Interview mit Patrick Büch von Hypertonus
"Wir wollten die Energie unseres Zusammenspiels möglichst roh und ungefiltert einfangen"
Patrick Büch kennt Ihr schon von seiner Band MMTH, die ich hier auf Sounds Vegan letztes Jahr vorgestellt habe. Seit insgesamt 13 Jahren bildet der Gitarrist zudem gemeinsam mit Arne Staats (Bass) und Hannes Christen (Drums) das Bremer Projekt Hypertonus. Die drei haben jetzt Ihr neues Album "Gravity Unmapped" fertiggestellt, das am 18. Oktober erscheinen soll – Zeit für ein Interview!
Anne: Hi Patrick! Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst! Gratulation zum neuen Album! Die sechs Songs sind wunderbar geworden – so vielschichtig und voller gelungener Akzente! Ihr seid sicher ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis Eurer Arbeit, oder?
Patrick: Hey Anne, vielen lieben Dank für die Möglichkeit zum Interview und schön, dass Dir unser Album gefällt. Wir sind sehr stolz darauf und total glücklich mit den Aufnahmen. Seit unserem ersten Album ist, mit insgesamt sieben Jahren, einiges an Zeit verstrichen. Wir haben die neuen Songs immer mal wieder auf links gedreht. Keine musikalische Idee war für uns zu weit entfernt, um sie nicht zumindest mal auszuprobieren. Und genau das spiegelt sich letztlich auch in dem Album wider. Hätten wir zu einem früheren Zeitpunkt aufgenommen, wäre es sicher ganz anders geworden – so, wie es jetzt geworden ist, macht es uns alle drei wirklich total zufrieden.
Anne: Ihr habt die kompletten sechs Stücke in einem Rutsch an vier Tagen aufgenommen. Chapeau, das ist ganz schön beeindruckend! Wie habt Ihr das gemacht? Habt Ihr Euch komplett vier Tage lang ins Studio eingeschlossen? Wie lange war die Vorlaufzeit, genauer gesagt: Ihr seid mit fertig geschriebenen Stücken und Demos in die Aufnahmesession gestartet, oder?
Ein produktiver Kurzurlaub mit der Band
Hypertonus – "Gravity Unmapped"
Patrick: Wir haben bereits unser erstes Album als Live-Session eingespielt, um die Energie unseres Zusammenspiels möglichst roh und ungefiltert einzufangen. Bereits 2020 hatten wir einen Studiotermin gebucht, dann kam aber der Lockdown dazwischen und eine Aufnahme wurde unmöglich. Zu dem Zeitpunkt waren die meisten Stücke bereits "fertig", aber seither haben wir doch noch an einigen Stellen gedreht und ausprobiert. Die jetzt aufgenommene Variante der Songs war dann etwa vier Monate vor dem Studiotermin fertig und wir haben sie dann ziemlich oft geprobt, um sie dann auch live einspielen zu können.
Die Aufnahmen haben wir dann zusammen mit Hanno Janßen im Auricher Dickfehler Studio gemacht. Wir haben in der Zeit dann auch in Aurich übernachtet und haben als Band aus den Aufnahmen einen Kurzurlaub gemacht. So konnten wir die Studiozeit dann auch flexibel einteilen. Da hat Hanno auf jeden Fall ein richtiges Goldstück für Bands. Wir haben die Zeit in Aurich total genossen und dort eine tolle Atmosphäre erlebt. Hanno hat zudem super schnell verstanden, wie wir als Band funktionieren. Die Zusammenarbeit mit ihm hat wirklich großen Spaß gemacht.
Anne: "Gravity Unmapped" – das klingt nach einer Geschichte, die Ihr mit dem Album erzählt. Erzählst Du mir davon? Was steckt hinter der Schwerkraft, die sich nicht auf Google Maps abbilden lässt?
