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    Death By Gong Sänger und Gitarrist Jobst über das Album "Descalator"

    "Über emotionale Zerrissenheit zu schreiben, ist ist erschreckend und befreiend"

    Interview von Anne
    25.09.2024 — Lesezeit: 8 min
    Death By Gong Sänger und Gitarrist Jobst über das Album "Descalator"
    Bild/Picture: © Death By Gong

    Death By Gong haben letzten Freitag ihr spektakuläres Album "Descalator" veröffentlicht. Genau, wie vermutlich auch bei Euch, läuft es hier hoch und runter und verbreitet gute Stimmung. Das Berliner Trio hat für die Platte alle möglichen Stile verbunden und dabei etwas Großes geschaffen. Ich hatte das Glück, mich mit Sänger und Gitarrist Jobst M. Feit über das unbeschreibliche Meisterwerk zwischen psychedelischem Post-Metal und Synthesizer-infiziertem Grunge zu unterhalten.

    Death By Gong ist ein Projekt von Jobst M. Feit (Radare), Chris Breuer (Zahn, Heads) und Peter Voigtmann (SHRVL/ex-The Ocean). Peter Voigtmann hat "Descalator" im legendären Die Mühle Studio aufgenommen. Das Mixing und Mastering hat Joe Joaquin von Custom Mojo MK III übernommen.

    Anne: Hi Jobst! Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst. Wie geht es Dir gerade?

    Jobst: Hi Anne! Danke der Nachfrage! Vielbeschäftigt, aber gut, fasst es, glaube ich, ganz gut zusammen!

    Anne: Glückwunsch zu "Descalator"! Das Album ist großartig geworden! Ihr seid sicher sehr zufrieden mit Eurem Werk?

    "Wir wollten stilistisch frei bleiben"

    Jobst: Auf jeden Fall. Wir haben uns für das Album künstlerisch und in der Umsetzung einiges vorgenommen. Stilistisch wollten wir frei bleiben und kein reines Genrealbum machen und dazu wollten wir handwerklich auf jeden Fall eine Produktion abliefern, die international klingt und sich nicht verstecken muss. Aus meiner Sicht haben wir die beiden Sachen auf jeden Fall hinbekommen.

    Anne: Ihr seid eine "neue" Band mit sehr erfahrenen Mitgliedern, die in zahlreichen weiteren Projekten aktiv sind. Was hat Dich persönlich motiviert, Dich Death By Gong anzuschließen und die Band mitzugründen?

    Jobst: Nachdem klar war, dass Radare – die Band, in der ich bis Ende 2019 hauptsächlich aktiv war – eine etwas längere Pause einlegen würde, hatte ich nach einer Phase, in der ich mal für über ein Jahr gar nichts gemacht hatte, wieder das starke Bedürfnis zu schreiben. Ich wusste zwar nicht für welches Format, aber ich wollte auf jeden Fall Musik machen, die direkter, kompakter und unmittelbarer klingen sollte. Ein kleiner Auslöser dafür war auf jeden Fall auch der Gastauftritt an der Gitarre bei zwei Songs auf dem "Push" Album von Chris' damaliger Band Heads.

    Das hatte zum einen super viel Spaß gemacht, zum anderen hatte das auch dazu geführt, dass ich mit Chris ein sehr wertschätzendes Gespräch dazu hatte, was wir an den musikalischen Fähigkeiten des jeweils anderen so schätzen. Das hat auf jeden Fall dazu geführt, dass ich mich wieder mehr mit den etwas aggressiveren, kaputteren und extremeren Sounds der Gitarre auseinandergesetzt habe und irgendwann hatte ich dann die Idee diese Ästhetik mit meiner Schwäche zu Singer/Songwritern wie Elliott Smith oder auch Nick Drake zu kombinieren.

    Als ich zu dieser Idee die ersten Demos fertig hatte, wollte ich unbedingt Chris am Bass dabeihaben, weil sein Sound als Gegenpol einfach super passt und ich auch wieder was zusammen machen wollte. Als er sich die Demos anhörte, war Peter zufällig bei ihm zu Besuch und hat quasi direkt Air-Drumming mäßig bei ihm auf der Couch gesessen. So sind wir relativ zufällig zusammengekommen und ich bin super happy, dass wir jetzt zusammen diese Band haben, weil die anderen beiden als Musiker und Menschen einfach auch ein Riesen-Geschenk für mich sind.

