie bereits erwähnt, hat Thomas beim Albumtitel mitentschieden. Er fand "WTF" von Anfang an super und hatte direkt Ideen für die Umsetzung. Wir haben Thomas all den Input gegeben, den er haben wollte: die Musik und ein Moodboard, damit er unsere Gedanken versteht. Bei der grafischen Umsetzung haben wir also viel mit ihm geredet, ihm aber nicht reingeredet.
Kusse: Das Cover ist nahezu zu 100 Prozent nach seiner Vorstellung entstanden. Generell ist uns bei einem Release neben der Musik auch die gesamte Aufmachung sehr wichtig. Das sieht man auch relativ gut an älteren Veröffentlichungen.
Anne: Das Thema "Balance" zieht sich durch eure Liner-Notes ("Our world is about to lose its balance"). Schließt sich hier der Kreis und das Musikalische trifft auf das Gesellschaftliche? Wie versucht ihr, diese Balance in eurer Musik zu verkörpern?
Polarisieren oder die Balance halten?
Axel: Das ist eine gute Frage (überlegt). Bislang dachten wir, dass wir eher polarisieren, was einer Balance ja eher widersprechen würde. Aber vielleicht führt das Polarisieren an anderer Stelle ja dazu, dass wir mehr auf die Balance achten und schauen, wo wir einen Ausgleich schaffen können. Der Text, auf den du anspielst, stammt aus dem Sample in "RHNMTLL".
Der Slogan von Rheinmetall stellt in dem Sample die These auf, dass sie mithilfe ihrer Waffen die Balance, was auch immer das bedeuten mag, in der Welt (wieder)herstellen könnten (WTF).
Kusse: Grundsätzlich sind wir Freunde von "Balance" als Ausgangspunkt und Normalzustand. Musikalisch haben wir zwar verschiedene "Ausschläge", aber wir denken, dass du ziemlich gut erfassen kannst, was die "Balance" oder die "Mitte" von AACKR ist, wenn du unsere Veröffentlichungen hörst.
Anne: Wie sehr spürt ihr beim Komponieren die "Subkultur", von der ihr schreibt? Wie sehr beeinflusst die unmittelbare Rückmeldung eurer Hörer*innen und aus der Szene insgesamt eure künstlerischen Entscheidungen?
Kusse: Zur ersten Frage: Das war wahrscheinlich eher unterbewusst. Der DIY-Gedanke ist wesentlich, ebenso wie die Kontakte, die man beim Musikmachen knüpft, und das Entstehen eines Netzwerks. Zur zweiten Frage: Bestätigung ist immer wohltuend und förderlich. Kritik von uns nahestehenden Personen nehmen wir uns zu Herzen und reflektieren, ob sie uns weiterbringt.
Axel: Ich kann das hier nicht an einer Sache festmachen. Aber wir sind unter anderem Teil eines Netzwerks aus vielen kreativen Menschen, die Musik machen, Cover gestalten, Konzerte organisieren oder ein Label betreiben. Sich in diesem Umfeld zu bewegen, prägt natürlich auf sehr unterschiedliche Weise, und all das fließt in die eigene kreative Arbeit ein. Was direkte Rückmeldungen angeht, ist das für uns essenziell. Manchmal zeigt es uns, dass wir etwas gut gemacht haben, manchmal auch, dass wir etwas nicht so toll gemacht haben. Auch das prägt uns. Wir versuchen trotzdem, möglichst eigenständig zu bleiben und unser Ding zu machen.
Anne: Ihr seid als Duo unterwegs. Wie läuft das Zusammenspiel bei euch? Wer hat die meisten Ideen und wie viel Raum gebt ihr dem spontanen Experiment einerseits und dem bewussten Überarbeiten andererseits?
Musikalische Experimente
Axel: Meistens habe ich eine Idee, ein Riff oder eine Harmonie. Selten habe ich mehr als ein paar Teile pro Idee. Diese nehmen wir dann im Proberaum als Ausgangspunkt und spielen damit herum. Wir nehmen unsere Proben meistens auf, sodass wir uns die Sachen im Nachhinein noch einmal anhören können. Wir glauben übrigens nicht, dass wir uns gute Ideen immer ohne Aufnahme merken könnten. Dafür sind wir vielleicht einfach schon zu alt.
Daher die Aufnahmen. Mit den Aufnahmen probiere ich zu Hause meistens noch etwas herum, räume etwas auf, arrangiere die Teile und nehme sie dann wieder mit zur Probe. Alternativ lege ich sie in unsere Songwriting-Cloud, wo Kusse sie sich dann auch anhören kann. Wir arbeiten also schon fast wie Profis. Bei der nächsten Probe geht es dann mit den Aufnahmen weiter. Und zum Thema Experiment: Es kommt auch öfter vor, dass Ideen, die eigentlich für ein anderes Stück gedacht waren, auf einmal in einem ganz anderen Stück landen oder ganz anders klingen als zuvor gedacht. Wir gehen da recht pragmatisch vor. Dieser Prozess kann manchmal kurzfristig zu einem fertigen Stück führen, meistens dauert es bei uns aber etwas länger.