Patrick: Das Album trägt den Titel des Songs, mit dem es abschließt. Wir sind nicht mit einem bewussten Konzept an das Album gegangen. "Gravity Unmapped" war aber das Stück, mit welchem wir zuletzt begonnen hatten. Über eine grundlegende Rhythmusidee hat sich der Song dann zu einem rund viertelstündigen Musikstück entwickelt. Zu Beginn hatte ich eine Vision des Songs, die aber tatsächlich erst im Studio richtig geklickt hat – darüber bin ich total glücklich, ohne dass ich ein mögliches Ziel für den Song vorher richtig greifen konnte. Nach den Aufnahmen haben wir uns zügig auf eine Reihenfolge der Songs geeinigt.
Beim Durchhören haben wir dann gemerkt, dass es sich so anfühlt, als würde das Album mit der Laufzeit auf den Song "Gravity Unmapped" sozusagen hinarbeiten. Wir haben völlig losgelöst von unseren eigenen Vorstellungen einfach gemeinsam Musik geschaffen, die aus unseren Körpern heraus entstanden ist, ohne uns auf irgendein Genre zu beziehen oder festzulegen. Dieses Loslösen und der Blick auf das Innere fühlen sich an, wie unsere eigene Schwerkraft, die wir als Antrieb für das Album genutzt haben. Somit war es aus unserer Sicht dann auch eine fast schon logische Wahl für den Albumtitel.
Anne: "Gravity Unmapped" erscheint am 18. Oktober. Was habt Ihr bis dahin noch geplant? Den ersten veröffentlichten Song "Hoffnung" verlinke ich unter diesem Artikel für meine Community. Wird es weitere Vorauskopplungen geben?
Live-Video-Session im Herbst
Patrick: Wir machen es spannend und werden das Album ohne weitere Vorauskopplung veröffentlichen – im Anschluss haben wir aber das ein oder andere vor. Im Herbst werden wir noch eine Live-Video-Session aufnehmen, bei der wir einige Songs des Albums spielen werden.
Anne: Werden wir die Platte auch live erleben?
Patrick: Wir werden am 20. Dezember eine Release-Show zum Album in Bremen spielen. Hier haben wir unser "Wohnzimmer" ausgesucht – die Bremer Zollkantine. Hier haben wir unser erstes Konzert als Band überhaupt gespielt, seither haben wir dort auch viele tolle Abende verbracht. Die Musikszene Bremen e. V. macht (nicht nur!) hier einen super Job und schafft ein Angebot für Bands, um auftreten zu können. Hier sind die Möglichkeiten in Bremen leider rar geworden. Weiterhin stehen zu Jahresbeginn schon ein paar Shows fest. Wir arbeiten gerade daran, dass noch weitere hinzukommen. Als wir das Album aufgenommen hatten, waren wir der Meinung, dass wir auf einen "richtigen Zeitpunkt" zum Release warten wollen. Mit der Zeit haben wir dann aber festgestellt, dass das Leben manchmal anders mit einem spielt und nicht alles planbar ist.
So ist Arne zum zweiten Mal Vater geworden, Hannes und ich sind in weiteren Bands aktiv. Jeder von uns hat also die Zwischenzeit genutzt, auch mal etwas Anderes als Hypertonus zu machen. Nach den Aufnahmen haben wir somit als Band auch das erste Mal seit 2011 so was wie eine bewusste Auszeit genommen. Die Arbeit an dem Album war unfassbar intensiv und diese Zeit des Abstands notwendig, um auch unsere kreativen Akkus wieder aufzuladen.
Als wir dann nach einiger Zeit wieder zusammengekommen sind, haben wir festgestellt, dass wir aufhören können, auf diese Form von richtigem Zeitpunkt zu warten – denn dieser ist meistens jetzt. Wir sind glücklich mit dem Album und freuen uns darauf, dass bald auch andere Menschen die Stücke hören können. Und ich bin guter Dinge, dass wir 2025 auch wieder häufiger gemeinsam auf der Bühne stehen werden, um die Songs von "Gravity Unmapped" live zu spielen.
Anne: Gemeinsam mit Hanno Janßen, der auch zu Deiner Band MMTH gehört, habt Ihr in den Auricher Dickfehler Studios gearbeitet. Das hört sich nach einer guten musikalischen Clique an, da oben zwischen Bremen und Aurich. Gibt es die?