    Anne: Den LP-Titel "Descalator" finde ich sehr passend für unsere heutige Zeit. Geht es auf der Platte auch darum, dieses permanente Streben nach Wachstum endlich mal zu überdenken und das, was wir haben, wertzuschätzen und sparsamer damit umzugehen?

    Jobst:Das ist sicher ein Thema, das in einigen Songs drinsteckt. Ich habe irgendwann gemerkt, dass das Thema des Abstiegs/Absturzes in unterschiedlichsten Facetten (emotional, sozial, ökonomisch, gesellschaftlich) der rote Faden in allen Texten war und daher kam dann auch das Bild der Rolltreppe, die endlos ins Nichts führt.

    Anne: Die Songs handeln auch von menschlichem Verfall und emotionaler Zerrissenheit. Wie war es, über diese Themen zu schreiben?

    Jobst: Erschreckend und befreiend. Erschreckend, weil man beim Texten den Blick nach innen richtet und dabei auch die Existenz einiger Gefühle und Gedanken anerkennen muss, die man im Alltag vielleicht lieber nicht so im Bewusstsein haben will oder kann. Befreiend, weil man diese Dinge über die Arbeit am Text auch verarbeitet, einordnet und dann auch ein Stück weit von Angst oder Sorge entkoppeln kann, weil sie einfach greifbarer werden. Wobei auch erwähnt werden muss, dass die Themen des Albums nicht autobiografisch gelesen werden sollten. Das lyrische Ich, ist da auf jeden Fall nicht mit mir als Autor der Texte gleichzusetzen. Allerdings gab es seit Anfang 2020 mit Pandemie, Kriegen, wirtschaftlichen Existenzängsten und politischen Überlebenskampf des demokratischen Experiments auch einfach genug niederschmetternde Themen, die so ziemlich jeden Menschen betreffen.

    Anne: Was inspiriert Euch beim Songs Schreiben am meisten?

    "Die Inhalte folgen der Musik"

    Jobst: Bei mir folgen die inhaltlichen Themen immer der Musik. Die Inspirationen kommen dabei meistens einfach beim freien Spielen und experimentieren ohne mit dem Hintergedanken, dass man ein Ergebnis erreichen will. Ich habe mir auf jeden Fall angeeignet, alles aufzunehmen, was irgendwie nach Idee aussieht. Das kann mal eine gepfiffene Melodie, ein komisches Maschinengeräusch, ein Rhythmus oder oft eine sehr simple Idee auf der Gitarre sein. Die Sachen nehme ich auf und vergesse sie dann auch wieder und damit inspiriere ich mich dann drei Monate später wieder selbst, weil ich dann wirklich keinerlei Erinnerung mehr dran habe, das gespielt oder aufgenommen zu haben.

    Anne: Welchen Song auf "Descalator" magst Du persönlich am meisten?

    Jobst: Da kann ich mich beim besten Willen nicht entscheiden. Ich habe die Songs einfach mittlerweile auch so oft gehört, dass mir da komplett die Distanz fehlt. Ich freue mich am meisten immer noch über Momente der anderen beiden auf der Platte, die mich an bestimmten Momenten total überrascht haben, wie zum Beispiel der Bass am Ende von "Angel Cake" oder ein Drum-Break am Ende von "Heavy Air"

    Anne: Die Stücke auf "Descalator" sind insgesamt sehr atmosphärisch. Ihr schwebt regelrecht im Raum und dadurch erzählen die Songs in ihrer natürlichen Reihenfolge eine sehr gut nachvollziehbare Geschichte. Hat sich das ganz natürlich beim Spielen so ergeben oder war es Euer Plan für das Album?