Kusse: Die Schlagzeug-Parts entwickeln und verändern sich zu Axels Leidwesen immer noch ziemlich lange, nachdem das Grundgerüst schon steht. Sampler-Parts (Beats) und Samples kommen ergänzend dazu und werden in der Regel nur noch ein wenig feingeschliffen.
Anne: Gibt es auf "WTF" Momente, Songs oder Passagen, bei denen ihr bei den Aufnahmen oder beim Mixen während des Prozesses skeptisch wart? Wie habt ihr es geschafft, diese Zweifel zu überwinden?
Axel: "54 °" ist ein Stück, das sich während der Aufnahmen immer wieder verändert hat. Erst als die Synthies dazukamen, fühlte sich das Stück fertig an und transportierte die Stimmung, die wir gesucht hatten.
Kusse: An "54°" haben wir noch Wochen nach den Aufnahmesessions herumgedoktert. Es ist wohl unsere Stärke, mit Ruhe, Beharrlichkeit und Ausdauer an den Problemstellen herumzuwerkeln.
Anne: In eurem Lettering sprecht ihr davon, dass es zwar Punkte der Düsternis gibt, das Album aber "definitiv mit einem guten Gefühl" endet. Welcher Song oder welches Segment von "WTF" trägt für euch dieses gute Gefühl am stärksten, und was erzeugt Umschwung musikalisch?
Kusse: Das ist "WTF", das letzte Stück. Es fängt schon recht untypisch für AACKR an, ist aber trotzdem irgendwie noisy und düster. Dann gibt es im Stück einen Bruch, sodass es sich fast wie ein neues Stück anhört. Da kommt dieser sich über mehrere Runden hinweg steigernde, sehr offene und harmonische Part, der für unser Verständnis sehr positiv und versöhnlich klingt. "WTF" schließt für uns diesen Bogen von Düsternis hin zu Zuversicht und einem guten Gefühl sehr gut.
Anne: Wie wichtig sind euch physische Veröffentlichungen wie limitiertes Vinyl und Gatefold-Cover in Zeiten, in denen Streaming dominiert?
Kusse: "Wir legen großen Wert auf das Gesamtpaket. Jedes Album dokumentiert einen bestimmten Abschnitt unserer persönlichen sowie der Bandgeschichte. Die Limitierung klingt zwar exklusiv, ergibt sich jedoch natürlich auch aus unseren begrenzten Budgets und unserer überschaubaren Reichweite.
Axel: Generell ist uns bei einem Release neben der Musik auch die gesamte Aufmachung sehr wichtig. Das sieht man, glaube ich, auch relativ gut an älteren Veröffentlichungen. Es macht uns einfach Spaß, uns damit zu beschäftigen, und wir finden, dass eine Sache, in die so viel Zeit und Herzblut gesteckt wurde, auch besonders geöffnet sein sollte. Das sollte dann auch ein Grund sein, die Platte nicht nur zu streamen, sondern auch physisch zu besitzen.
Anne: Habt ihr konkrete Vorstellungen oder Wünsche, wie sich "WTF" live entfalten soll?
"Wir wollen so viele Menschen wie möglich erreichen"
Axel: Wir möchten viele Menschen erreichen, ihnen und auch uns eine gute Zeit schenken, Platten verkaufen – an alte wie an neue Fans. Konzerte spielen, und das an bekannten, aber natürlich auch an neuen Orten. Wir möchten sowohl mit befreundeten als auch mit neuen Bands spielen. Ich fände es super, wenn wir uns durch "WTF" weiterentwickeln könnten.
Anne: Wenn ihr eine Sache auf der Welt von heute auf morgen verändern könntet: Was wäre es und warum?
Kusse: Tja (grinst). Da wird es natürlich schnell kitschig-naiv, aber um es hippiemäßig auszudrücken: Love, Peace and Harmony wären schon prima.
Axel: Leider ist die Chance sehr unrealistisch, aber das Allerwichtigste wäre, dass diese Kriege sofort aufhören und das sinnlose Sterben ein Ende hat. Damit diese Kriege dann aber nicht direkt wieder anfangen, würde es leider nicht ausreichen, nur eine Sache zu ändern.
Anne: Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt, meine Fragen zu beantworten. Es war mir eine Freude. Viel Erfolg mit der Platte!
Axel und Kusse: Vielen Dank dir, dass du uns ermöglichst, etwas über uns und WTF zu erzählen.