"Wir wollten genau dieses Album machen"
Hypertonus
Patrick: Ja, diese Verbindung gibt es schon länger. Ich habe den Weg von MMTH seit Beginn verfolgt. Für mich war es schön zu sehen, dass mit MMTH eine Band aus meiner Heimat – ich bin gebürtig selbst aus Ostfriesland – so tolle Musik macht und auch konzerttechnisch total aktiv ist. Ich darf mich, glaube ich, als MMTH Superfan der ersten Stunde bezeichnen. So war ich dann länger schon mit Bernd, der bei MMTH den Bass spielt, in Kontakt und wir haben an gemeinsamen Konzerten gefeilt. Bei den Gelegenheiten wurde Bernd nicht müde zu betonen, dass Hanno ja ein Tonstudio hat und er auch Bock hätte, mit uns eine Platte aufzunehmen.
Mitte 2023 war es dann so weit. An den vier Tagen habe ich dann auch Hanno näher kennengelernt. Er ist in seinen Produktionen sehr vielseitig aufgestellt. Ich finde, er hat ein tolles Gespür dafür, eine Band zu lesen und den Produktionsprozess zu steuern. Er hat uns zu genau dem Album verholfen, was wir machen wollten. Und ich freue mich sehr, dass wir nun musikalisch noch mehr und intensiver zusammenarbeiten. Ich bin mir sicher, dass wir mit Hypertonus auch für eine dritte Platte wieder nach Aurich reisen.
Anne: Ihr habt auch mit Eike Ebbel Groenewold gearbeitet, der ja unter anderem schon für den Grimme-Preis nominiert war und vor allem Filmmusik macht. Er hat das Mastering übernommen. Hat die Zusammenarbeit Euren Sound beeinflusst?
Patrick: Eike und Hanno haben bereits an vielen verschiedenen Projekten zusammengearbeitet. So kam der Vorschlag, dass Eike das Mastering übernimmt, auch von Hanno, der wiederum für das Mixing des Albums verantwortlich ist. Hanno hat es mit seinem Mix geschafft, die Roughness in unserem Sound festzunageln. Am Ende hat Eike sozusagen noch das feine Schmirgelpapier herausgeholt und das Klangbild in seiner Gesamtheit super geil ausgewogen.
Anne: "Hypertonus" ist ja ein Begriff aus der Medizin, der eine Gewebespannung über die übliche psychologische Norm hinaus beschreibt. Ich finde, er passt perfekt zu Eurer Musik, nicht nur aus dem Grund, den Du mir dafür genannt hast – dass Ihr mit Eurer Musik die Grenzen einzelner Genres bewusst auflösen und verschwimmen lassen wollt. Beim Hören Eurer Stücke ergibt sich diese wunderbare Spannung – was passiert als Nächstes, wie erzählen sie die Geschichte weiter? Erzählst Du mir, wie Ihr auf den Namen gekommen seid? Was verbindet Euch damit?
Patrick: Wie spannend, dass der Name bei Dir Parallelen zur Musik auslöst! Nach einigen ersten Treffen haben wir angefangen, nach einem geeigneten Bandnamen zu suchen. Hannes war zu der Zeit noch in der Krankenpflege tätig. Der Vorschlag "Hypertonus" kam sehr schnell von ihm – er meinte, dass die Bedeutung total zu unseren ersten klanglichen Gehversuchen passen würde. Arne und ich waren sofort begeistert, sodass es auch nie wirklich eine Namensalternative gegeben hat. Unser Sound hat sich seitdem entwickelt, aber der Deckmantel des Begriffes passt noch immer super gut. Es ist sozusagen auf eine stetige Art unterbewusstes Leitmotiv für unsere musikalische Herangehensweise.
Anne: Ihr verbindet mit Eurer Musik Einflüsse aus dem Prog der 1970er, Funk, Space-Rock und landet damit irgendwo im Bereich der Heavy Post-Music. Gibt es bestimmte Künstler*innen/Projekte, die Euch bei der Entwicklung Eures persönlichen Stils besonders inspiriert und geprägt haben?