    Jobst: Geplant war es nicht, aber es hat sich so gefügt, als die einzelnen Stücke fertig waren. Für die Sequenz der Songs waren wir relativ schnell bei so einer ähnlichen Idee. Tatsächlich hat Joe Joaquin, der unsere Platte gemixt hat, uns glaube ich schon in der ersten Version die Stücke in diese Reihenfolge gepackt. Das hat sich recht natürlich so ergeben und da gab es dann auch nicht viel Diskussionsbedarf, wenn ich mich richtig erinnere. "Troy Toy" führt einfach ganz schön in die Welt ein und mit "Noise Floor" gleitet man dann auch wieder heraus. Das musste so sein.

    Anne: Würdest Du sagen, dass die Musik, die Ihr mit Bands wie Radare, The Ocean, SHRVL, Zahn, Head und anderen Projekten gemacht habt, den Sound von Death By Gong beeinflusst?

    Jobst: Auf einer unterbewussten Ebene bestimmt, weil man diese Musik ja auch macht oder gemacht hat. Auf einer ganz einfachen Ebene will man sich musikalisch ja auch nicht langweilen, indem man mit zwei Bands das Gleiche macht, also führt das dann auch irgendwie automatisch dazu, dass man bewusst versucht Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Ich muss aber auch dazu sagen, dass wir über sowas in der Band gar nicht groß gesprochen haben. Alle bringen ihre Erfahrungen und Vorstellungen mit und in einer neuen personellen Konstellation kommen dann auch einfach andere Dinge zum Vorschein.

    Anne: Kannst Du für Radare auch etwas aus dem Death By Gong Projekt mitnehmen? Bzw. wird es in Zukunft mal wieder was von Radare geben?

    "Wir werden auch mit Radare weitermachen"

    Jobst: Radare gibt es als Band auf jeden Fall noch. Wir machen aber aktuell nicht wirklich viel. Wir hatten nach dem letzten Album ein wenig das Gefühl, dass die Reise der vorherigen Platten auserzählt ist und wir uns mal mit etwas anderem beschäftigen müssen. Wenn man sich anschaut, dass es da mit AUA, Velcros und Death By Gong ziemlich produktive Projekte gibt, ist das auf jeden Fall auch aufgegangen.

    Trotzdem mögen wir uns alle weiterhin gern und ich vermisse auch, dass wir zusammen spielen und schreiben. Das sieht man auch an dem Fakt, dass Fabian (Bremer, AUA und Velcros) der einzige musikalische Gast auf unserem Album ist und ich auf der kommenden AUA Platte jetzt auch mal Bass spiele. Ich bin mir sicher, dass da irgendwann noch mal was kommt. Ich habe aber keine Ahnung, in welcher Form. Da werden wir uns vermutlich auch einfach gegenseitig überraschen, wenn die Zeit reif ist. Momentan sind alle genannten Projekte ziemlich aktiv.

    Anne: Natürlich machen die Leute am Ende mit den Stücken, was Sie wollen. Wenn Du es entscheiden könntest: Würdest Du dann sagen, "Hört die zehn Songs nicht getrennt voneinander" oder fändest Du es gerade auch schön, wenn einzelne Tracks in gemischten Playlists auftauchen?

    Jobst: Der Teil von mir, der auf Streaming-Statistiken schaut, freut sich über Songs in Playlists, aber ich bin schon ein großer Freund vom Album-Format und freue mich darüber, wenn sich Hörende die knapp 40 Minuten Zeit nehmen, um sich das Ganze so anzuhören, wie wir es uns ausgedacht haben.

    Anne: Ihr habt unter anderem zum Song "Troy Toy" auch Videos produziert. Das für "Troy Toy" ist gemeinsam mit dem Regisseur Nicolai Hildebrandt entstanden. Wie wichtig ist Euch die visuelle Komponente Eurer Musik?

    Jobst: Ziemlich wichtig. Wir wollten mit den Videos auf jeden Fall nicht nur Eye-Candy produzieren, sondern auf jeden Fall über die visuelle Ebene eine Geschichte transportieren, die dann mit der Musik im Video ein neues Ganzes ergibt. Insofern war die Kollaboration mit Nicolai für uns auch ein absoluter Gewinn, weil er neben seinen rein handwerklichen Fähigkeiten auch mit uns in die inhaltliche Tiefe gegangen ist, um die richtigen Bilder zu finden, die dieses erzählerische Element transportieren.