Patrick: Wir haben uns alle mit Anfang 20 kennengelernt. Ich bin total stolz darauf, dass wir sagen können, dass wir uns gegenseitig und miteinander musikalisch sozialisiert haben. Gerade in der Frühphase der Band haben wir uns mit YouTube Playlisten gegenseitig neue Musik um die Ohren gehauen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir in der Zeit in unserem Umfeld gern gesehene Gäste waren. Sicher wurde darauf geachtet, uns nicht allzu früh an die Musikauswahl zu lassen. Scheinbar genießt nicht jede*r 20-minütige Prog-Stücke aus den 70ern. Aber von Retro-Funk, Drum'n'Bass und sogar Metal hat da vieles eine Rolle gespielt. Ich würde sagen, wir haben bei vielen Genres so eine Art 2/3-Verteilung, was uns gefällt – das versuchen wir dann gemeinsam in Form zu bringen.
Für mich persönlich ist es auf jeden Fall so, dass mir der Gedanke, auch selbst in einer instrumentalen Band zu spielen, sozusagen unverhofft vor die Füße geknallt wurde. 2010 bin ich zum Konzert von Mutiny On The Bounty im Bremer Tower gegangen, die an dem Abend Vorband für And So I Watch You From Afar waren. Die Band kannte ich gar nicht – und während der Show habe ich dann den Mund gar nicht mehr zubekommen. Somit ist ASIWYFA sicher die Band, die mir selbst den Mut gegeben hat, instrumentale Musik spielen zu können.
Anne: Ihr seid schon mit Bands wie The Hirsch Effect, Toundra (Interview hier) und Mother's Cake aufgetreten und habt "die Post-Music-Szene" dabei quasi persönlich kennengelernt. Was würdest Du sagen, macht sie so besonders und wodurch unterscheidet sie sich von anderen Subkulturen?
"Auf Festivals kommt man mit spannenden Menschen ins Gespräch"
Patrick: Als Supportband kommt man natürlich auf tolle Art und Weise mit bekannteren Bands in Kontakt. Wir haben hier auch wirklich tolle und interessante Gespräche geführt und auf Bühnen gespielt, die uns selbst auf jeden Fall noch verborgen geblieben wären. Das sind tolle Erfahrungen und Geschichten, die wir gern sammeln. Ich finde aber eher, dass die Szene sich aus den vermeintlich kleineren und unbekannteren Namen zusammensetzt. Hier finde ich den Zusammenhalt wirklich erstaunlich und besonders.
Egal auf welchem Festival wir waren oder in welcher Location wir ein Konzert gespielt haben – man kommt immer mit spannenden Leuten ins Gespräch und tauscht sich aus. Man merkt, dass die Akteure mit Herzblut dabei sind und einander unterstützen. In den Jahren haben wir hier ein größeres Netzwerk aufgebaut, mit Leuten, die auch echt Bock haben, Dinge auf die Beine zu stellen. Ich kann gar nicht sagen, ob sich dieser Bereich von anderen Subkulturen unterscheidet – mit dem Blick auf befreundete Bands in entfernteren Genres glaube ich aber, dass es überall tolle Leute mit viel Motivation gibt.
Anne: Wenn es etwas geben würde, das Du auf der Welt verändern kannst. Was wäre es und warum?
Patrick: Oh wow, wo sollen wir da nur anfangen? Ich glaube, bei der Vielschichtigkeit der Probleme ist es schwierig, sich auf etwas festzulegen. Grundsätzlich würde ich mich über eine Erweiterung des Spirits von Subkulturen auf die Gesamtheit freuen – und zwar in dem Sinne, dass wir uns gegenseitig mehr mit Herzblut unterstützen und in unseren Unterschiedlichkeiten akzeptieren. Gegenseitige Akzeptanz bei respektvollem Umgang miteinander und das bei allen Lebewesen – das dürfte sicher ein gutes Leitbild sein, wo eine Veränderung viel Gutes bewirken kann.
Anne: Danke für das Interview! Es hat mich sehr gefreut, Euch kennenzulernen! Viel Erfolg mit "Gravity Unmapped"! Halte mich auf dem Laufenden!
Patrick: Vielen lieben Dank für die Möglichkeit dazu – wir wünschen Dir ebenfalls alles Gute!