    Anne: Ich habe gerade schon Nicolai angesprochen. Ihr habt ja für die Platte noch mit einigen weiteren Leuten zusammengearbeitet. Wie fühlt es sich an, zu einem fortgeschrittenen kreativen Schaffensprozess Leute hinzuzuziehen und beispielsweise fertig komponierte Songs mit Personen, die sie bisher nicht kennen, zu finalisieren?

    Jobst: In unserem Fall war das ziemlich begrenzt. Die Struktur und die Arrangements der Stücke haben sich durch den Gastbeitrag nicht dramatisch verändert, aber einfach noch mal einen kleinen Dreh gegeben. Ich fand es in Fabian' Fall auch einfach schön, ihn ein paar Tage im Studio dabei zu haben, seine Perspektive auf unsere Musik zu bekommen und ihm dabei zuzusehen, wie er diese weirden Sounds aus seinem russischen Synthesizer rausgeholt hat.

    Auf 100 Exemplare limitierte 7-Inch-Vinyl-Version

    Anne: Auf Eurer auf 100 Exemplare limitierten 7-Inch-Vinyl-Version werdet Ihr die beiden Songs "Distant" und "In Despair" exklusiv veröffentlichen. Was macht diese Songs besonders, und warum habt ihr Euch entschieden, sie exklusiv zu veröffentlichen?

    Jobst: Ich habe mir bei beiden super schwergetan, sie aus dem Sequencing für das Album zu streichen. Aber auf eine Schallplatte passen halt am Ende auch nur ca. 23 Minuten Musik pro Seite und da gibt das Medium dann die Form vor.

    Es war aber auch bei den beiden Songs so, dass wir das Gefühl hatten, dass sie auch ganz gut alleine stehen und andere Stücke ihre Stärken eher im Kontext des Albums entfalten können. Daher war es eigentlich ein guter Kompromiss, die beiden Songs einfach vorab digital zu veröffentlichen und sie zumindest in Form der Limited Edition als Single auf Vinyl verfügbar zu machen.

    Anne: Post-Punk.c o m beschrieb Eure Musik als den Soundtrack zu den schwersten Momenten im Leben, aber dennoch seltsam schön. Was empfindest Du, wenn Du solche Beschreibungen Eurer Musik liest?

    Jobst: Pure Freude. Das ist eins der schönsten Gefühle, was die Musik anderer Menschen für mich getan hat. Wenn unsere Musik das für eine Handvoll Leute auch tun kann, bin ich glücklich.

    Anne: Wann werden wir Euch zum ersten Mal live sehen?

    "Im Oktober geht unsere Tour los!"

    Jobst: Wir spielen unser erstes Konzert am 26.10. in der Loge in Berlin und gehen danach direkt für einige Tage auf Tour. Das wird dann auch wirklich gut, die Band mal raus aus der Dropbox und rauf auf die Bühne zu bringen.

    Anne: Wenn Du auf einem Konzert bist und am liebsten einfach nur der Musik lauschen möchtest und hinter Dir stehen zwei Personen und unterhalten sich so laut, dass das gar nicht mehr funktioniert. Was machst Du?

    Jobst: Ich bitte sie freundlich darum, das woanders zu machen. Klappt auch meistens. Wurde selbst auch schon mal freundlich darauf angesprochen, die Klappe zu halten und das war auch gar kein Problem. Hatte ich an dem Abend tatsächlich auch bis zu dem Zeitpunkt keine Perspektive darauf, dass ich da störe (Band war super laut).

    Insofern war ich froh, einfach freundlich darauf angesprochen zu werden.

    Anne: Viel Erfolg für den Release! Danke, dass Du meine Fragen beantwortet hast!

    Jobst: Vielen Dank für Deine Fragen!

    Death By Gong Tourdaten

    • 26.10.2024 Berlin, Loge
    • 27.10.2024 Dresden, Zentralwerk e.V.
    • 29.10.2024 Mainz, Kulturclub schon schön
    • 30.10.2024 Saarbrücken, Commune
    • 31.10.2024 Nürnberg, Z-Bau

    Death By Gong – "Troy Toy"

    © 2024 · soundsvegan.com · Anne Reis